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Mit Stammzellen gegen Rheuma

Medizin. – Nach Ansicht von Rheumatologen nimmt Deutschland eine Schlussposition im Kampf gegen die zerstörerische Autoimmunerkrankung ein. Jährlich erkranken etwa 50.000 Menschen hierzulande an Rheuma. Die meisten der Neuerkrankungen betreffen vor allem die Gelenke. Eine Therapieform aus der Krebsbehandlung könnte jetzt einen Durchbruch vor allem für diese Patienten liefern. Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, der am Samstag in Berlin zu Ende ging, stand die Methode im Fokus des Interesses.

    "Rheumatische Erkrankungen gehören generell zu den heute noch nicht heilbaren Krankheiten und stellen natürlich deswegen eine besondere Herausforderung für die Forschung dar", erklärt der Direktor des Deutschen Rheumaforschungszentrums in Berlin, Andreas Radbruch. Dies gelte insbesondere für entzündliche rheumatische Erkrankungen wie den Gelenkrheumatismus, an dem jährlich rund 25.000 Menschen neu erkranken. Während uns das körpereigene Abwehrsystem in jeder Sekunde vor der ständigen Bedrohung etwa durch krankmachende Keime beschützt, ist es hier selbst der Ausgangspunkt für eine Krankheit, die Gelenke und andere Strukturen unwiederbringlich schädigt: "Das Immunsystem greift körpereigene Strukturen an und zerstört sie durch eine lang andauernde chronische Entzündung", so der Experte. Die Immunpolizei kann nicht nur "Freunde" von "Feinden" unterscheiden, sondern merkt sich überdies Keime in einer Art Verbrecherkartei und kann auf diese dann schneller reagieren. Doch genau dies sei das Problem bei rheumatischen Erkrankungen, meint Radbruch. Denn richte sich das Abwehrsystem einmal irrtümlich gegen eigene Körpergewebe, dann werde es dies aufgrund des immunologischen Gedächtnisses immer wieder tun.

    "Dieses Gedächtnis umzukehren, auszulöschen, ist sicherlich eine Vision der Zukunft, aber im Augenblick ohne konkrete Ansatzpunkte", konstatiert der Direktor des Deutschen Rheumaforschungszentrums. So richten sich derzeitige Behandlungsformen vor allem gegen die Symptomatik von Rheuma wie etwa die anhaltenden Schmerzen. Auch könnten bereits verschiedene Botenmoleküle, die die Entzündung weiter anstacheln, gezielt blockiert werden. Doch mit dem Absetzen der Medikamente kehrt der alte Zustand immer wieder zurück. Gelänge es dagegen, jene Gedächtniszellen zu eliminieren, die sich an den falschen "Feind" erinnern, könnte eine dauerhafte Besserung erzielt werden. Genau darauf zielt eine Variation der Stammzelltherapie aus der Krebsbehandlung ab. Dabei soll zunächst das gesamte immunologische Gedächtnis vernichtet werden. Unreife Blutstammzellen des Patienten richten dann die Brandmauer des Körpers nach und nach neu auf, ohne dass diese sich wieder gegen den Körper selbst richtet. "Diese Stammzellen sind normalerweise im Knochenmark. Man kann sie dazu bewegen, ins Blut zu gehen, und aus dem Blut kann man sie isolieren", schildert Radbruch die Gewinnung der dafür nötigen Ausgangszellen.

    Der erste Schritt der aus der Krebsbehandlung stammenden Therapie ist entsprechend aggressiv: Mit einer Chemotherapie und einem Gemisch aus verschiedenen so genannten Antikörpern werden alle Immunzellen vollständig zerstört. Dabei bleibt allerdings auch der korrekte Teil der erlernten "Verbrecherkartei" auf der Strecke. Damit steht der Patient während dieser Phase völlig ungeschützt der Umwelt gegenüber. "Das Risiko, in diesen Wochen an einer Infektion zu sterben, ist mit ungefähr fünf Prozent relativ hoch", so Radbruch. Bislang wurden weltweit rund 300 Rheuma-Patienten mit einer Stammzell-Therapie behandelt - zum Teil mit großem Erfolg. So sind einige Patienten auch fünf Jahre danach noch ohne Beschwerden. Ihr Immunsystem hat neu gelernt und es greift keine körpereigenen Strukturen mehr an. Doch aufgrund des hohen Risikos kommen bislang nur schwerkranke Patienten für die gefährliche Behandlung in Frage, die auf kein herkömmliches Medikament mehr reagieren und bei denen sich lebensbedrohliche Komplikationen ankündigen. Doch Rheuma-Forscher arbeiten mit Hochdruck daran, die guten schützenden Zellen des immunologischen Gedächtnisses zu identifizieren, um sie vor dem Schlag mit Chemotherapeutika zu isolieren und später wieder an den Patienten zurückzugeben. Das Immunsystem würde sich so schneller regenerieren und die Gefahr einer Infektion drastisch senken.

    [Quelle: Martin Winkelheide]