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Mit Volldampf auf der Schiene: Die französische Schwebebahn Aérotrain

Technologie.- Zwischen 1965 und 1974 wurde der sogenannte Aérotrain entwickelt: eine mit Strahltriebwerken angetriebene Luftkissen-Schwebebahn. Trotz dass das Gefährt diverse Geschwindigkeitsrekorde aufstellte, scheiterte das Projekt.

Von Frank Grotelüschen | 17.08.2010
    November 1967. Wie ein Blitz zischt er vorbei, begleitet von einem ohrenbetäubenden Fauchen. Die Reporter sind beeindruckt.

    "Zuerst erreichte das Fahrzeug eine Geschwindigkeit von 300 Kilometern pro Stunde. Jetzt, im zweiten Versuch, sind es sogar 345. Das Fahrzeug, das eigentlich nur darauf ausgelegt ist, eine Geschwindigkeit von 200 km/h zu erreichen, schafft plötzlich 345!"

    Ein neuer Schienen-Weltrekord, aufgestellt von einem ungewöhnlichen Zug: Der Aérotrain schwebt auf einem Luftkissen, angetrieben durch Propeller und Düsentriebwerke. Entwickelt hat ihn der französische Konstrukteur Jean Bertin, inspiriert durch eine deutsche Erfindung aus den 30er-Jahren.

    "Meine Damen und Herren, wir stehen an der Eisenbahnstrecke Hamburg-Berlin, um Ihnen von hier aus heute morgen die Vorbeifahrt des Schienenzeppelin zu übertragen!"

    Der Maschinenbauer Franz Kruckenberg hatte ein stromlinienförmiges Gefährt entworfen, an dessen Ende ein Propeller angebracht war, angetrieben durch einen Flugmotor. Der Schienenzeppelin ist konsequent auf Leichtbau getrimmt: ein Metallgerüst wie bei einem Luftschiff, darüber ein silbern lackiertes Segeltuch – was dem Gebilde ein aerodynamisch-futuristisches Aussehen verleiht.

    "Im Augenblick kommt der Propellerwagen um die Kurve, um jetzt in die Gerade zu gehen, nimmt Richtung auf unser Mikrofon und kommt jetzt hierher mit einer sehr großen Geschwindigkeit!"

    Im Juni 1931 gelingt dem Schienenzeppelin ein Weltrekord.

    "Das Geräusch des Wagens ist jetzt zu hören – Achtung!"

    230,2 Kilometer pro Stunde – eine Marke, die mehr als zwei Jahrzehnte lang Bestand haben soll. Durchsetzen kann sich der Schienenzeppelin aber nicht: Er hat nur Platz für 40 Passagiere, außerdem könnten die unverkleideten Rotorblätter Passanten auf dem Bahnsteig verletzen.

    Jean Bertin will in den 60er-Jahren mit seinem Konzept einen Schritt weiter gehen: Sein Aérotrain fährt nicht auf Rädern und Gleisen, sondern schwebt auf einem Luftkissen wenige Millimeter über dem Boden, in der Spur gehalten von einer Betonschiene ähnlich wie beim Transrapid. Das Patent verspricht weniger Reibungsverluste als das Rad-Schiene-System und damit höhere Geschwindigkeiten. Den Propeller am Heck des Fahrzeugs lässt Bertin von einem metallenen Ring umfassen – ein Sicherheitsvorteil gegenüber dem offenen Rotor des Schienenzeppelins. Bertin gelingt es, eine knapp sieben Kilometer lange Versuchsstrecke nahe Paris zu finanzieren.

    "Wir haben jetzt begonnen, die Fahrzeuge fertig zu stellen. Nun prüfen die Bauingenieure vor Ort die Schienen. Und sobald wir grünes Licht haben, können die Testfahrten beginnen."

    Im Februar 1966 absolviert der "Aérotrain 01" seine Jungfernfahrt – ein Versuchsfahrzeug im Maßstab 1:2, elf Meter lang, getrieben von einem 260 PS starken Propellermotor, in der Schwebe gehalten von zwei Ventilatoren.

    Der Aérotrain 01 ist 200 Kilometer pro Stunde schnell. Im November 1967 schafft eine Variante mit Düsentriebwerk sogar Tempo 345 – Weltrekord. Jean Bertin strotzt vor Optimismus.

    "Wir haben etwas mehr als ein Jahr gebraucht, um diesen Rekord zu schaffen. Das beweist, wie gut das Geld des französischen Staates angelegt ist – 300 Millionen Franc für mehr als 300 Kilometer pro Stunde."

    Angestachelt vom Erfolg setzt Bertin eine zweite Versuchsstrecke durch, diesmal für Züge in Originalgröße. Die 18 Kilometer lange Trasse verläuft nahe Orléans auf Stelzen in fünf Metern Höhe. Ab 1969 werden zwei Schwebezüge getestet: ein Nahverkehrszug für 44 Passagiere, ein Fernzug für 80 Fahrgäste.

    Im März 1974 gelingt dem schwebenden Geschoss wieder ein Weltrekord für spurgeführte Fahrzeuge: 430,2 Kilometer pro Stunde.

    "Die Technik ist gedacht für den Transport zwischen Großstädten, ob in Frankreich, Amerika, England oder Deutschland. Der Aérotrain ist eine mögliche Lösung für das Transportproblem."

    Bertin hat mehrere kommerzielle Strecken im Sinn, etwa die Trasse Paris-Orléans. Für eine Nahverkehrsroute zwischen zwei Pariser Vororten wird im Juni 1974 sogar ein Bauvertrag unterschrieben. Dann aber gewinnt Valéry Giscard d'Estaing die Präsidentenwahl und lässt die Verträge durch seinen Innenminister Michel Poniatowski kurzerhand annullieren.

    "Der Aérotrain fährt zwar sehr schnell, kann aber nur wenige Passagiere befördern. Deshalb ist er für den Verkehr zwischen Großstädten nicht unbedingt optimal."

    Bald darauf stoppt die Politik das Projekt endgültig – und forciert die Entwicklung des Hochgeschwindigkeitszuges TGV. Dessen Vorteile: Er kann das vorhandene Schienennetz nutzen, fährt leiser und wohl auch sparsamer als der Aérotrain.

    Im Dezember 1977 schwebt der Aérotrain ein letztes Mal über die Versuchsstrecke. Danach mottet man die Züge ein, ein Großteil von ihnen wird später bei einem Brand vernichtet.

    Auch die Teststrecken werden abgerissen, übrig blieb ein kärglicher Rest. Dennoch hat die gescheiterte Technik noch heute ihre Anhänger. Und manche Schwebefans haben den Aérotrain sogar wieder auferstehen lassen.

    Und zwar als kleines, aber funktionstüchtiges Spielzeugmodell.

    Zur Beitragsreihe "Rückblicke auf die Zukunft"


    Weiterführende Links

    www.luftkissenzug.de
    www.aerotrain.fr
    http://aernav.free.fr

    Schienenzeppelin:

    www.echolog.de