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Mit Sprengstoff Leben retten

Technik. - Die Einführung von Airbags half, viele Leben zu retten. Doch die abfedernden Prallsäcke stehen noch nicht am Ende ihrer Entwicklung. Chemnitzer Forscher stellen auf der Hannover-Messe einen sprengstoffbeschichteten Mikrochip vor, der Airbags geradezu "explodieren" lässt und so die Reaktionszeit gegenüber herkömmlichen Modellen weiter verkürzt. Vor allem die Hersteller von Seitenairbags zeigen am Beschleuniger-Set für Airbags großes Interesse.

Von Hartmut Schade |
    Sieben Hundertstelsekunden - dann muss bei einem Frontalunfall der Airbag aufgeblasen sein. Sieben Hundertstel - das sei sehr viel Zeit, meint Dr. Bernd Löbner vom Chemnitzer Zentrum für Mikrotechnologie. Er hat einen Mikrochip entwickelt, der die Luftsäcke noch viel schneller aufbläst.

    Der Geschwindigkeitsgewinn, den wir mit unseren neuartigen Airbags erzielen, zielt insbesondere auf Anwendung in Seitenairbagbereich, da dort der Unfallgegner sehr schnell am Menschen dran ist. Wir reden hier im Bereich schon Mikrosekunden und weniger, das heißt, eine Millionstel Sekunde und schneller muss das ganze passieren.

    In einem Zeitraum, der zu kurz ist, um noch einen Schreckenschrei auszustoßen, registrieren die Crash-Sensoren den Aufprall, stellen fest aus welcher Richtung er kommt und ob sie aktiv werden müssen. Wenn ja, jagt ein Stromstoß zum Airbag-Zünder, lässt dort wie bei einer Sicherung einen Draht durchglühen, dadurch explodiert der Treibsatz und öffnet den Luftsack. Die Chemnitzer haben den Airbag-Zünder mit Hafniumhydrid beschichtet. Der Stromstoß erhitzt die Substanz, die in Sekundenbruchteilen explodiert.
    Da fliegen sogar kleine Partikel davon, mehrere Zentimeter bis zu 50 Zentimeter, und die zusätzliche mechanische Energie hat den weiteren Vorteil, dass der Sprengstoff ähnlich wie bei einem Schlagzündern mit getroffen wird.

    Der Mikrochip lässt den Luftsack regelrecht explodieren. Doch nicht nur der möglicherweise lebensrettende Zeitgewinn spricht für den Chemnitzer Sprengstoffchip. Er braucht viel weniger Energie. Das macht ihn für eine weitere Idee der Autobauer interessant. Sie wollen künftig auf die armdicken Kabelbäume verzichten, und stattdessen ein so genannten Bussystem installieren. Dabei steuert ein Bordcomputer über zwei dünne Drähten alle Sensoren und Chips.

    Die sind in einem Ringsystem miteinander verkoppelt und entsprechend der Elektronik werden die einzeln Geräte codiert. Sie sind dann über ihre Namen oder Adressen ansprechbar. Die Adressierung wird in einer Impulsfolge verschlüsselt. Der jeweils angesprochene Elektronikbaustein erkennt seinen Schlüssel und führt die Kommandos aus.

    Zu jenen Geräte, die dann per Bus gesteuert werden, könnte eine winzige Schnüffelnase im Auspuff gehören. Der Hitech-Sensor auf Titanoxidbasis erkennt, ob sich die Anteile von Stockoxiden, Kohlenmonoxyd oder Kohlenwasserstoffen auch nur im Millionstel-Bereich verändern und bei Bedarf in die Kraftstoffversorgung des Motors eingreifen, um die Verbrennung zu optimieren.

    Sprengstoffchips, Motorenkontrolle oder Bussysteme - damit erschöpft sich die Phantasie der Chemnitzer Mikrotechniker noch lange nicht. Winzige Vibrationssensoren sollen den Lauf von Kurbelwelle und Lichtmaschine überwachen und rechtzeitig warnen, wenn es nicht mehr rund läuft. Sogar Stoßdämpfern können die Vibrationssensoren zu Intelligenz verhelfen. Rüttelt es auf holprigen Kopfsteinpflaster die Insassen durch, melden dies die Sensoren an die Stoßdämpfer, die sich daraufhin nachgiebiger zeigen als wenn alles glatt dahinrollt. Egal ob Sprengstoffchips, intelligentes Motoren oder Stoßdämpfer - kaum ein Autokäufer wird alle diese Systeme in seinem nächsten Wagen finden. Der Weg zur Serienreife ist noch weit, und ob Automobilist und Auto tatsächlich die vielen Heinzelmännchen benötigen, steht auf einem ganz anderen Blatt.