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Mit vereinter Kraft für Putin

Russlands Premier Wladimir Putin hat mit der "Gesamtrussischen Volksfront" eine gesellschaftliche Organisation ins Leben gerufen, die politische Forderungen einbringen und die Kandidatenliste der Regierungspartei "Einiges Russland" bestimmen soll. Hinter dieser Volksmobilisierung steckt wohl der Versuch, die Partei aus dem Umfragetief zu holen.

Von Gesine Dornblüth | 02.08.2011
    Die Parteizentrale von "Einiges Russland" in St. Petersburg. Im zweiten Stock sitzt Irina Sokolova in einem großen Büro. Die Wände sind leer bis auf ein Porträt des Parteivorsitzenden und Premierministers Wladimir Putin. Irina Sokolova ist Abgeordnete der Staatsduma und beauftragt, die "Gesamtrussische Volksfront" in St. Petersburg und Umgebung aufzubauen. Der Zulauf ist groß. So groß, dass die Politikerin oft bis lange nach Feierabend beschäftigt ist. Sie sieht müde aus.

    "In die Volksfront treten Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft ein. Von Veteranenorganisationen bis zu großen Unternehmen. Sie zeigen mit ihrem Beitritt, dass sie den Vorsitzenden der Partei Einiges Russland, Wladimir Wladimirovitsch Putin, unterstützen. Und sie treten bei, weil sie sehen, dass es in unserem Land vorangeht. Die Front richtet sich nicht gegen jemanden. Das ist eine Front für etwas. Dafür, dass jeder von uns besser lebt. In jedem Hof, in jeder Stadt, im ganzen Land."

    Im Frühsommer schlug Premierminister Putin den Funktionären von "Einiges Russland" bei einem Parteikongress vor, die "Gesamtrussische Volksfront" zu bilden. Seitdem sind hunderte Organisationen dem Aufruf gefolgt. Im ganzen Land. Von der Föderation der Kunstturner über die Union der Kleingärtner und die der Rentierzüchter bis natürlich hin zur Partei "Einiges Russland" selbst. Manchmal treten ganze Belegschaften bei, wie jüngst die 1600 Mitarbeiter eines Hüttenwerks in Novosibirsk. Jeder Neueintritt wird auf der Internetseite der "Gesamtrussischen Volksfront" sogleich bekannt gegeben.

    In St. Petersburg zählt die "Gesellschaft der Autofahrer" zu den ersten Mitgliedern. 180.000 Autofahrer sind dort organisiert, alle gehören nun automatisch zur Volksfront. Und ihr Vorsitzender, Valerij Soldunov, sitzt sogar im Koordinationsrat der neuen Riesen-Organisation. Er hatte aus dem Fernsehen von der Volksfront erfahren.

    "Unsere Organisation existiert seit mehr als 37 Jahren. In dieser Zeit haben sich sehr viele Probleme angehäuft. Wir haben die Regierung oft auf diese Probleme hingewiesen, aber das hat nie etwas genützt. Nun hoffen wir, dass wir mit der 'Gesamtrussischen Volksfront' mehr erreichen."

    Den Autofahrern geht es vor allem um ihre Garagen. Zu Sowjetzeiten wurden sie flächendeckend in der Nähe von Hochhaussiedlungen gebaut. Die Flachbauten erstrecken sich über Kilometer. Investoren wollen sie abreißen und das Land bebauen. Die Autofahrer fordern Entschädigungen. Noch lieber wollen sie an neuen Parkgaragen beteiligt werden. Autolobbyist Soldunow hat die entsprechenden Vorschläge schon in die Volksfront eingebracht.

    "Dort wird zur Zeit eine Liste mit allen möglichen Vorschlägen zusammengestellt. Die Vorschläge gehen nach Moskau und werden später diskutiert. Im Herbst soll ein richtiges 'Volksprogramm' fertig sein. Ich hoffe, dass unsere Vorschläge dort Eingang finden."

    Das klingt nach Bürokratie. Soldunow räumt ein:

    "Natürlich kann das alles ein Bluff sein. Aber ich will nicht gleich vom Negativen ausgehen."

    Soldunow denkt pragmatisch: In Russland entscheide "Einiges Russland", was im Land geschieht. Also müsse man sich mit der Partei arrangieren. Und er sagt ganz offen: Sollte das Problem mit den Garagen zugunsten der Autofahrer gelöst werden, dann könne sich "Einiges Russland" bei der Parlamentswahl im Dezember der Stimmen der 180.000 Autofahrer von St. Petersburg und Umgebung sicher sein.

    Viktor Korencvit sieht das ganz anders. Der Archäologe ist im Vorstand der Gesellschaft für Denkmalpflege in St. Petersburg. Sie ist der Volksfront bisher nicht beigetreten. Die Altstadt von St. Petersburg ist Weltkulturerbe, immer wieder klagen Denkmalschützer gegen die Bauvorhaben der Stadt. Korencvit widerstrebt es, mit seinen politischen Gegnern unter einem Dach vereint zu sein.

    "Diese 'Volksfront' ist doch eine riesige PR-Aktion, die nur dafür da ist, 'Einiges Russland' zu unterstützen, einen Block zu schaffen, der bei der Wahl Stimmen bringt. Ich kann mich nur wundern, mit welcher Begeisterung all diese Organisationen dort eingetreten sind. Wir erinnern uns doch alle noch an die Sowjetzeit. Auch damals hieß es, alle würden das Regime einstimmig unterstützen. Das ist doch alles verlogen."

    Korencvit steht mit seiner Kritik nicht allein da. Das letzte Staatsoberhaupt der UdSSR, Michail Gorbatschow, sagte dem Radiosender Echo Moskvy, die Volksfront bringe Russland nicht voran, sondern zurück.