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Mit traditionellen Werten punkten

Sinkende Löhne, steigende Arbeitslosigkeit, mindere Qualität und Produktpiraterie made in Asia – die Urteile über den Globalisierungsprozess klingen düster. Doch die Realität sieht anders aus. Auch für Europa bietet der globale Markt Chancen: auf dem eigenen Kontinent sowie weltweit. Denn es bietet mit Werten wie Frieden und Rechtssicherheit Grundvoraussetzungen für Innovationen und wirtschaftlichen Erfolg.

Von Brigitte Scholtes und Michael Braun | 27.04.2008
    Eine freundliche Sprecherin begrüßt die Fahrgäste im Transrapid von der Lóngyáng-Straße in einem Außenbezirk Schanghais zum internationalen Flughafen Pudong. Seit Silvester 2002 verkehrt die deutsche Magnetschwebebahn auf der 30 Kilometer langen Strecke. Doch die anfängliche Begeisterung der Chinesen über diesen deutschen Technikimport ist abgeflaut. Zu teuer, nicht wirtschaftlich und zudem umweltschädlich - diese Argumente, wohlvertraut aus der deutschen Diskussion, hört man nun auch in China. Die ursprünglich geplante Erweiterung in die 170 Kilometer entfernte Nachbarstadt Hangzhou ist derzeit jedenfalls zurückgestellt.

    Es wird also stärker differenziert im Schwellenland China: Nicht längst alles wird mehr unkritisch von den westlichen, alten Industriestaaten übernommen: Da haben sich offenbar Gemeinsamkeiten bei den Beurteilungskriterien, Gemeinsamkeiten auch im Urteil entwickelt. Sind sich die großen Wirtschaftsregionen der Welt nähergekommen?

    Das gilt sicher nicht für den wirtschaftlichen Status quo. In Deutschland liegt das Pro-Kopf-Einkommen bei rund 27.000 Dollar jährlich, in China bei knapp 1000 Dollar. Aber China holt auf. Der Anteil der EU-Staaten am Weltexport hat sich zwischen 1999 und 2005 bei einem Fünftel knapp gehalten. Der Anteil Chinas hat sich stattdessen auf gut zehn Prozent mehr als verdoppelt. Das ging vornehmlich zulasten der Vereinigten Staaten. Deren Anteil am Weltexport fiel in derselben Zeit um ein Drittel auf zwölf Prozent zurück. Der niedrige Dollarkurs in dieser Woche signalisierte diesen Bedeutungsverlust. Christian Tödtmann, Volkswirt bei der DekaBank:

    "Es ist so, dass die Weltwirtschaft heute nicht mehr so stark von den USA abhängig ist wie noch vor zehn oder 20 Jahren."

    China dagegen ist zur viertgrößten Wirtschaftsnation der Welt herangewachsen. Auch andere Regionen ziehen mit: Indien, Malaysia, Singapur, Südkorea, Taiwan und Thailand wachsen ähnlich stark. Das Pazifische Zeitalter sei angebrochen, mutmaßen Teile der Wissenschaft. Das Wachstum bewirkt Gutes: Der Anteil der armen Bevölkerung, der weniger als zwei Dollar täglich zur Verfügung hat, ist seit 1990 von 70 auf 38 Prozent gefallen. Vor einem viertel Jahrhundert waren Hungersnöte in China nichts Ungewöhnliches. Heute ist das nahezu Vergangenheit.

    Die entwickelten Länder haben die Schwellenländer als Produktionsstandort und als Markt entdeckt. Der deutsche Maschinenbau etwa liefert ein Fünftel aller Exporte nach Asien. China ist sein drittgrößter Markt geworden. Der frühere Präsident des Maschinenbauverbandes, Dieter Brucklacher, ist jedenfalls fest überzeugt:

    "Der Maschinenbau gehört eindeutig zu den Gewinnern der Globalisierung, die Unternehmen haben sich diese erstklassige Position im internationalen Wettbewerb in den letzten Jahren hart erarbeitet."

    Und auch der Eindruck, es seien mehr Arbeitsplätze exportiert worden, als hier aufgebaut wurden, scheint falsch. Die Auslagerung von Arbeit ins billigere Ausland dürfte alles in allem kein Schaden für den deutschen Arbeitsmarkt gewesen sein. Selbst die IG Metall räumt das ein. Ihr geschäftsführendes Vorstandsmitglied Wolfgang Rhode:

    "Es gibt da ja also ganz unterschiedliche Schätzungen, man muss da sehr vorsichtig sein, aber unter dem Strich sagen alle wissenschaftlichen Untersuchungen, dass diese Arbeitsplatzbilanz durch eine Internationalisierung der Produktion positiv für die Bundesrepublik Deutschland ausfällt. Wie hoch dieses Saldo dann letzten Endes ist, darüber streiten sich wissenschaftliche Geister. Ich will mich an diesen Zählungen nicht beteiligen. Ich sag nur, das ist positiv, und das ist ein Erfolg für die Wirtschaft hier."

    Natürlich wirkt die Globalisierung nicht überall positiv. Auch die Bundesbank hat in einem Monatsbericht zugestanden, dass das weltweit steigende Angebot niedrig entlohnter Arbeit in den Industrieländern zu wachsenden Einkommensunterschieden beitrage. Dort, wo Löhne nicht flexibel reagierten, könne Arbeitslosigkeit entstehen. Das treffe vor allem gering Qualifizierte. Einzelne Branchen und Personengruppen litten sicher unter den Folgen der Globalisierung. Doch langfristig überwögen die Vorteile. So würden wegfallende Arbeitsplätze durch höherwertige mit besseren Einkommensperspektiven ersetzt.

    Die These, Europa sei ein bloßer Zuschauer des Globalisierungsprozesses, stimmt jedenfalls nicht: Europa gestaltet ihn mit, nutzt ihn, profitiert auch davon, lässt andere als Kunden und Investitionsstandort davon auch profitieren. Sujata Banerjee begleitet deutsche Investoren in die Welt, gibt Tipps, erklärt die unterschiedlichen Kulturen. Die selbstständige Unternehmensberaterin aus Heidenheim, eine Bengalin, die sich in Indien und Deutschland gleichermaßen zu Hause fühlt, erzählt, wie deutsche Unternehmen in Indien empfangen werden:

    "Es ist auf jeden Fall eine Kultur, die einen mit offenen Armen willkommen heißt. Es gilt die alte Devise aus dem Sanskrit, der Gast ist Gott. Man trifft auf unterschiedliche Unternehmenskulturen. Indien ist eine Gesellschaft, die sehr stark im Umbruch ist. Das kann sein, dass Sie einem Familienunternehmen begegnen mit sehr stark patriarchalischen Strukturen. Sie haben aber auch gerade in den softwareorientierten Kulturen eine flache Hierarchienstruktur, wo Sie junge Leute haben, die Ihnen mit einer westlichen Bildung geprägt entgegenkommen, Ihnen die Hand zermalmen mit einem festen Händedruck und Ihnen starr in die Augen sehen, weil ihnen gesagt worden ist, dass das die Verbindlichkeit eines Geschäftkontaktes ausmacht. Also, Sie können zwei Polaritäten begegnen, Sie müssen sozusagen mit allem rechnen."

    Viele westliche Unternehmen haben diese offenen Märkte genutzt, haben sich in den letzten Jahren, ja sogar Jahrzehnten dafür entschieden, Chancen in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu suchen. Waren es zunächst die günstigen Kosten für die Produktion der Waren, so haben die Manager inzwischen eher die Erschließung der lokalen Märkte im Blick. Der Chemiekonzern BASF etwa ist seit Jahren in China aktiv. Im Herbst 2005 wurde nach langer Vorlaufzeit ein Verbundstandort in Nanjing eröffnet, zusammen mit dem chinesischen Partner Sinopec: Das geschah mit entsprechendem chinesischen Pomp.

    Erfahrungen machen auch Finanzdienstleister wie die Deutsche Leasing, die ihre Kunden, meist mittelständische deutsche Maschinenbauer, ins Ausland begleitet, auch nach China. Vor gut zwei Jahren hat die Sparkassentochter ihre Niederlassung in Schanghai eröffnet, und Hans-Michael Heitmüller, Vorstandschef der Deutschen Leasing, erläutert die Beweggründe dafür:

    "Wenn man den riesigen Markt China sieht, der ja nun rein von der Einwohnerzahl her etwa 15-, 16-mal so groß ist wie die Bundesrepublik - der wird sich weiterentwickeln, das heißt also, er wird ein Vielfaches des Volumens des deutschen Marktes auf Dauer produzieren, und da wollen wir halt dabei sein."

    Im Großen und Ganzen haben die Unternehmen bisher positive Erfahrungen gemacht. Denn die Produkte, die die alten Industriestaaten anbieten, die sie an den neuen Standorten herstellen wollen, die werden hochgeschätzt in diesen Ländern. Denn es sind meist Produkte oder Techniken, die diese Länder zu ihrer weiteren Entwicklung benötigen, meint Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank:

    "Wir Europäer, wir Deutschen insbesondere, sind Leute, die Investitionsgüter genauso herstellen können, wie es die Nutzer brauchen. Wir sorgen dafür, dass alles genau passt und dass alles verlässlich funktioniert. Wir sind Leute, die in bestimmten Feldern, zum Beispiel bei der Bewältigung von Abfallbeseitigung, bei der Entwicklung von erneuerbaren Energien, offenkundig einen Forschungsvorsprung haben. Diese Länder sind gierig, unsere Kompetenz möglichst schnell bei sich anzuwenden."

    Der Verkauf hochtechnischer Produkte vor allem in asiatische Länder aber birgt auch Gefahren, etwa die der Nachahmung. Besonders gut spionieren lässt es sich offenbar auf Messen und Ausstellungen weltweit. Der Zentralverband der Elektroindustrie meldete diese Woche von der Hannover Messe, sein Anwaltsnotdienst zur Bekämpfung von Produktpiraterie sei wieder rege in Anspruch genommen worden. Wie beliebt seine Produkte bei einigen Ausländern sind, hat auch Villeroy & Boch, Hersteller von Porzellan und Sanitärkeramik, feststellen müssen, sogar auf der Sanitärmesse ISH in Frankfurt, erzählt Frank Göring, der Vorstandschef des Mettlacher Unternehmens:

    "Auf der ISH vor zwei Jahren, da haben wirklich Asiaten unser Edelprodukt, das hieß Aquagate, so eine Dampfdusche mit allem Zipp und Zapp von Matteo Thun designt, haben die in der Tat an der Seite während der Messe aufgeschraubt und haben die Technik fotografiert und sind dann weggewesen. Also, da passieren Dinge, die sind unglaublich. Aber damit will ich jetzt nicht die Asiaten in eine bestimmte Kiste packen, das sind Einzelfälle. Kopieren ist sicherlich ein großes Thema, das weiß man ja auch aus anderen Bereichen, dass da sehr, sehr viel kopiert wird. Aber irgendwann mal haben die Koreaner auch kopiert und die Japaner, und die größten Marken im Elektronikbereich ist heute LG und Samsung, die haben Top-Innovationsquote, Top-Qualität. Also, das darf man nicht unterschätzen, das wird meiner Ansicht nach mit den Chinesen, definitiv mit den Indern nicht anders werden."

    Hinschauen, wie die anderen das machen - das sollte sich natürlich nicht in Plagiaten erschöpfen. In den Unternehmen sollte ein partnerschaftliches Miteinander und Respekt voreinander den Umgang prägen, meint Rüdiger von Rosen. Als Geschäftsführer des Deutschen Aktieninstituts hat er vielfältige Kontakte nach Asien und sieht sich als Patenonkel der vietnamesischen Börse von Saigon:

    "Uns geht es doch im Endeffekt darum: Schaffen wir Möglichkeiten eines wirtschaftlichen Austauschs auf der Basis gegenseitiger fairer Handelsbedingungen. Und diese Fairness im Umgang miteinander, die auch Respekt vor der geistigen Leistung und dem geistigen Eigentum beinhaltet - darüber muss man sicherlich auch gerade mit Chinesen reden -, ist etwas, was wir durchaus selbstbewusst einfordern und was Chinesen dann auch respektieren werden."

    Dazu scheint es noch zu früh, auch weil sich die Kulturen in vielerlei Hinsicht noch unterscheiden: So ist vielen Asiaten wichtig, zunächst eine freundschaftliche Basis zu schaffen, bevor man Tacheles redet. Dass die deutsche zupackende, direkte Art in Asien nicht goutiert wird, diese Erfahrung hat auch Villeroy-&-Boch-Chef Frank Göring machen müssen. Seine Firma hat Mitte März einen thailändischen Sanitärkeramikhersteller übernommen:

    "Ich bin da schon ein paarmal in Urlaub gewesen und dachte, die kennst du gut, die Thais, so ist das aber nicht gewesen, wenn man dann wirklich in die Verhandlungen einsteigt, dann fragt man sich, was macht der denn jetzt da eigentlich, will der einen auf den Arm nehmen, oder warum zögert der so raus. Man braucht wirklich eine Zeit lang, um zu erfassen, auch mit Unterstützung von Beratern dort drüben, die man dort hat, wie funktioniert denn das dort. Und im Zusammenspiel nachher, man merkt wirklich, wie die Gesamtorganisation sich sukzessive verändert. Und das ist eigentlich die größte Herausforderung für ein Unternehmen, ein Verständnis für die Kultur dort aufzubauen, sonst können Sie dort nicht erfolgreich sein, keine Frage."

    Ähnliche Erfahrungen hat er auch in Mexiko gemacht, wo das Unternehmen Anfang 2006 ein Sanitärkeramikunternehmen erworben hatte:

    "Jetzt will ich mal mit ein paar dtdeutschen Klassikern kommen und sagen, die Mexikaner, die sind halt relativ relaxed, Pünktlichkeit steht nicht wirklich im Vordergrund, wenn die sagen, ich komm gleich, dann kann das auch in zwei Stunden sein, daran muss man sich gewöhnen, dass das so ist. Das ist ja auch gar nicht böse gemeint, sondern die Art und Weise zu arbeiten. Im Ergebnis sind die nachher nicht schlechter als wir."

    Mit diesen Unterschieden in der Herangehensweise müssen die hiesigen Unternehmen leben lernen, sagt Unternehmensberaterin Sujata Banerjee. Aber sie weiß auch, dass in den Schwellenländern viel Selbstbewusstsein gewachsen ist. Inder, die sich in Amerika und Europa haben ausbilden lassen, befördern es:
    "Also die Unterwürfigkeit, die man vielleicht aus Kolonialzeiten her unterstellt, ist längst gewichen. Immer mehr Inder aus dem Ausland strömen nach Indien zurück, weil sie westlichen Lifestyle, westliche Praktiken mit indischen Werten verbinden wollen. Der indische Wirtschaftselefant, der sich sehr langsam in Bewegung setzt, ist bereits dabei, seinen Geschäftsinteressenten davonzugaloppieren. Man muss zusehen, dass man noch rechtzeitig aufspringt."
    Die Zusammenarbeit ist eben eine ständige Herausforderung für die entwickelten Industriestaaten, meint Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank:

    "Diese Länder haben ungeheure Anstrengungen unternommen. Sie geben den meisten Menschen eine gute Ausbildung. Sie lernen, wo immer sie können, ihre Gesellschafts- und ihre Wirtschaftsordnungen zu verbessern, mit einer solchen Kombination muss man erfolgreich sein und wird man gerade dann erfolgreich sein, wenn die Konkurrenten alt werden, müde werden, sich auf ihren Lorbeeren ausruhen, und das kann man von einigen europäischen Ländern durchaus sagen."

    Man müsse eben innovativ bleiben, mahnt Walter die Manager der alten Industrieländer:

    "Wir sollten aber auch erkennen, dass dann, wenn wir mit alten Patenten noch 15 Jahre lang große Erträge machen wollen, das natürlich auch schiefgeht. Wir müssen nicht nur weiter Tüftler bleiben, wir müssen auch endlich lernen, unsere Tüfteleien in Geschäftsmodelle umzusetzen und die dann zu Verkaufserfolgen zu machen."

    Auch die Menschen in den Schwellenländern wollen profitieren: Das beginnt bei besseren Einkommen, die sie sich auch durch die Anstellung bei den westlichen Industrieunternehmen erhoffen. Die Konzerne müssen schon wettbewerbsfähige Einkommen bieten, wollen sie etwa in China qualifizierte Arbeitskräfte gewinnen, sagt BASF-Personalmanager Klaus Petry, der bis vor gut einem Jahr noch das Personal für BASF in China rekrutierte:

    "Ich persönlich empfinde die Motivation unserer Mitarbeiter als sehr hoch. Die Mitarbeiter sind bestrebt, hier Karriere zu machen. Jeder hat vor sich so das Bild, ich möchte es besser haben als meine Familie, als meine Eltern, als meine Großeltern."

    Auch in Lateinamerika ist dieses Bestreben da. Mexiko etwa ist längst nicht mehr nur wegen seiner Mariachis bekannt: Makroökonomisch ist das Land in den letzten Jahren vorangekommen, in den Städten steigen die Löhne, auch bei Volkswagen de México. Thomas Karig leitet dort die Sparte Unternehmensbeziehungen, und er stellt fest:

    "Mexiko ist insgesamt gesehen kein Billiglohnland mehr. Man könnte Mexiko durchaus in die Rangreihe der europäischen Produktionsländer einordnen, nämlich irgendwo vielleicht etwas höher als Osteuropa, aber natürlich niedriger als Westeuropa."

    Doch politisch bleibt Südamerika nicht frei von Unruhen. Das hält Investoren ab. Auch anderswo schrumpfen damit die Möglichkeiten, auf gleicher, rechtlich und politisch sicherer Basis die wirtschaftlichen Aktivitäten auszuweiten und die Globalisierung voranzutreiben. Das bremst die Entwicklung der Schwellenländer.

    Indien ist zwar seit 1950 eine mehr oder weniger stabile Demokratie. Aber hier sind es die jahrhundertealten Kastenstrukturen, die der Freiheit auch der wirtschaftlichen Entwicklung Grenzen setzen: Die alten kulturell bedingten Schranken verhindern hier noch ein wirklich teamorientiertes Miteinander - etwa von Ingenieuren mit den Arbeitern an den Maschinen auf dem shop floor, in der Werkshalle also, sagt Unternehmensberaterin Banerjee:

    "Es kollidiert, spätestens dann, wenn Sie in Indien mit dem Management zufriedenstellende Gespräche geführt haben und dann den Wunsch äußern, den shop floor zu besichtigen. Das kann in vielen Fällen dazu führen, dass Sie betretene Gesichter sehen. Es gibt eine sehr strenge Trennung in Indien zwischen Handarbeit und Kopfarbeit, und das ist ein ganz, ganz großes Problem, dass Bildung immer noch das Privileg der Höhergestellten ist."

    In Deutschland ist dieser Gegensatz schon lange aufgehoben. Zumindest unterliegen die Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch freie Gewerkschaften, Tarifpolitik und Mitbestimmung einer demokratischen Streitkultur. Dieser Umstand, so Barbara Drexler, die an der Frankfurt School of Finance den Studiengang Ökonomie und Philosophie leitet, helfe der deutschen Industrie. Die Innovationskultur in Deutschland, so Frau Drexler, ...

    "... baut auch auf auf einem engem Zusammenspiel zwischen Arbeitgeberverbänden von Gewerkschaften, von einer Mitbestimmung in einem Betrieb, diese Organisation sehen wir noch nicht in China. Von daher bleibt es spannend zu erwarten, ob sich die chinesische Wirtschaft auf dieses Hochpreissegment und Innovationssegment katapultieren kann."

    Die Sorge, dass chinesische Unternehmen europäischen Maschinenbauern den Markt streitig machen könnten, dürfte auch an den politischen Verhältnissen in China scheitern. Die Proteste, die die olympische Flagge begleiten, die Niederschlagung des Aufstands der Mönche in Tibet, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit sind Ausweise eines Systems, das nicht zur Globalisierung passt. Das hat auch ökonomische Konsequenzen: Wer in der Wertschöpfungskette aufsteigen wolle, brauche andere Qualifikationen, meint Wang Jian Mao, Leiter der China European International Business School in Schanghai. Der Staat befördere zwar die Modernisierung der Wirtschaft. Doch die autoritären Strukturen stünden einem Aufstieg Chinas zu einer entwickelten Volkswirtschaft langfristig im Weg:

    "In dieser Entwicklungsphase ist das bestehende politische System noch in Ordnung. Aber für ein höheres Entwicklungsniveau benötigen wir eine andere Regierung. Wir werden uns irgendwann einmal letztendlich auf ein demokratisches System einlassen müssen, weil in der Zukunft die Wirtschaft von Innovationen getrieben wird. Damit Menschen aber kreativ sein können, benötigen sie Freiheit."

    So kann der alte Kontinent Europa im globalen Wettbewerb durchaus punkten. Sozialer Frieden, Rechtssicherheit und ein stabiles Wertegerüst sind die Vorteile. Oder, wie es der Soziologe Ulrich Beck ausdrückte, Europa ist ein Standort von Relevanz.