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Mit verdeckten Karten

Allmählich etabliert sich ihr Ruhm auch bei uns: In diesem Frühjahr ist der dritte Roman der russischen Bestsellerautorin Alexandra Mazinina auf deutsch erschienen. Er heißt "Mit verdeckten Karten", spielt in Moskau und handelt von gefährlichen Ermittlungen in einem Fall von Wirtschaftskriminalität. Ein Kommissar wird ermordet, ein anderer gerät unter Verdacht, und der dritte macht gemeinsame Sache mit der Verbrecherbande. Ein Fall für Kommissarin Anastassija Karnengkaja, der es parallel dazu auch noch gelingt, eine Serie unheimlicher Mordfälle irn Moskauer Umland aufzuklären. Der Zufall hat die beiden Aktionsstränge miteinander verflochten - als Anastassija sie entwirrt, hält die kriminelle Szene selbst Gericht und tötet die Täter durch eine Autobombe,

Brigitee von Kamm |
    Wenn man überhaupt literarische Kriterien anlegen will, so ist diese Geschichte zwar spannend, aber konventionell und stellenweise in lausigem Stil erzählt. In Rußland rechnet man die Krimis der Marinina denn auch nicht zur Literatur, sondern zur "Lektüre", die man mal eben schnell am Kiosk vor einer Bahnreise kauft. Die Autorin selbst weist alle Vergleiche mit Schriftstellerinnen wie Agatha Christie zurück - literarische Ambitionen habe sie nicht.

    Ob nun Literatur oder nur Lektüre - der beispiellose Erfolg dieser Bücher läßt aufhorchen. Alexandra Mariinina ist Rußlands meistgelesene Autorin. Seit 1991 hat sie 21 Krimialromane verfaßt, von denen bis heute 18 Millionen verkauft wurden. Wenn es so ist, daß Massenliteratur den kollektiven Wünschen einer Gesellschaft Ausdruck verleiht, stellt sich die Frage, was der russische Leser in diesen Büchern sucht - und offenbar auch findet.

    Anders als viele vergleichbare Romane haben Marinina-Krimis haben einen konkreten Ort und eine reale Zeit, das Hier und Jetzt. Der Leser findet die Zustände wieder, die ihm tagtäglich auf der Straße und in den Medien begegnen. Viele Geschichten spielen in Moskau, dessen Topegraphie zum Beispiel in dem auf deutsch erschienenen Roman »Mit verdeckten Karten« eine Rolle bei der Aufdeckung rätselhafter Serienmorde spielen. Alexandra M kennt sich aus in der Welt des Verbrechens: 18 Jahre lang, von 1980 bis 1998, hat die promovierte Juristin bei der Miliz gearbeitet: als Wissenschaftlerin, die sich mit Täterprofilen und Verbrechensanalysen beschäftigt. Das Verhältnis, in dem ihre Krimis zur Wirklichkeit stehen, kann man auf folgende Formel bringen: Man sieht Rußland, wie es heute ist - mit dem einen Unterschied, daß die Täter gefaßt werden.

    Und genau dieses eine unrealistische, illusorische Moment ist es, was die sonst überaus wirklichkeitstreuen Bücher der Marinina so attraktiv macht Hier sind sie mit den kollektiven Wünschen ihrer Leser vemetzt. Umfragen zufolge haben russische Bürger ebenso viel Angst vor der eigenen Miliz wie vor Gewaltverbrechem. Die russische Polizei ist durch und durch korrupt: Die Beamteen sind unterbezahlt und deshalb käuflich; Bußgelder erheben sie nach Gutdünken und Bedarf, wer nicht zahlt, wird bedroht. Doch in den Romanen von Alexandra Marinina agieren unbestechliche, unbeirrbare Justizbeamte. Schwarze Schafe unter ihnen entgehen ihrer Strafe nicht. Die Gerechtigkeit wird immer wiederhergestellt, das Gesetz triumphiert. Russische Rezensenten haben diese Krimis wiederholt mit einer Medizin für den Leser verglichen und der SrhriftstelIer Viktor Jerovejew nannte sie sogar "eine Impfung gegen die trübe, alles durchdringende Angst."

    Daß der Kommissar, der in jedem Buch aufs Neue einen grausigen Fall aus der russischen Realität löst, eine Frau ist, gehört ebenfalls zu den Erfolgszutaten dieser Bücher. Anastassija Karnenskaja von der Moskauer Miliz: Mitte dreißig, von unscheinbarem Äüßerem. Sie raucht und trinkt unentwegt Kaffee, hat Probleme mit dem Rücken und die ersten Durchblutungsstörungen in den Beinen. Sie geht ungern auf Verbrecherjagd, fürchtet sich vor Schießereien und ihre Fälle löst sie einzig und allein mit ihren scharfen analytischen Verstand, wenn möglich, ohne sich allzu weit vom Schreibtisch zu entfernen.

    Eine Heldin, die mit ihren Wehwechen und Schwächen, aber auch ihren Stärken zur Identifikationsfigur einer überwiegend weiblichen Leserschaft taugt. Umsomehr, als die postsowjetiscbe Wirklichkeit das Bild der Männer empfindlich beschädigt hat und gerade den Frauen neue Chancen der Selbstbehauptung bietet. Die Kamenskaja bleibt immer gleich, souverän und korrekt, welchen Fall sie auch gerade bearbeitet. Das mag über 21 Folgen hinweg ein wenig seriell wirken, aber gerade das Serielle, die verläßliche Konstante im allgemeinen Chaos, hat etwas Tröstliches für den russischen Leser von heute.

    Ob sich der enorme Erfolg dieser Krimis nun auch im russischen Fernsehen fortsetzen wird, steht noch dahin-, Die erste Folge der Krimiserie "Kamenskaje", zum Jahreswechsel ausgestrahlt, ist bei Zuschauern und Kritik nicht sonderlich gut angekommen. Die unspektakuläre Arbeitsweise der Kommissarin, ihr vieles Dasitzen und Nachdenken, läßt sich in Bildern eben weniger überzeugend gestalten als in Worten.