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Mit viel Optimismus neue Wege gehen

Gemeinsam lernen bis zur 10. Klasse, Bildungserfolg unabhängig von der sozialen Herkunft: 42 Gemeinschaftsschulen starten dieser Tage in Baden-Württemberg mit dem Betrieb. Die grün-rote Landesregierung ist von ihrem Erfolg überzeugt, ebenso wie das Lehrpersonal, wie ein Beispiel aus Walddorf-Häslach zeigt.

Von Michael Brandt |
    Die Gustav-Werner-Schule in Walddorf-Häslach hat sich schick gemacht. In den Fenstern hängen bunte Buchstaben und bilden das Wort "Gemeinschaftsschule", im Pausenhof hat der Elternbeirat Tische aufgebaut, bietet Kaffee und Kuchen an, und in der Aula singt der Schulchor unter der Leitung von Frau Schal.

    Mitten im Getümmel ist Rektor Ralf Michael Röckel allgegenwärtig. Der Mann sieht mit seinem Lockenkopf, dem blonden Vollbart und den blauen Augen ein bisschen aus wie Reinhold Messner und steckt so voller Tatendrang und Optimismus, als ob er gleich den nächsten Gipfel erklimmen will:

    "Ein großer Optimismus, eine ganz ganz große Euphorie. Wir als Kollegium sind wild darauf, diese Gemeinschaftsschule zu gestalten, das Lernen neu zu gestalten, um einfach zu dieser Speerspitze dazuzugehören und das große Reformprojekt der Landesregierung zum Erfolg zu bringen. Wir sind bis unter die Fußnägel motiviert."

    Die Gustav-Werner-Schule ist eine der 42 sogenannten Starterschulen in Baden-Württemberg. Hier soll die neue Schulpolitik der grün-roten Koalition Wirklichkeit werden. Das Ziel von Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer heißt: Bildungserfolg von der sozialen Herkunft unabhängig machen und die Gemeinschaftsschule soll der Weg dorthin sein. Die Kinder hier sollen bis zur 10. Klasse gemeinsam lernen. Eine Kehrtwende nach 50 Jahren schwarz-gelber Bildungspolitik, die bis zum Ende eisern an der Hauptschule festgehalten hatte. Die Gemeinschaftsschule bis heute als Einheitsschule bezeichnet.

    In der Aula wechseln Vorführungen von Chor, Tanzgruppen und Zirkusklasse mit den Reden von Rektor, Landtagsabgeordnetem und Bürgermeisterin ab. Wie es eben so ist, wenn es etwas zu feiern gibt:

    "Wir freuen uns und sind sehr sehr stolz, dass wir in diesem Jahr den Status Gemeinschaftsschule erhalten haben. Und das haben wir natürlich ganz primär unserm Rektor, Herrn Röckel, und allen Lehrerinnen und Lehrern zu verdanken","

    sagt zum Beispiel Bürgermeisterin Silke Höflinger. Röckel, der die Schule seit rund zehn Jahren leitet, hat die Gustav-Werner-Schule, die bislang nur Grund- und Hauptschule war, schon vor Jahren für neue pädagogische Wege geöffnet. Die Kinder werden seit Jahren individuell gefördert, es gibt klassen- und fächerübergreifenden Unterricht. Und die Gustav-Werner-Schule ist die einzige Schule in Baden-Württemberg, in der das Fach Zirkus im ganz normalen Stundenplan steht. Mit diesem Profil hat sich die Schule als Starterschule beworben, hat den Zuschlag bekommen - und kann sich seitdem vor Nachfrage bei Kindern und Eltern kaum retten.

    ""Die Stimmung ist sehr positiv, weil man schon sehr viel von dieser Schule gehört hat und weiß, dass hier gute Arbeit geleistet wird."- "Ich finde das ganze Konzept schon im Vorfeld sehr stimmig, die Informationen, die man im Vorfeld bekommen hat, sehr toll, sehr informativ." - "Sehe ich genauso. Was mich vor allem begeistert hat, ist die Motivation der Lehrer und der Schule insgesamt."

    Bislang war der Hauptschulzweig einzügig, das heißt, es gab pro Jahrgang eine Klasse mit maximal 18 Schülern. Jetzt haben sich 45 Schüler angemeldet, und zwar nicht nur aus Walddorf-Häslach, sondern auch aus den Nachbargemeinden. Denn die neue Schulform bietet bei entsprechender Begabung die Chance nicht nur den Hauptschulabschluss zu machen, sondern auch den Realschulabschluss. Oder sogar aufs Gymnasium zu wechseln. Der erste Jahrgang der Gemeinschaftsschule wird also zweizügig. Es wuppt, wie der Rektor sagt:

    "Es wuppt jetzt schon am ersten Tag. Es wird mit Sicherheit in den ersten Wochen noch so ein paar Kinderkrankheiten geben, wo es noch nicht so ganz rund läuft, aber im Großen und Ganzen unterm Strich ist die Gustav-Werner-Schule ein Erfolgsmodell."

    Am Ende der Einschulungsfeier bekommen die 45 Gemeinschaftsschüler feierlich einen blauen Leitzordner überreicht, der sie durch das nächste Schuljahr begleiten soll. Einer der 45 ist der 11-jährige Philipp Henne. Er hat sich die Veranstaltung ein bisschen verschüchtert angehört. Er hat nicht alles verstanden, was da geredet wurde, aber irgendwie neugierig auf das, was kommt, ist er doch

    "Ähm, weil das halt jetzt halt was Neues ist."

    Den blauen Ordner trägt er stolz mit sich rum, reingeschaut hat er aber noch nicht, bis jetzt -

    "Nee, da habe ich noch nicht so richtig reingeguckt." - "Guck doch mal rein, hier steht: Inhalt des Lerntagebuchs, Kompetenzraster, Diagnosetests. Sagt dir das alles was?" - "Nee, bis jetzt noch nicht."

    Der Junge geht weiter in den ersten Unterricht. Noch gibt es keine Diagnosetests und Lerngruppen, sondern die Schüler lernen erst mal sich und die Lehrer kennen und fahren für 2 Tage ins Schullandheim. Danach, Anfang nächster Woche wird es dann ernst für die 45. Und es wird ernst für das große Reformprojekt der grün-roten Landesregierung. Bislang ist der Optimismus groß. Ob es tatsächlich wuppt, muss sich in den nächsten Monaten erst noch zeigen. Und ob die Gemeinschaftsschule und damit die neue Schulpolitik tatsächlich hipphopp und tipptopp ist, oder ein Flop.