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Mit Staubkörnern gegen die Flammenfront

Technologie.- Ob Spanien, Griechenland oder Portugal - auch in Europa wüten jedes Jahr schwere Waldbrände. Um Feuerwehrleute bei schlechter Sicht über den aktuellen Standpunkt der Flammen zu informieren, könnte bald ein spezielles Funksensor-System zum Einsatz kommen.

Von Michael Gessat | 01.03.2011
    Schwarze Rauchsäulen am Horizont – für die Menschen in Spanien ist das ein ebenso beängstigender wie vertrauter Anblick, und das praktisch das ganze Jahr über. Allein für 2010 verzeichnet die amtliche Statistik 11.475 Wald- und Buschbrände – meist entstehen solche Feuer aus Fahrlässigkeit, oft genug werden sie aber auch bewusst gelegt, wenn zum Beispiel Spekulanten aus Wald Bauland machen wollen.

    Ob nach einem Unfall oder nach einer Brandstiftung; ob mit oder ohne Unterstützung durch Löschflugzeuge oder -hubschrauber: Die Feuerwehrleute, die am Boden die Flammen bekämpfen, haben einen riskanten Job. Wenn der Wind auffrischt oder dreht, dann kann ein Routineeinsatz unversehens lebensgefährlich werden:

    "Die Feuerwehrleute sind schnell in einer Falle, wenn der Rauch um sie herum ihnen die Sicht nimmt. Es passiert dann oft, dass sie vollkommen die Orientierung verlieren und in höchste Gefahr geraten, wenn ihnen der Fluchtweg nicht mehr klar ist."

    Maria Angeles Serna von der Universidad de Castilla-La Mancha im spanischen Albacete und ihre Kollegen haben ein Funksensor-System konzipiert, dass Feuerwehrleuten auch bei schlechter Sicht jederzeit die zwei wichtigsten Informationen liefern soll: Wie nah ist das Feuer, und wohin kann man flüchten? Die Idee der Forscher:

    "Ein kleines Flugzeug wirft Tausende streichholzgroße Mini-Funksensoren über dem brennenden Waldgebiet ab und baut so unser Netzwerk auf. Jeder Sensor misst schon während des Falls und dann am Boden physikalische Werte wie Temperatur, Druck und Feuchtigkeit, und die Auswertung und Übertragung dieser Informationen lässt ein ständig aktualisiertes Bild der Flammenfront entstehen."

    Und das wird dann grafisch vereinfacht auf Mobilgeräte mit Farbdisplay übertragen, die alle beteiligten Feuerwehrleute wie eine Armbanduhr am Handgelenk tragen könnten: Das Zentrum der Darstellung ist der eigene Standort; rote Sektoren markieren brennende Gebiete, grüne Sektoren sicheres Gelände; ein animiertes Flammensymbol gibt Auskunft über die letzte von den Sensoren registrierte Bewegung der Feuerfront. Das System der spanischen Forscher ist im Grunde einsatzbereit – ein Praxistest steht allerdings noch aus.

    Auch ein anderes bei der European Conference of Wireless Sensor Networks (EWSN 2011) in Bonn vorgestelltes Ad-Hoc-Funksensornetz soll einmal Feuerwehrleuten bei der Orientierung helfen, oder auch Polizei-Spezialeinheiten bei Geiselnahme-Szenarien – aber nicht unter freiem Himmel, sondern in geschlossenen Gebäuden. Die Idee: Ein Kommandeur etwa in einem mobilen Leitstand vor dem Haus soll mitverfolgen können, wo sich seine Leute bewegen, wo sich zu rettende oder gegebenenfalls feindliche Personen befinden; wo Türen aufgehen oder wo sich Rauch oder Flammen entwickeln – und dann entsprechende Anweisungen geben. Dazu müssen aber die Einsatzkräfte die Sensoren erst einmal selbst verteilen, erklärt Johannes Schmid vom "Karlsruhe Institut für Technologie":

    "Sensornetzwerk ausbringen bedeutet, dass ich beispielsweise in das Gebäude gehe und die Sensoren an die Wand klebe, oder eigentlich die Vision wäre, ich hab eine Tüte von diesen Dingern dabei und werfe die in den Raum, während ich reingehe."

    Das große Problem: GPS, für viele Menschen mit Smartphone schon selbstverständlich, funktioniert innerhalb von Stahlbetonbauten oder Hochhäusern nicht zuverlässig. Schmids Ad-Hoc-Sensoren, an die Wand geklebt, verstreut, oder von den Einsatzkräften am Gürtel getragen, bestimmen notgedrungen mit einem aus der altehrwürdigen See- und Luftfahrt stammenden Prinzip ihre Position: Mit der sogenannten "Koppelnavigation", durch Rückschluss also aus der gemessenen Bewegungsrichtung, der Geschwindigkeit und der verstrichenen Zeit. Und weil diese Methode recht ungenau ist, verbessert bei dem Konzept der Karlsruher Forscher jeder Sensor seine Positionsbestimmung zusätzlich durch eine Messung der Funksignalstärke seiner Nachbarsensoren.

    Trotzdem: Auch, wenn die angeklebten oder später einmal ausgestreuten Sensoren relativ sicher wissen, wo sie sind – die Position von einem zum Beispiel per Infrarot detektierten, sich aber ständig bewegenden Menschen exakt zu bestimmen, das ist alles andere als trivial:

    "An Algorithmen benutzen wir viele stochastische Filter, wir versuchen quasi die Schätzwertvarianz zu minimieren. Wir schätzen ab, wie genau oder ungenau die Messungen sind und versuchen dann vorherzusagen, wo sich die Person mit dem höchstmöglichen Erwartungswert befindet zu jedem Zeitpunkt. Wenn man mit Feuerwehrleuten spricht, sagen die, man soll bis auf einen Meter genau lokalisieren können - das ist etwas, was wir zur Zeit noch nicht erreichen, ganz und gar nicht erreichen. Es ist noch ein weiter Weg, bis das in die Praxis umgesetzt werden kann."