Archiv


Mit Stammzellen gegen den Infarkt

Medizin. - Adulte Stammzellen sind ausgesprochene biologische Tausendsassas, die in jedem Körper auf ihren Einsatz als Reservegewebe warten. Die Idee, diese noch vielseitig wandelbaren Zellen als körpereigenen Reparaturkit zu verwenden, klingt geradezu bestechend einfach. Die adulten Zellen werden dazu einfach in ein beschädigtes Organ verpflanzt, nehmen Form und Funktion der Nachbarzellen an und schließen so entstandene Lücken. Doch die Umsetzung erwies sich bislang als kompliziert. Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover konnten jetzt allerdings zeigen, dass eine solche Form der Herzinfarkttherapie wirklich funktioniert.

    "Erleidet ein Patient einen akuten Herzinfarkt, werden zunächst natürlich alle üblichen Erstversorgungsmaßnahmen wie etwa die Wiedereröffnung des verstopften Gefäßes durchgeführt, damit schnellstmöglich wieder Sauerstoff das betroffene Gewebe erreicht. Wenige Tage danach werden aus dem Mark des Beckenkamms Stammzellen gewonnen, gereinigt und in das das Infarktgebiet versorgende Herzkranzgefäß gespritzt", berichtet Professor Helmut Drexler von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Erstmals untersuchten Drexler und sein Team in einer umfangreichen klinischen Studie, was bis dahin eher ein hoffnungsvoller Ansatz war – eine Stammzelltherapie gegen den gefürchteten Herzinfarkt. "Diese Studie weist erstmals überzeugend nach, dass die zusätzliche Gabe von Stammzellen in das Koronargefäß die Pumpfunktion des Herzmuskels nach einem Infarkt signifikant verbessert."

    Insgesamt 60 Patienten mit Herzinfarkten nahmen in zwei Gruppen an der Untersuchung teil. Während eine Hälfte nach allen aktuellen Grundsätzen in der Herzinfarkttherapie behandelt wurden, erhielt die zweite Gruppe zusätzlich die Eigenverpflanzung der hilfreichen Stammzellen vier Tage nach dem fatalen Ereignis. "Statistisch besteht überhaupt kein Zweifel, dass die Pumpleistung der mit Stammzellen versehenen Infarkt-Gewebe sich wesentlich verbesserte. Auch in Bezug auf die substanzielle Wirksamkeit war der Effekt der Behandlung eher überraschend groß – das hatten wir so nicht erwartet", freut sich der Mediziner. Auch hat Helmut Drexler keinen Zweifel an der Dauerhaftigkeit der Therapieergebnisse: "Schließlich überprüften wir die Wirkung der Behandlungen rund ein halbes Jahr nach den Infarkten. Darüber hinaus werden wir die Patienten noch ein oder zwei Jahre oder noch länger beobachten." Möglicherweise zeige sich dabei sogar noch eine weitere Verstärkung des Erfolges.

    Im Gegensatz zu anderen Projekten, die Stammzellen als "mobilen Flicken" beim Herzinfarkt verwenden, setzten die Hannoveraner Forscher die doppelte bis dreifache Zahl an Stammzellen ein. Überdies sei die Gewinnung aus dem Hüftknochen, die Reinigung der Zellen sowie die Verabreichung in das verletzte Muskelgewebe noch am selben Tag erfolgt. "Denn wir gehen davon aus, dass je länger die Zellen im Labor behandelt werden, desto mehr verlieren sie die Fähigkeit, selbst am Herzen heilend einzugreifen." Weil von den Patienten jedoch selbstverständlich keine Gewebeproben gewonnen werden könnten, sei die konkrete Wirkung der Stammzellen nur indirekt zu erschließen, so Drexler. "Aber wir markierten die Zellen, um zu sehen, ob sie im Infarktareal bleiben. Und genau das ist der Fall – zumindest während des Markierungszeitraumes." In weiteren Ansätzen werde jetzt verfolgt, wie die Stammzellen ihre hilfreiche Wirkung genau entfalten. "Dass alle Stammzellen sich in Herzmuskelzellen wandeln, ist vermutlich zu optimistisch. Aber möglicherweise helfen sie auch, neue Blutgefäße zu bilden, oder sondern eine Reihe Wachstumsfördernder Botenstoffe ab und stimulieren so das Herzgewebe."

    [Quelle: Ralf Krauter]