Hergé? Was hält sie von Hergé, dem Zeichner? Die Kellnerin im Kneipenrestaurant muss nicht lange überlegen. Sie setzt zu einer Lobrede an, die in einer wahren Liebeserklärung gipfelt:
"..Hergé - das bedeutet Kultur, Freiheit, Phantasie und Musikalität, - das ist wie der Manneken Pis, das ist wie Jaques Brel, das ist belgisch, das ist gut."
Zu Hergé hat jeder Belgier eine Meinung - und fast immer ist es eine gute. Auch 28 Jahre nach seinem Tod ist der Zeichner in Stadt und Land präsent wie kein zweiter. 2009 öffnete im Städtchen Louvain-La-Neuve sogar ein eigenes Hergé-Museum.
Hergé, mit richtigem Namen Georges Remy, kam 1907 in Brüssel zur Welt. Schon als Kind begann er zu zeichnen, erfährt der Besucher aus dem Kopfhörer seines Audioguide.
"Original Herge... Ich ging in die öffentliche Schule, erklärt er, das war kurz nach Kriegsausbruch. Ich zeichnete kleine Geschichten an den unteren Rand meiner Hefte, Abenteuer ohne Texte, weil ich mir die Dialoge vorstellte. Ich glaube, es ging um ein kleines Männchen, das dem Deutschen tausend üble Streiche spielte. Ich habe kein Exemplar davon aufbewahrt, alles ist velorengegangen. Aber ich kann mich noch genug daran erinnern, um zu sagen: Seit meiner Kindheit mag und erzähle ich gerne Geschichten."
Er wurde begeisterter Pfadfinder. Und veröffentlichte 1929 in einer Zeitung die ersten Abenteuer von Tim und Struppi. Im "Land der Sowjets" irren Tim, der rasende Reporter mit Tolle und Knickerbockern und sein Foxterrier Struppi durch Folterkeller und behaupten sich gegen brutale Kommissare - ein Gruselland, das alle damaligen Klischees gegen die Sowjetunion bediente.
Aber er lernte dazu, die Geschichten wurden besser, und bis 1976 lösten Tim und Struppi in insgesamt 25 Bänden geheimnisvolle Rätsel und überlebten wilde Verfolgungsjagden - ohne auch nur einen Tag zu altern. 230 Millionen Hefte wurden bis heute verkauft, Übersetzungen finden sich in 70 Sprachen, erfährt man im Museum.
Schon bald stehen Tim und Struppi treue Freunde zur Seite: Kapitän Haddock, ein fluchendes Rauhbein mit großer Liebe zum Whisky, der schwerhörige Erfinder Professor Beinlein, sowie Schulze und Schultze, zwei zwillingsähnliche Detektive, die meist keine große Hilfe darstellen, sondern die Lage eher komplizieren.
"Stumm wie ein Grab, das ist unser Motto. - Ich würde sogar sagen: Dumm wie Gras, das ist unser Lotto."
In dem kühnen, modernen Museumsbau veranschaulichen Originalzeichnungen, wie der Autor im Lauf der Jahre seinen ganz persönlichen Stil entwickelte. Katia Baran vom Museum erklärt, was Hergé so eigen macht.
"Hergé war der Vater der klaren Linie. Einfache schwarze Striche legten die Umrisse fest, die Flächen waren einfarbig gehalten, ohne Schatten oder Schraffuren. Es ist ein sehr simples Design. Damit aber entwickelte er eine Unzahl verschiedener Charaktere, und jeder war unverwechselbar und hatte seinen besonderen Ausdruck."
Das Modell einer Rakete erinnert daran, dass Tim und sein Freund Kapitän Haddock die ersten Menschen auf dem Mond waren - im Jahre 1950.
"Bevor Hergé ein neues Album begann, informierte er sich immer erst ausführlich aus allen möglichen Quellen. Er las Fachzeitschriften und sprach mit Wissenschaftlern - es war ihm enorm wichtig, mit seinen Geschichten immer möglichst nahe an der technischen Wirklichkeit zu bleiben."
Die Räume liegen im Halbdunkel, Plastikfiguren sind angestrahlt wie Kostbarkeiten, es herrscht strenges Fotografierverbot - eigentlich fehlt nur noch etwas Weihrauch in der Luft und die Hergé-Kathedrale wäre perfekt. Seine zweite Frau hat das Museum errichten lassen. Da verwundert es nicht, dass hier viel gehuldigt und gar nicht kritisiert wird. Dabei gäbe es durchaus Gründe für eine etwas differenziertere Betrachtung, meint Willem de Grave, der junge Direktor des Comic-Museums im nahen Brüssel:
"Während des 2. Weltkriegs hat er gearbeitet für "Le Soir", das war eine Zeitung, die kontrolliert war von den Deutschen. Nach dem Krieg hatte Hergé dafür einen Prozess, weil - da war Kollaborierung. Er war nicht verurteilt, aber trotzdem hatte er einen schlechten Ruf. Meiner Meinung nach hatte Hergé nicht Sympathie für Nazis, aber es stimmt, dass er in diesem Milieu war"."
Gestattet das Hergé-Museum den Blick in eine eigene Welt, so erschließt ein Besuch im Brüsseler Comic-Museum gleich mehrere Universen. Hier, in einem Jugendstilkaufhaus von 1906, sind sie alle vertreten, die Großen Belgiens ihrer Zunft: Ein Schlumpfmuseum mit Mini-Haus und Mini-Klavier zeigt die Welt der blauen Zwerge. Blake und Mortimer ermitteln im Auftrag von E.P. Jacobs. Auch Gaston ist vertreten, der faule, dumme, aber dennoch sympathische Bürobote, geschaffen von dem depressiven Genie André Franquin.
Und dann taucht hinter einer Saloontür plötzlich ein guter alter Bekannter auf, mit großem Hut, großer Klappe und Kippe auf der Lippe: Lucky Luke.
""Lucky Luke, das ist eine großartige Parodie von Western. Alle Klischees kann man da zurückfinden. Die Chinesen, sie haben immer eine Wäscherei. Es gibt die Pokerspieler mit einem großen Hut, da werden die falschen Karten versteckt. Wenn die Falschspielerei entdeckt wird, dann trägt man sie aus dem Dorf, eingeschmiert mit Feder und Pech. Indianer, sie haben die komischen Rauchsignale, wie man hier sehen kann, Saloons, da gibt es immer Kämpfe, Streiten. Und es gibt auch die Beerdiger."
Das Beerdigungskomitee, die Totengräber - damit hat es eine ganz besondere Bewandtnis. Kahlköpfig sind sie, nikotingelb, manchmal mit einem Geier auf der Schulter - mit einem Wort: Sie sind extrem hässlich und mehr tot als lebendig. Schöpfer Morris hatte hatte da ganz bestimmte Vorbilder im Kopf.
"Der Autor, Morris, auf der Schule war er ein sehr schlechter Schüler. Er hörte nie zu, hat immer gezeichnet. Und er macht auch manchmal Karikaturen von seinen Lehrern. Er hat all diese Karikaturen gesammelt und benützt für seine Beerdiger. Jeder Beerdiger in Lucky Luke ist ein alter Lehrer von Morris. Also perfekte Weise, um Rache zu nehmen für die Schulzeit."
Warum gelten eigentlich gerade die Belgier neben US-Amerikanern und Japanern als eines der comic-vernarrtesten Völker der Welt? Wie kommt es, dass hier allein im letzten Jahr 4000 neue französischsprachige Comics erschienen? Weshalb ringen gleich 800 hauptberufliche Zeichner um die Aufmerksamkeit von 10,5 Millionen Einwohnern?
"Der erste Grund ist historisch, ist sehr einfach, ist Hergé, Tim und Struppi. Hergé war wirklich der erste Comiczeichner auf der Welt, der mit seinen Comics sehr berühmt war. Viele junge Belgier haben gesehen, dieser Hergé kann sein Brot verdienen mit seinen Comics. Machen wir das Gleiche! Hergé war die Lokomotive für einen ganzen Zug voll mit Comictalenten."
Der zweite Grund hat tiefere Wurzeln. Belgien ist ein Land mit drei offiziellen Sprachen. Und es war immer wieder besetzt von anderen Ländern.
"Einen Moment von unsere Geschichte haben die Leute sich auf Spanisch unterhalten, dann französisch, dann deutsch, dann niederländisch - wir glauben, dass die Leute hier sehr schnell verstanden haben, dass kommunizieren mit Bildern so viel einfacher war als kommunizieren mit Sprachen. (18s) Zum Beispiel Kino ist in Belgien ganz beliebt, auch die Maler, sie erzählen oft eine Geschichte - Comics, das ist ein perfektes Beispiel von Bildkultur. Als diese Bildkultur aus Amerika nach Europa gekommen ist, haben die Belgier das sofort geliebt und praktiziert."
Und so bieten unzählige Läden ein breites Sortiment an Comics. Die Boutique "Tintin" offeriert Tim als Schlüsselanhänger für fünf und die Gießharzskulptur für 1500 Euro.
Und am Manneken Pis, dem kleinen belgischen Vorzeigepinkler, turnen hoch über der Straße Tim und Haddock über eine Treppenflucht. Es ist eines der 45 Comic-Wandgemälde, die seit 1991 Brüssel verschönern. Stadtführer Didier Rochette erklärt sie bei einem eigenen Rundgang. Los geht es am Wasserplein-Platz im Altstadtviertel Marolles.
"Der Flohmarkt hier findet jeden Morgen statt, am Wochenende ist immer ziemlich viel los. Hier beginnt die Tim-und-Struppi-Geschichte `Das Geheimnis der Einhorn`. Tim schlendert über den Markt und sucht ein Geburstagsgeschenk für Kapitän Haddock. Plötzlich entdeckt er das Modell eines Segelschiffs. Er will es kaufen, aber im selben Moment kommt ein zweiter Interessent hinzu, dann ein dritter - die ganzen späteren Verwicklungen nehmen hier ihren Ausgang."
Einst wurden im Marolles Dampfmaschinen gebaut - alte Fabrikschornsteine zeugen noch davon. Doch inzwischen gelten die restaurierten Arbeiterwohnblocks aus den 20er Jahren als schick.
Von hier führt ein Aufzug in die Oberstadt - von 40 auf 62 Meter Meereshöhe. Die Terrasse bietet einen großartigen Ausblick auf das überraschend grüne, überraschend abwechslungsreiche Brüssel.
"Ganz hinten sieht man sogar das Atomium. Da ist der Turm auf dem Grand Place. Hinter uns liegt das Justizgebäude, das Poulard, der verrückte Architekt gebaut hat. Und rechts von den großen Türmen, oben auf dem weißen Gebäude, da stehen Figuren vom Tim und Struppi. Da hatte Hergé sein Büro, als er für die Zeitung zeichnete. Heute gibt es da eine kleine Ausstellung, wie das alles anfing, mit den Comicserien..."
Von hier bringt die Metro die Besucher nach Stokkel. Und dort, am Ende der Linie M1, marschiert sie noch einmal auf, die Parade der Bösewichter, Sonderlinge und tapferen Helden.
"Etwa 40 Meter auf beiden Seiten sind bemalt mit Figuren aus Tim und Struppi. Die Herausforderung ist, herauszufinden, wer ist wer, und in welcher Geschichte taucht er wann auf."
Versteht sich, dass Comic-Experte Didier Rochette da keinerlei Schwierigkeiten hat:
""Da ist Ottokar, der König von Syldavien mit seinem Zepter. Dahinter kommen die Drogenschmuggler aus "Die Krabbe mit den Goldenen Scheren". Dann folgt der Bösewicht Rastapopulos und die Taschendiebe aus "Das Geheimnis der Einhorn". Schließlich der Gefängniswärter, den Kopf voller Spaghetti - wahrscheinlich waren sie der Opernsängerin Bianca Castafiore wieder mal nicht al dente genug..."
Es ist eine bunte, originelle - und erstaunlich frische Welt. Die Welt des ewigen Pfadfinders Hergé im nie endenden Kampf gegen das Böse. Wer dabei so erfolgreich war wie seine Geschöpfe Tim und Struppi, der bleibt einfach ewig jung.
"..Hergé - das bedeutet Kultur, Freiheit, Phantasie und Musikalität, - das ist wie der Manneken Pis, das ist wie Jaques Brel, das ist belgisch, das ist gut."
Zu Hergé hat jeder Belgier eine Meinung - und fast immer ist es eine gute. Auch 28 Jahre nach seinem Tod ist der Zeichner in Stadt und Land präsent wie kein zweiter. 2009 öffnete im Städtchen Louvain-La-Neuve sogar ein eigenes Hergé-Museum.
Hergé, mit richtigem Namen Georges Remy, kam 1907 in Brüssel zur Welt. Schon als Kind begann er zu zeichnen, erfährt der Besucher aus dem Kopfhörer seines Audioguide.
"Original Herge... Ich ging in die öffentliche Schule, erklärt er, das war kurz nach Kriegsausbruch. Ich zeichnete kleine Geschichten an den unteren Rand meiner Hefte, Abenteuer ohne Texte, weil ich mir die Dialoge vorstellte. Ich glaube, es ging um ein kleines Männchen, das dem Deutschen tausend üble Streiche spielte. Ich habe kein Exemplar davon aufbewahrt, alles ist velorengegangen. Aber ich kann mich noch genug daran erinnern, um zu sagen: Seit meiner Kindheit mag und erzähle ich gerne Geschichten."
Er wurde begeisterter Pfadfinder. Und veröffentlichte 1929 in einer Zeitung die ersten Abenteuer von Tim und Struppi. Im "Land der Sowjets" irren Tim, der rasende Reporter mit Tolle und Knickerbockern und sein Foxterrier Struppi durch Folterkeller und behaupten sich gegen brutale Kommissare - ein Gruselland, das alle damaligen Klischees gegen die Sowjetunion bediente.
Aber er lernte dazu, die Geschichten wurden besser, und bis 1976 lösten Tim und Struppi in insgesamt 25 Bänden geheimnisvolle Rätsel und überlebten wilde Verfolgungsjagden - ohne auch nur einen Tag zu altern. 230 Millionen Hefte wurden bis heute verkauft, Übersetzungen finden sich in 70 Sprachen, erfährt man im Museum.
Schon bald stehen Tim und Struppi treue Freunde zur Seite: Kapitän Haddock, ein fluchendes Rauhbein mit großer Liebe zum Whisky, der schwerhörige Erfinder Professor Beinlein, sowie Schulze und Schultze, zwei zwillingsähnliche Detektive, die meist keine große Hilfe darstellen, sondern die Lage eher komplizieren.
"Stumm wie ein Grab, das ist unser Motto. - Ich würde sogar sagen: Dumm wie Gras, das ist unser Lotto."
In dem kühnen, modernen Museumsbau veranschaulichen Originalzeichnungen, wie der Autor im Lauf der Jahre seinen ganz persönlichen Stil entwickelte. Katia Baran vom Museum erklärt, was Hergé so eigen macht.
"Hergé war der Vater der klaren Linie. Einfache schwarze Striche legten die Umrisse fest, die Flächen waren einfarbig gehalten, ohne Schatten oder Schraffuren. Es ist ein sehr simples Design. Damit aber entwickelte er eine Unzahl verschiedener Charaktere, und jeder war unverwechselbar und hatte seinen besonderen Ausdruck."
Das Modell einer Rakete erinnert daran, dass Tim und sein Freund Kapitän Haddock die ersten Menschen auf dem Mond waren - im Jahre 1950.
"Bevor Hergé ein neues Album begann, informierte er sich immer erst ausführlich aus allen möglichen Quellen. Er las Fachzeitschriften und sprach mit Wissenschaftlern - es war ihm enorm wichtig, mit seinen Geschichten immer möglichst nahe an der technischen Wirklichkeit zu bleiben."
Die Räume liegen im Halbdunkel, Plastikfiguren sind angestrahlt wie Kostbarkeiten, es herrscht strenges Fotografierverbot - eigentlich fehlt nur noch etwas Weihrauch in der Luft und die Hergé-Kathedrale wäre perfekt. Seine zweite Frau hat das Museum errichten lassen. Da verwundert es nicht, dass hier viel gehuldigt und gar nicht kritisiert wird. Dabei gäbe es durchaus Gründe für eine etwas differenziertere Betrachtung, meint Willem de Grave, der junge Direktor des Comic-Museums im nahen Brüssel:
"Während des 2. Weltkriegs hat er gearbeitet für "Le Soir", das war eine Zeitung, die kontrolliert war von den Deutschen. Nach dem Krieg hatte Hergé dafür einen Prozess, weil - da war Kollaborierung. Er war nicht verurteilt, aber trotzdem hatte er einen schlechten Ruf. Meiner Meinung nach hatte Hergé nicht Sympathie für Nazis, aber es stimmt, dass er in diesem Milieu war"."
Gestattet das Hergé-Museum den Blick in eine eigene Welt, so erschließt ein Besuch im Brüsseler Comic-Museum gleich mehrere Universen. Hier, in einem Jugendstilkaufhaus von 1906, sind sie alle vertreten, die Großen Belgiens ihrer Zunft: Ein Schlumpfmuseum mit Mini-Haus und Mini-Klavier zeigt die Welt der blauen Zwerge. Blake und Mortimer ermitteln im Auftrag von E.P. Jacobs. Auch Gaston ist vertreten, der faule, dumme, aber dennoch sympathische Bürobote, geschaffen von dem depressiven Genie André Franquin.
Und dann taucht hinter einer Saloontür plötzlich ein guter alter Bekannter auf, mit großem Hut, großer Klappe und Kippe auf der Lippe: Lucky Luke.
""Lucky Luke, das ist eine großartige Parodie von Western. Alle Klischees kann man da zurückfinden. Die Chinesen, sie haben immer eine Wäscherei. Es gibt die Pokerspieler mit einem großen Hut, da werden die falschen Karten versteckt. Wenn die Falschspielerei entdeckt wird, dann trägt man sie aus dem Dorf, eingeschmiert mit Feder und Pech. Indianer, sie haben die komischen Rauchsignale, wie man hier sehen kann, Saloons, da gibt es immer Kämpfe, Streiten. Und es gibt auch die Beerdiger."
Das Beerdigungskomitee, die Totengräber - damit hat es eine ganz besondere Bewandtnis. Kahlköpfig sind sie, nikotingelb, manchmal mit einem Geier auf der Schulter - mit einem Wort: Sie sind extrem hässlich und mehr tot als lebendig. Schöpfer Morris hatte hatte da ganz bestimmte Vorbilder im Kopf.
"Der Autor, Morris, auf der Schule war er ein sehr schlechter Schüler. Er hörte nie zu, hat immer gezeichnet. Und er macht auch manchmal Karikaturen von seinen Lehrern. Er hat all diese Karikaturen gesammelt und benützt für seine Beerdiger. Jeder Beerdiger in Lucky Luke ist ein alter Lehrer von Morris. Also perfekte Weise, um Rache zu nehmen für die Schulzeit."
Warum gelten eigentlich gerade die Belgier neben US-Amerikanern und Japanern als eines der comic-vernarrtesten Völker der Welt? Wie kommt es, dass hier allein im letzten Jahr 4000 neue französischsprachige Comics erschienen? Weshalb ringen gleich 800 hauptberufliche Zeichner um die Aufmerksamkeit von 10,5 Millionen Einwohnern?
"Der erste Grund ist historisch, ist sehr einfach, ist Hergé, Tim und Struppi. Hergé war wirklich der erste Comiczeichner auf der Welt, der mit seinen Comics sehr berühmt war. Viele junge Belgier haben gesehen, dieser Hergé kann sein Brot verdienen mit seinen Comics. Machen wir das Gleiche! Hergé war die Lokomotive für einen ganzen Zug voll mit Comictalenten."
Der zweite Grund hat tiefere Wurzeln. Belgien ist ein Land mit drei offiziellen Sprachen. Und es war immer wieder besetzt von anderen Ländern.
"Einen Moment von unsere Geschichte haben die Leute sich auf Spanisch unterhalten, dann französisch, dann deutsch, dann niederländisch - wir glauben, dass die Leute hier sehr schnell verstanden haben, dass kommunizieren mit Bildern so viel einfacher war als kommunizieren mit Sprachen. (18s) Zum Beispiel Kino ist in Belgien ganz beliebt, auch die Maler, sie erzählen oft eine Geschichte - Comics, das ist ein perfektes Beispiel von Bildkultur. Als diese Bildkultur aus Amerika nach Europa gekommen ist, haben die Belgier das sofort geliebt und praktiziert."
Und so bieten unzählige Läden ein breites Sortiment an Comics. Die Boutique "Tintin" offeriert Tim als Schlüsselanhänger für fünf und die Gießharzskulptur für 1500 Euro.
Und am Manneken Pis, dem kleinen belgischen Vorzeigepinkler, turnen hoch über der Straße Tim und Haddock über eine Treppenflucht. Es ist eines der 45 Comic-Wandgemälde, die seit 1991 Brüssel verschönern. Stadtführer Didier Rochette erklärt sie bei einem eigenen Rundgang. Los geht es am Wasserplein-Platz im Altstadtviertel Marolles.
"Der Flohmarkt hier findet jeden Morgen statt, am Wochenende ist immer ziemlich viel los. Hier beginnt die Tim-und-Struppi-Geschichte `Das Geheimnis der Einhorn`. Tim schlendert über den Markt und sucht ein Geburstagsgeschenk für Kapitän Haddock. Plötzlich entdeckt er das Modell eines Segelschiffs. Er will es kaufen, aber im selben Moment kommt ein zweiter Interessent hinzu, dann ein dritter - die ganzen späteren Verwicklungen nehmen hier ihren Ausgang."
Einst wurden im Marolles Dampfmaschinen gebaut - alte Fabrikschornsteine zeugen noch davon. Doch inzwischen gelten die restaurierten Arbeiterwohnblocks aus den 20er Jahren als schick.
Von hier führt ein Aufzug in die Oberstadt - von 40 auf 62 Meter Meereshöhe. Die Terrasse bietet einen großartigen Ausblick auf das überraschend grüne, überraschend abwechslungsreiche Brüssel.
"Ganz hinten sieht man sogar das Atomium. Da ist der Turm auf dem Grand Place. Hinter uns liegt das Justizgebäude, das Poulard, der verrückte Architekt gebaut hat. Und rechts von den großen Türmen, oben auf dem weißen Gebäude, da stehen Figuren vom Tim und Struppi. Da hatte Hergé sein Büro, als er für die Zeitung zeichnete. Heute gibt es da eine kleine Ausstellung, wie das alles anfing, mit den Comicserien..."
Von hier bringt die Metro die Besucher nach Stokkel. Und dort, am Ende der Linie M1, marschiert sie noch einmal auf, die Parade der Bösewichter, Sonderlinge und tapferen Helden.
"Etwa 40 Meter auf beiden Seiten sind bemalt mit Figuren aus Tim und Struppi. Die Herausforderung ist, herauszufinden, wer ist wer, und in welcher Geschichte taucht er wann auf."
Versteht sich, dass Comic-Experte Didier Rochette da keinerlei Schwierigkeiten hat:
""Da ist Ottokar, der König von Syldavien mit seinem Zepter. Dahinter kommen die Drogenschmuggler aus "Die Krabbe mit den Goldenen Scheren". Dann folgt der Bösewicht Rastapopulos und die Taschendiebe aus "Das Geheimnis der Einhorn". Schließlich der Gefängniswärter, den Kopf voller Spaghetti - wahrscheinlich waren sie der Opernsängerin Bianca Castafiore wieder mal nicht al dente genug..."
Es ist eine bunte, originelle - und erstaunlich frische Welt. Die Welt des ewigen Pfadfinders Hergé im nie endenden Kampf gegen das Böse. Wer dabei so erfolgreich war wie seine Geschöpfe Tim und Struppi, der bleibt einfach ewig jung.