"Der Gedanke war in erster Linie - in den Ferien wird immer relativ wenig getan - da muss man sich dann zwangsläufig auf die Schule wieder ein kleines bisschen vorbereiten. Und da freiwillig oft nichts passiert, das Drängeln der Mutter aber oft als nervend empfunden wird - da habe ich gedacht, da machst Du es diesmal auf die andere Art."
Ferien einmal auf andere Art. Für Daniela Wiskas Kinder heißt das in diesem Jahr: vormittags lernen und nachmittags reichlich Action und Frischluft tanken. Und zwar im österreichischen Kleinwalsertal. Hier - inmitten saftiger Almen und hoher Berge - findet ein so genanntes "Lerncamp" statt. Ein Projekt, das vor zwei Jahren gemeinsam von drei Partnern geboren wurde: der Zeitschrift "Focus Schule", dem kommerziellen Unternehmen "Schülerhilfe" und dem Kleinwalsertal. Eltern und Schüler - so die Idee - sollen dabei gleichermaßen im Urlaub auf ihre Kosten kommen. Marketingleiterin Sandra Janser von Kleinwalsertal Tourismus:
"Ich denke, dass es für beide Seiten sehr schön ist - die Kinder haben vormittags Nachhilfe. Am Nachmittag können sie sich austoben an der frischen Luft - und Dinge machen, die sie zu Hause nicht machen. Und die Eltern können im Urlaub ihre freie Zeit auch genießen und auch mal für sich alleine sein, einen Spaziergang machen oder Wellness genießen oder was auch immer, ein bisschen freie Zeit haben."
Natürlich sind die Ideen des Tourismusverbandes nicht ganz ohne Hintergedanken. Die Urlaubsregion will sich ein frischeres Image verschaffen und vor allem für Familien mit Kindern attraktiver werden. Und das Konzept scheint aufzugehen: Das Lerncamp erfreut sich im dritten Jahr wachsender Beliebtheit. Knapp 60 Kinder wurden in diesem Sommer angemeldet. Die Kombination von Urlaub und Unterricht wendet sich nicht nur an Schüler mit schlechten Noten. Die Kinder von Daniela Wiska zum Beispiel sollen einen Englisch-Kurs am Vormittag besuchen. Nachhilfe im klassischen Sinne brauchen sie eigentlich nicht. Sohn Yannick glänzt mit guten Noten auf seinem Grundschul-Abschlusszeugnis:
"Also, ich habe auf dem Zeugnis acht Einsen, zwei Zweien und eine Drei."
Trotzdem befürchtet seine Mutter, dass er beim anstehenden Wechsel aufs Gymnasium den Anschluss verlieren könnte:
"Da man nie weiß, wie die anderen Kinder auf den anderen Schulen so im Unterricht waren und was die alles gemacht haben, war es mir einfach sehr wichtig, dass man da noch mal ein bisschen guckt, dass der Level der gleiche wird und vielleicht auch schon mal ein bisschen vorgreift auch."
Auch Tochter Ann-Sophie soll in den Ferien vorsichtshalber ein bisschen pauken - gehört sie doch zum ersten Jahrgang in Nordrhein-Westfalen, der das Abitur in 12 statt 13 Schuljahren ablegen soll. Daniela Wiska:
"Da kommt unheimlich viel auf sie zu. Die Lehrer sind sehr planlos, es weiß keiner so recht: Wie gehe ich damit um? Und anstatt den Unterricht zu kürzen, wie es eigentlich mal gedacht war, wird den Kindern jetzt mehr aufgebürdet, die müssen zu Hause wesentlich mehr machen."
Die 14-jährige Susanne Peter aus dem Saarland muss ebenfalls das so genannte "G8", also das "Gymnasium in acht Jahren", absolvieren. Das Fach, das ihr am meisten Probleme bereitet, ist Mathematik:
"Auf dem Zeugnis hatte ich jetzt eine Vier, in manchen Arbeiten habe ich eine Drei, habe auch manchmal eine Fünf geschrieben - also - manche Themen kann ich auch, aber andere nicht."
So steht sie unter anderem mit Gleichungen und binomischen Formeln auf Kriegsfuß, doch bei der Anmeldung fürs Lerncamp hatten ihre Eltern noch ein anderes Motiv einkalkuliert. Ihre Mutter Andrea Leinen-Peter:
"Wir wollten sie halt mit in den Urlaub nehmen, weil sie uns zu jung war, um sie alleine zu Hause zu lassen. Andererseits wissen wir schon aus dem letzten Jahr - sie läuft nicht mehr gerne den ganzen Tag mit uns. Und dann ist das für sie auch etwas langweilig. Wir haben uns erhofft, wenn sie hier nette Gesellschaft findet, dann hat sie auch am Nachmittag Programm mit Gleichaltrigen."
Klettern und andere sportliche Abenteuer zum Ausgleich - dieses Konzept gefällt auch dem Vater von Frederik Gehrmann. Doch das Vergnügen gönnt er seinem Sohn erst nach ein paar Lerneinheiten am Vormittag. Gleich zwei Fächer hat er ihm aufgebrummt: Englisch und Mathe, und zwar drei Wochen lang. Grund für das Intensivprogramm: plötzliche Leistungseinbrüche bei dem 14-jährigen im vergangenen Schuljahr.
"Er ist sieben Jahre lang ein relativ guter Schüler gewesen, hat mit sehr geringem Aufwand sehr gute Ergebnisse erreicht - und dann ging es im freien Fall im Gymnasium in der achten Klasse bergab. Er hat jetzt mit Hängen und Würgen die Klasse gepackt - und wir sehen das als gute Möglichkeit, dass er das aufholt, was im Schuljahr nicht passiert ist - um für die Neunte gerüstet zu sein."
Und für ein gutes Rüstzeug sind manche Eltern auch bereit zu investieren. Anderthalb Stunden Nachhilfe am Vormittag, Mittagessen und Freizeitprogramm am Nachmittag kosten pro Woche 260 Euro. Für Frederik Gehrmann, der alleine unterwegs ist, kostet das Gesamtpaket mit zwei Vormittagskursen inklusive Übernachtung und Vollpension knapp 600 Euro. Doch der erhoffte Lernvorsprung, eine solidere Wissensbasis und mehr Selbstbewusstsein im nächsten Schuljahr sind den Eltern die Ausgaben offenbar wert. Die Mutter Monika Büttner erwartet sich dafür von ihrem Sohn Daniel auch eine gute Mitarbeit:
"Ich habe ihm schon klar gemacht, dass das viel Geld kostet und dass das schon effektiv was bringen muss, wenn er das macht."
Daniel steht ein wenig unter Erfolgsdruck. Wie steht es also um seine Laune am ersten Tag im Lerncamp?
"Nicht so gut, einfach wieder gelangweilt, habe keinen Bock - würde lieber noch weiter schlafen."
Auch die anderen Schüler sind nicht wirklich euphorisch:
Esther: "Na ja - so richtig Lust habe ich nicht."
Susanne: "Ich bin ein bisschen aufgeregt, wie das alles so abläuft, aber ansonsten freue ich mich darauf."
Frederik: "Lernen in den Ferien ist nicht so mein Ding, aber mal schauen wie es wird."
Tag zwei im Lerncamp Kleinwalsertal. Gleich hinter der Kirche in Mittelberg befindet sich die kleine Dorfschule, in der unterrichtet wird. Hier scheint die Schulwelt noch in Ordnung. Strahlend weiß leuchtet das Gebäude, kein einziges Graffiti verschandelt die Fassade. Freundlich grüßt eine bunte Kuh aus Pappmaché am Eingang und über den Toilettentüren hängen geschnitzte Holzschilder mit den Aufschriften "Knaben" und "Mädchen". Und auch sonst ist der Lernalltag hier wohl für die meisten anders als zu Hause. Unterrichtet wird nämlich in Kleingruppen von maximal fünf Schülern. Im Grundschulkurs Deutsch muss Nachhilfelehrerin Karina Wibowo Kinder der Klassen 1 bis 4 gleichzeitig beschäftigen.
Keine leichte Aufgabe, alle zufrieden zu stellen. Auch in den anderen Vormittagskursen sind die Schüler bunt gemischt: unterschiedliche Schulformen, unterschiedliche Altersstufen. Doch das sei keine Notlösung, sondern System sagt Manuela Lang von der "Schülerhilfe", einem der bekanntesten Nachhilfeanbieter im deutschsprachigen Raum. Als Gebietsleiterin für den Raum Allgäu ist Manuela Lang auch für das Lerncamp im Kleinwalsertal zuständig:
"Die Schülerhilfe bietet Nachhilfe in kleinen Gruppen an, individuelle Nachhilfe in kleinen Gruppen, fächerspezifisch, aber die Gruppen sind als solche immer gemischt - von den Schularten, von den Klassen. Die Kinder sind Gymnasium und Hauptschule und 8. Klasse und 7. Klasse. In der Regel haben wir die Grundschüler beieinander und die Großen, es kann sich auch mal mischen. Das kann den Kleinen mal ganz gut tun, bei den Großen dabei zu sein und umgekehrt."
Soweit die Theorie. In der Praxis kann das für die Nachhilfelehrer ganz schön stressig werden. Marion Schäfer hat in ihrer Englisch-Gruppe nicht nur drei quirlige Sechst- und Siebtklässler zu koordinieren, sondern auch eine Oberstufenschülerin, die nach den Ferien in die Zwölf kommt:
"Ich kann nur versuchen, die Große, die kurz vor dem Abitur steht, anders zu beschäftigen, ich kann die hier nicht mit einbringen. Die anderen drei gehen einigermaßen zusammen, aber für die Lena wäre das ja Pillepalle, deswegen müssen wir sie ein bisschen selber beschäftigen."
Während die Jüngeren mit ziemlichem Radau Vokabeln üben, versucht Lena Laue eine schriftliche Übung zu machen:
"Ich löse eine Abschlussprüfung von der Realschule von vor zwei Jahren - meine Nachhilfelehrerin möchte dann sehen, wo ich noch Fehler mache, wo sie mir noch helfen kann."
Der 18-Jährigen fällt es nicht leicht, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Doch es mache ihr nichts aus, mit Jüngeren zusammen zu lernen, sagt sie. Zumindest am Anfang, später wird sie ihre Meinung allerdings noch ändern. Im Mathe-Kurs nebenan dagegen herrscht das, was Lena dringend gebrauchen könnte: konzentrierte Ruhe.
Zu Beginn der Stunde fragt Nachhilfelehrer Martin Johler jeden Schüler, was er wiederholen soll. Dann heißt es schnell reagieren: die passenden Aufgaben stellen und immer um den Tisch herum von Schüler zu Schüler gehen, Fragen beantworten, korrigieren, neue Aufgaben verteilen. Das funktioniert hier ganz gut, denn obwohl die Kinder aus unterschiedlichen Schulstufen kommen, haben in seiner Gruppe alle ähnliche Probleme. Martin Johler:
"Man kann mit allen so mathematische Grundrechenarten üben. Binomische Formeln gibt es in jeder Schulform, man findet so einen Mittelweg. Sie helfen sich gegenseitig, stacheln sich gegenseitig an...passt alles."
Und so hat auch Susanne schon nach relativ kurzer Zeit das Kriegsbeil mit den binomischen Formeln begraben. Richtig viel Lust auf Mathe hat sie deshalb zwar immer noch immer nicht, aber die anderthalb Stunden am Vormittag sind schnell rum - und dann lockt der spannende Kletternachmittag:
"Morgens der Unterricht - klar - man hat in den Ferien keine Lust auf Schule, aber ich sehe das einfach positiv, ansonsten würde ich auch zu Hause sitzen und ein bisschen was wiederholen für die Schule. Jetzt - so kombiniert mit nachmittags - ,da freut man sich dann schon darauf- auf mittags das Programm."
Zwei Stunden später im Nachbarort Baad. Wer nicht mit seinen Eltern den Nachmittag verbringen will, den erwartet hier - im hintersten Winkel des Kleinwalsertals - ein abenteuerliches Freizeitprogramm. Gestaltet wird es von "Outward Bound", einem Anbieter von Erlebnispädagogik. Nach dem Stillsitzen am Vormittag haben die meisten Lust, sich zu bewegen. Auch das Mittagessen gibt es hier - und damit erleben die Schüler wirklich zum ersten Mal so was wie Campalltag. Tisch decken, abräumen, spülen, abtrocknen. Alle müssen anpacken. Anschließend sind Kletterkünste gefragt. Betreuer Stephan Schuler gibt die erste Lektion:
"Also - hier haben wir einmal so einen blauen Gurt, das nennen wir den Sitzgurt. Am besten ihr legt ihn so vor Euch hin, wie ein Gesicht, in der Mitte gibt es zwei Augen - und hier vorne, der große Ring hier..."
Beim ersten Mal dauert es ziemlich lange, bis alle Gurte, Laschen, Ösen, Haken und Helme gut und sicher sitzen. Und dann wird gleich geprobt, wie es sich anfühlt, in der Steilwand zu hängen - diesmal noch nicht am Naturfelsen, sondern an der Hauswand. Fest in Sitz- und Brustgurt verschnürt wird der Viertklässler Alexander Reinholdt von den anderen Schülern per Flaschenzug nach oben gehievt. Das pädagogische Ziel - Verantwortung übernehmen und das Material kennen lernen. Stephan Schuler:
"Vertrauen ins Material zu finden, dass es einen trägt und sicher ist. Zum anderen auch Vertrauen finden - in die Personen, die mich sichern."
Die 9-jährige Antonia Müller traut der Sache noch nicht so ganz. Angst hat sie zwar angeblich keine:
"Nur na ja, wenn die dann alle so ziehen, dann ist das vielleicht nicht ganz ungefährlich." (lacht)
Lernen in den Ferien - das verbinden viele mit Sprachkursen oder Sprachreisen. Aber regelrechte Lerncamps, wie das im Kleinwalsertal, wo Schüler gezielt Schulstoff nachholen oder vertiefen, die sind noch relativ unbekannt. Umfragen zeigen:
"Lerncamps sind für mich erst mal neu. Da müsste ich mich erst mal mit dem Gedanken vertraut machen. Also ich denke, dass die Kinder unterm Jahr doch eigentlich von der Schule her so beansprucht werden, dass so ein paar Wochen Ferien auch nicht schaden. Wobei - wenn das Kind Defizite hat - die werden bei den Lerncamps ausgeräumt, oder? Dann ist es vielleicht schon eine Hilfe. Es gibt ein Für und Wider."
"Ich wäre eher dafür, dass man Ganztagsschulen einführt, das ganze Konzept mal durchdenkt und optimiert und dann ist die Notwendigkeit für so ein Camp, das in den Ferien passieren soll, gar nicht mehr gegeben."
"Ich finde es prinzipiell eine gute Idee, die Kinder zu fördern, aber ich sehe die große Gefahr, dass man sie dann auch überfordert, dass man zuviel des Guten macht. Ich finde, Kinder haben in der Schule schon viel um die Ohren, dann ist nachmittags noch Sport oder Ähnliches. Die Ferien sind doch eigentlich zum Füße hochlegen da."
Und was sagen Experten zum Lernen in den Ferien? Ist die schulfreie Zeit nicht auch eine notwendige Pause für die Schüler? Heinz-Peter Meidinger meint: Ja. Er ist der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes und vertritt vor allem die Sicht der Gymnasiallehrer:
"Ferien sind eminent wichtig für Schüler, weil sie die Möglichkeit bieten, über einen größeren Zeitraum hinweg, Schulsorgen zu vergessen, sich zu erholen, zu regenerieren und auch neue Kraft zu sammeln für das neue Schuljahr."
Erholen - ja! Doch die ganzen Ferien die Füße hochlegen? Das könne auf Dauer nicht nur öde, sondern auch von Nachteil sein, meint der Bayreuther Pädagogik-Professor Ludwig Haag. Dass Kinder die ganzen 6 Wochen Ferien benötigen, sei eigentlich ein überholtes Klischee:
"Hinter dem Klischee steckt doch diese dumme Geschichte 'Lernen ist gleich Leiden, Lernen tut weh'. Man kann es auch positiv formulieren: Lernen kann auch bedeuten: eine Zusatzration Bildung - dann schaut es doch gleich ganz anders aus."
Ähnlich sieht das Petra Stanat, Professorin für empirische Bildungsforschung an der Freien Universität Berlin:
"Wir haben hier in Deutschland oft die Neigung, zu sehr zu trennen zwischen einerseits dem harten Lernen und der schweren Arbeit - das Lernen, das so trocken ist und langweilig - und andererseits der Spaß, das muss ja nicht so sein."
Lernen - sagt Petra Stanat - könne schließlich auch Spaß machen. Nicht umsonst seien Mathe- und Chemiecamps für Schüler mittlerweile sehr beliebt. In den USA sei außerdem wissenschaftlich nachgewiesen, dass - insbesondere Kinder aus bildungsfernen Schichten - in den dreimonatigen Sommerferien erheblich an Kompetenzen einbüßen. In Deutschland sei das aufgrund der kürzeren Ferienzeit so zwar nicht nachweisbar, dennoch könne man sich - was die Schülerförderung in den Ferien angeht - einiges von den USA abgucken. Petra Stanat:
"Man hat schon lange die Erkenntnis in den USA, dass man die Zeit auch nutzen kann - für verschiedene Dinge, einmal gibt es dort so genannte 'Enrichment -Camps', da geht es darum, dass man Schüler, die besondere Interessen haben, dass man diese Interessen fördern. Das können Sportcamps sein, dass können aber auch Theaterspielen oder kreatives Schreiben sein. Und eben auch dort die Erkenntnis, dass man die Zeit nutzen kann, um Defizite auszugleichen, also das, was die Schülerinnen und Schüler über das Jahr nicht erreicht haben, dass man da versucht, ihnen zu helfen, aufzuholen."
Auch der Kölner Schulpsychologe Albert Zimmermann ist der Meinung, dass wohl dosierte, anregende Lernerfahrungen die Kinder nicht um die verdiente Erholung bringen. Konzentriertes Pauken - zum Beispiel für eine Nachprüfung - sei dagegen nur unter bestimmten Voraussetzungen ratsam. Erstens: die Defizite dürften nicht zu groß sein:
"Das heißt, wenn man über Jahre hinaus ein Defizit auf das andere geschichtet hat, und alles irgendwann zusammenbricht, dann hilft auch das Lernen in den Ferien nichts mehr. Der zweite Punkt ist: Es ist nicht jedes Kind für jede Schulform geeignet. Und wenn es darum geht, dass jemand, der nicht für die Schulform geeignet ist, Defizite hat, dann ist das Lernen in den Ferien nicht sinnvoll, denn im nächsten Jahr gerät der Schüler garantiert wieder in die Enge."
Außerdem sei es wichtig, dass die Kinder von sich aus mitziehen. Für viele Teilnehmer im Lerncamp Kleinwalsertal trifft das zu. Denn versetzungsgefährdet sind die meisten nicht, ein kleiner Lernvorsprung ist das Ziel. Und manche kommen auch schon als Grundschüler. Wie Felix Spandöck, der im Lerncamp Kleinwalsertal seine Rechtschreibung verbessern soll:
"Ich sollte das machen, damit ich mehr Chancen habe, auf das Gymnasium zu kommen. Und das nächste Halbjahr wird ja das Entscheidende sein."
Die Angst der Eltern, dass es ihr Sohn nicht schaffen könnte, ist aus Felix Spandöcks Worten deutlich heraus zu hören. Je höher die Schulform, desto besser die Chancen auf einen Ausbildungsplatz, desto prestigeträchtiger der Beruf, desto mehr Geld wird man einmal verdienen - diese Formel werde Kindern schon früh eingebläut, so Schulpsychologe Albert Zimmermann:
"Immer dann, wenn die Schulform infrage gestellt wird, dann werden auch Ängste wach. Dann gibt es die ganz berühmte Aussage: Dann musst du eben Müllmann werden. Das ist so demoralisierend."
Demoralisierend, aber aus Elternsicht durchaus nachvollziehbar, meint Manuela Lang von der "Schülerhilfe". Als Mutter bangt sie selbst um die Zukunft ihres Sohnes:
"Mein Sohn ist 9. Klasse Realschule - wir fangen jetzt an mit Lehrstelle suchen - es ist Druck da - es ist Stress da. Unter einem Schnitt von 3,0 braucht man sich nicht zu bewerben, natürlich wächst da der Druck auf meinen Sohn, dass er eine gute Lehrstelle bekommt."
Zusätzlicher Druck auf Schüler entsteht außerdem in den Bundesländern, wo das Gymnasium von 9 auf 8 Jahre verkürzt wurde, wie beispielsweise in Bayern, Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Diese Erfahrung hat auch Norbert Peter gemacht, dessen Tochter Susanne im Lerncamp Mathe-Nachhilfe bekommt:
"Wir selbst haben den Vergleich zwischen G8 und G9. Wir haben eine Tochter, die auf G9 noch Abitur gemacht hat. Und eine Tochter, die es jetzt auf G8 versucht - und wir können also deutliche Unterschiede in den Anforderungen feststellen. Man hat den Eindruck, der Stoff ist im Grunde der Gleiche - es wird nur schneller vorgegangen."
So sei das Pensum für ihre Tochter oft nur mit Hilfe der Eltern zu bewältigen - ergänzt seine Frau:
"Ich habe den Eindruck: Die Schüler, die sehr gut sind, die schaffen es auch so, ohne Probleme. Aber alle, die Mittelmaß sind, die haben vielleicht das Glück, dass sie zu Hause Eltern haben, die nachhelfen können - das ist ja auch Nachhilfe, nur kostet die nichts. Oder sie müssen Geld in die Hand nehmen und Nachhilfe bezahlen. Und wenn sie es nicht können, da bleiben die Kinder auf der Strecke."
Kein Wunder also, dass Angebote zur Schülerförderung in den Ferien auch in Deutschland auf immer größeres Interesse stoßen.
Morgens Kurvendiskussion, nachmittags Klettern - so sieht grob gesagt der Alltag im Lerncamp Kleinwalsertal aus. Doch Schülerförderung im Urlaub - das ist in Deutschland noch die Ausnahme. Die meisten Schüler, die in den Ferien lernen müssen, tun das zu Hause. Auch hier können sie natürlich professionelle Unterstützung bekommen. Zum Beispiel in den Ferienkursen der heimischen Nachhilfeinstitute. Wie unterscheiden sich diese Kurse von dem regulären Angebot? Britta Gelb vom "Studienkreis" in Köln-Weiden:
"Der eigentliche grundsätzliche Unterschied besteht darin, dass wir während des Schuljahres inhaltlich tatsächlich auf den Unterricht eingehen, dass wir z. B. Hausaufgaben - wo Fragen offen sind - klären. Wir halten uns eng an den Unterricht und wollen da Lücken aufarbeiten. In den Ferien hat man die Möglichkeit, ein komplettes Schuljahr zu reflektieren - aber da natürlich ganz explizit zu fragen - jeden einzelnen Schüler - was möchte er gerne noch mal wiederholen."
Das Konzept ist also ähnlich wie bei der Schülerhilfe im Kleinwalsertal, nur nicht so kompakt, denn die Ferienkurse finden beim "Studienkreis" in Köln nicht täglich statt. Doch auch hier sind die Schüler nicht alle gleich alt. Im Deutsch-Kurs von Britta Gelb zum Beispiel sitzen gerade Kinder der 6. bis 9. Klasse. Sie sollen einen Zeitungsartikel über "Harry Potter" in Gruppenarbeit analysieren:
"Dann möchte ich als erstes, dass Ihr den Text in Sinnabschnitte einteilt und diesen Überschriften gebt. Danach beschäftigt Ihr Euch bitte mit dem sprachlichen Aufbau, fallen Euch Metaphern auf, wie ist der Text gegliedert - das habt ihr ja schon in der Aufgabe 1 erledigt."
Die Schüler sollen zusammen arbeiten, denn nicht alle haben die Textanalyse schon durchgenommen. Es geht nur schleppend vorwärts - am Ende haben die Schüler gerade mal den Text gelesen und ein paar Überschriften gefunden, der Rest wird auf die nächste Stunde vertagt. Für Nachprüflinge wäre diese Art der Wiederholung nicht intensiv genug. Doch viele Kinder besuchen auch aus ganz anderen Gründen die Ferienkurse - meint die studierte Germanistin Britta Gelb:
"Wir haben doch einige Schüler, die aus welchen Gründen auch immer gar nicht im Urlaub sind und auch gar nicht fahren werden. Und die ersten drei Wochen - das ist natürlich ganz schön, aber irgendwann kommt diese Langeweile, weil viele Eltern sich nicht darum kümmern können, weil sie keine Zeit haben oder weil sie arbeiten müssen und auch nicht sechs Wochen am Stück frei bekommen."
Die Nachhilfe-Institute gelten zwar offiziell nicht als Kinderbetreuung, aber viele Eltern wissen offenbar, dass ihre Kinder dort gut aufgehoben sind und etwas Sinnvolles tun. Versetzungsgefährdete Schüler findet man allerdings nicht in diesen Kursen. Sie werden beim "Studienkreis" im Einzelunterricht vorbereitet. Zehn Doppelstunden kosten 380 Euro. Wer weniger Geld ausgeben möchte, kann auch Kurse belegen, wie sie von vielen Städten angeboten werden. In Köln kostet der dreiwöchige Ferienförderkurs rund 130 Euro - Hartz-IV-Empfänger sind von den Gebühren befreit:
Im Gegensatz zur Nachhilfe in vielen freien Instituten werden die Förderkurse der Stadt Köln von ausgebildeten Lehrern geleitet. Bernhard Schröter ist Direktor einer Hauptschule in Brühl. Die Ferienförderkurse gibt er seit Jahren. Ganz einfach, weil es ihm Spaß macht:
"Man hat hier eine fast märchenhafte Situation. Hier kommen Schülerinnen und Schüler, die Lust haben zu lernen, die lernen wollen, die sich darauf einlassen, die eigentlich keine Minute verlieren wollen. Der nächste Punkt ist, wir haben Kleingruppen von vier bis sches, manchmal sieben Schülern. Es ist eine fast familiäre Atmosphäre, jeder kann jederzeit etwas fragen. Das sind ideale Bedingungen für einen Lehrer."
Und nicht nur für die Lehrer. Auch für die Schüler sind die Förderkurse in der Regel erfolgreich: Knapp 70 Prozent der Teilnehmer schaffen die Nachprüfung. Bernhard Schröter sieht gewisse Vorteile gegenüber kommerziellen Nachhilfe-Instituten:
"Ich kann nur sagen, viele Kollegen, die hier arbeiten, machen es seit vielen Jahren, können auf sehr viel Erfahrung zurückgreifen - können in kurzer Zeit maximalen Stoff beibringen - das ist sicherlich ein Pfund in der Waage , was wir haben, einfach diese Erfahrung - und auch die Tatsache, dass viele Kolleginnen aus dem Alltag kommen, wissen, was ist in der Nachprüfung gefragt ist."
Aber mitmachen dürfen nur die Schüler, die das Klassenziel nicht erreicht haben und zur Nachprüfung zugelassen sind. Für Bernhard Schröter würden solche Kurse durchaus schon früher Sinn machen:
"Das ist jetzt nicht ein Votum für die Thematik Sitzen bleiben oder nicht - das sage ich jetzt mal ganz deutlich. Aber wenn ich mich hier als Lehrer auf meinen Kurs konzentriere, dann kann ich nur sagen: Es bringt für den Einzelnen oder die Einzelne sehr viel. Aber solche Kurse würde auch etwas bringen, wenn sie im Rahmen von Förderkursen angeboten würden, bevor man sitzen bleibt."
In manchen Bundesländern hat sich diese Einsicht bereits durchgesetzt. In Bremen werden zum Beispiel seit einiger Zeit so genannte "Ostercamps" für versetzungsgefährdete Schüler angeboten. Bildungsforscherin Petra Stanat:
"Sie finden überwiegend in den Schulen selber statt, werden geleitet von Referendarinnen und Referendaren und man versucht ganz individuell einzugehen auf die Schwächen, die die Schülerinnen und Schüler haben. Und die bekommen die Chance, den Lernstoff zu wiederholen und zu vertiefen, erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass man damit Erfolge erzielen kann."
Insbesondere bei Kindern aus Migrantenfamilien habe sich eine besondere Förderung in den Ferien bewährt.
"Unser Camp richtete sich an Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die im sprachlichen Bereich Probleme hatten. Wir hatten zwei Bedingungen, einmal eine Förderung mit Mitteln der Theaterpädagogik. Hier ging es darum, die Kinder in sprachreiche Situationen zu versetzen. Sie sollten Sprache anwenden in ihrem theaterpädagogischen Programm. Und in der anderen Bedingung haben sie am Nachmittag Unterricht im Fach Deutsch als Zweitsprache erhalten."
Diese Kombination aus Theaterpädagogik und Deutsch-Unterricht habe gute Lernerfolge erzielt, so Petra Stanat, die das Sommer-Lerncamp in Bremen wissenschaftlich begleitet hat. Zwei Komponenten greifen auch im Lerncamp Kleinwalsertal ineinander. Erlebnispädagoge Norbert Bischof:
"Mir hat der Gedanke sehr gut gefallen von Anfang an, dass man sagt: einen halben Tag konzentriertes Arbeiten, Schulstoff pauken - und der andere halbe Tag, der ist einfach, um Spaß und Erlebnis zu haben, einfach um den Wechsel zu haben. Damit ich mich danach auch wieder engagiert am nächsten Tag in die Schulbank hocken kann."
Letzter Tag im Lerncamp Kleinwalsertal. Seit einer Woche haben sich hier rund 20 Schüler auf einen ungewöhnlichen Urlaubs-Mix eingelassen: Lernen am Vormittag und danach Klettern. Ein kleiner Höhepunkt steht bevor. Nachdem die ersten drei Tage lang hauptsächlich an der Kletterwand geübt wurde, geht es heute an den Berg. Am Klettergarten übt schon die örtliche Bergschule. Norbert Bischof:
"Das, was die machen, das machen wir später auch noch. Klettern. Aber was wir machen ist jetzt erst mal die viel größere Herausforderung. Wir gehen ein Stück weiter nach hinten. An einen höheren Fels noch als er hier ist - und dort wollen wir uns abseilen. Da müsst ihr gut konzentriert bei der Arbeit sein. Das kostet viel Überwindung."
Die steile Felswand ist imposant, 25 Meter senkrechter Abgrund. Die quirlige Gruppe ist mittlerweile auffallend ruhig geworden. Respekt und ein wenig Angst vor der bevorstehenden Aufgabe machen sich breit. Erlebnispädagoge und Kletterlehrer Norbert Bischof erklärt den Kindern, wie sie vorgehen müssen:
"An diesem Seil werdet ihr Euch selber, mit so einem Gerät, das nennt sich Abseilachter, ablassen. Das heißt, ihr bestimmt selber, wie schnell geht es nach unten. Das könnt ihr hier selber regulieren - mit dem Achter."
Als es darum geht, wer es als erster versuchen will, meldet sich freiwillig einer der Jüngsten, Alexander Reinholdt. Doch vorne an der Abrisskante verlässt ihn plötzlich der Mut. Doch Alex lässt lieber erst mal die anderen vor. Auch der gleichaltrigen Antonia Müller ist es ganz schön mulmig:
"Ja, ich habe sehr feuchte Hände...bisschen Schiss." (lacht)
Dennoch - zum Schluss nehmen beide ihr Herz in die Hand:
"Na ja, die haben es jetzt alle geschafft, da möchte ich es auch schaffen."
Für den Erlebnispädagogen Norbert Bischof setzt genau hier der Erfolg seiner Arbeit ein. Seiner Meinung nach nehmen die Kinder diese Motivation mit in den Schulalltag:
"Zu merken, da mich jetzt abzuseilen, da ist die Hemmschwelle erst mal sehr groß - und das Gefühl: Oh Mann, schaffe ich das überhaupt, traue ich mich das? Und dann das Gefühl: Hey, das habe ich jetzt gepackt, ich habe mich selber abgeseilt. Ich habe das Tempo bestimmt, ich habe das geschafft. Das kann etwas sein, dass sie vielleicht auch in den Schulalltag übertragen können: 'Ich habe jetzt so viel Angst vor dieser Schulaufgabe'. Und aus diesem Abseilen jetzt den Mut zu fassen 'Das schaffe ich' - aus der Erfahrung heraus 'Ich habe das angepackt und ich schaffe das.'"
Etwas anpacken, selbst gesteckte Ziele erreichen, aber auch die eigenen Grenzen kennen lernen. Solche Erfahrungen seien eine gute Ergänzung zum Lernprogramm am Vormittag - erklärt Norbert Bischof. Insbesondere für das Selbstwertgefühl der Kinder sei die Kombination von Lernen und Abenteuerpädagogik sinnvoll. Und wie empfinden das die Schüler? Frederik Gehrmann hat die erste Woche gut gefallen, obwohl er mit ein wenig Unbehagen angereist war:
"Ich fand es cool - auch nachmittags die Aktivitäten, was wir gemacht haben. Und ich habe es mir schlimmer vorgestellt. Auch mit dem Lernen - aber das klappt jetzt alles ganz gut mit dem Lernen. Merke ich schon, dass es besser ist, wenn man alles noch mal wiederholt und so."
Auch Ann-Sophie Niederdorf hat die Woche Spaß gemacht - und gelernt hat sie auch ein bisschen was, sagt sie:
"Ich habe Vokabeln wiederholt, die ich vorher nicht so konnte, die wir vorher auch schon durchgenommen haben - jetzt klappen die."
Das freut natürlich vor allem diejenigen, die das Ganze bezahlt haben - die Eltern und andere Gönner. Renate Fehse:
"Die Woche ist wunderbar gelaufen - und oh Wunder - die Großeltern sind glücklich. Phillip geht voller Freude jeden Morgen in die Schülerhilfe. Er fährt alleine mit dem Bus, wir müssen ihn nicht bringen - er kommt abends alleine wieder."
Daniela Wiska: "Es hat ihnen zumindest großen Spaß gemacht, sogar die Schule ist gut angekommen, was wir anfangs wirklich nicht erwartet hatten, weil es kam anfangs wirklich sehr großer Protest."
Auch der Protest von Daniel Büttner, der am Anfang noch ziemlich lustlos war, ist nach einer Woche verflogen - sagt jedenfalls seine Mutter:
"Er ist fröhlich nach Hause gekommen - das hat mich schon gewundert. Er hat wohl gut mitgemacht, viele Arbeitsblätter ausgefüllt - und ich hoffe, dass das, was nachgearbeitet wurde, auch wirklich sitzt, damit es für die Schule auch was bringt."
Vereinzelt wurden allerdings auch kritische Töne laut. Daniela Wiska war beispielsweise von den Methoden einer Nachhilfelehrerin nicht besonders angetan:
"Es wurde vielleicht auch am ersten Tag nicht so viel gemacht im Unterricht. Ein Diktat wurde geschrieben, ein Aufsatz wurde geschrieben - und ich war etwas entsetzt, weil das nicht mal korrigiert wurde."
Und die 18-jährige Lena Laue ist am Ende der ersten Englisch-Nachhilfe-Woche doch nicht so auf ihre Kosten gekommen. Nicht nur weil viele Schüler in der Gruppe viel jünger waren als sie, sondern auch, weil man nicht genug auf ihre Bedürfnisse eingegangen sei, sagt sie:
"Ich wollte mich auch noch mal aufs Abitur vorbereiten - schreiben üben auf Englisch, lernen, wie ich jetzt eine Aufgabe vollständig und richtig beantworte und meine ganzen Gedanken in Stichworte verfassen. Aber das haben wir alles gar nicht gemacht."
Lag es an der schwierigen Gruppenkonstellation? War die Lehrerin überfordert? Oder waren Lena Laues Erwartungen einfach zu hoch? Vielleicht von allem ein bisschen. Nach Ansicht der "Schülerhilfe" ist für den Lernerfolg jedenfalls eine Sache ganz entscheidend. Pressesprecherin Karla Schachtner:
"Es ist ganz wichtig, am Anfang zu sagen, wo die Schwächen liegen, was die Kinder machen wollen und dann kann man ganz gezielt auf diese einzelnen Punkte eingehen und Verbesserungen erzielen. Je besser die Zielformulierung ist, desto besser können wir uns auf den Nachhilfeunterricht einstellen, um so gezielter wird das Kind in den Bereichen auch gefördert."
Doch wie gut die Förderung ist, hängt natürlich auch vom jeweiligen Nachhilfelehrer ab. Welche Bedingungen also müssen die Lehrer im Lerncamp überhaupt erfüllen? Die Angaben der "Schülerhilfe" dazu sind vage:
"Es ist wichtig, dass sie eine fachliche Qualifikation haben, aber genauso eine soziale, eine menschliche Qualifikation, weil es ganz wichtig ist, den Draht zum Schüler herzustellen."
Wie das überprüft wird - und was fachliche Qualifikation bedeutet - das bleibt im Ungefähren. In der Regel sind die Nachhilfelehrer Studenten, doch sie müssen nicht zwingend das Fach studieren, in dem sie die Nachhilfe geben. Martin Johler etwa gibt Mathe, studiert aber Psychologie:
"Aber ich habe viel Statistik und ich war schon seit Jahren Mathe-Nachhilfelehrer sozusagen."
Kann es sogar von Vorteil sein, wenn die Nachhilfelehrer nicht aus dem Schulwesen kommen? Der Bayreuther Pädagogikprofessor Ludwig Haag meint Ja:
"Der Nachhilfelehrer braucht kein Lehrer sein, sonst würde er das Gleiche runterspulen, was der Lehrer vormittags macht. Wenn er dafür sorgt, dass Vokabeln gelernt werden etc., dann reicht hier jemand, der gut mit Kindern kann."
Auf den Psychologiestudenten Martin Johler trifft das zu. Seine Schülerin Susanne Peter fühlte sich jedenfalls gut aufgehoben:
"Hier der Lehrer, der erklärt das für alle einzeln, erst für alle zusammen - und wenn es dann einer nicht verstanden hat, dann erklärt er es ihm wieder. An der Schule, der erklärt es dann ganz knapp und nicht für die Extrablöden, die es nicht verstanden haben - und dann hat man es genau so wenig verstanden wie vorher auch."
Bei allem subjektiven Wohlgefühl der Schüler dürfen Eltern den Lerncamps nicht ganz unkritisch begegnen, sagt Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Philologenverband:
"Bei den Lerncamps ist halt das Problem: Das sind überregionale, oft bundesweite Angebote, oft sogar Angebote für den gesamten europäischen Raum, die natürlich keine Abstimmung auf Lehrpläne in den einzelnen Bundesländern haben können."
Übersteigerte Erwartungen sollten Eltern deshalb besser nicht haben.
"Ich sehe es dann skeptisch, wenn im Zusammenhang mit Lerncamps bestimmte Versprechungen von Anbietern gemacht werden. Also wenn versprochen wird, dass mit dem Lerncamp etwaige Nachprüfungen, die es ja in einigen Bundesländern gibt, bestanden werden oder die Leistungen nachhaltig verbessert werden."
"Eine Gefahr besteht darin, dass man Dinge anbietet, von denen man gar nicht weiß, ob sie etwas bringen oder nicht - und das sogar vielleicht für viel Geld. Da macht man ein Musikcamp und verspricht den Eltern, dass sie danach auch besser Mathe können. Solche Sachen sind nicht erwiesen, man hat keine Belege, dass so was wirklich funktioniert",
gibt Bildungsforscherin Petra Stanat zu Bedenken. Grundsätzlich findet sie es aber durchaus positiv, wenn Schüler in Feriencamps gefördert werden. Fazit: Eltern sollten sorgfältig prüfen, was ihre Kinder im Lerncamp erreichen sollen und welcher Anbieter dies leisten kann. Für die meisten Eltern im Kleinwalsertal haben sich die Erwartungen erfüllt:
"Sehr gut, den Kindern hat es auch gut gefallen. Ich denke, dass sie einiges mitgenommen haben wieder."
"Ob sie jetzt die Probleme, die sie hatte, beseitigt hat, weiß ich nicht. Aber es hat ihr Spaß gemacht."
"Ich kann nur sagen, dass sie ganz zufrieden ist mit der Woche: Sie geht morgens gerne hin und kommt abends gut gelaunt zurück. Das ist ja schon mal was."
"Für uns war es perfekt. Insgesamt eine gute Mischung gewesen."
Ferien einmal auf andere Art. Für Daniela Wiskas Kinder heißt das in diesem Jahr: vormittags lernen und nachmittags reichlich Action und Frischluft tanken. Und zwar im österreichischen Kleinwalsertal. Hier - inmitten saftiger Almen und hoher Berge - findet ein so genanntes "Lerncamp" statt. Ein Projekt, das vor zwei Jahren gemeinsam von drei Partnern geboren wurde: der Zeitschrift "Focus Schule", dem kommerziellen Unternehmen "Schülerhilfe" und dem Kleinwalsertal. Eltern und Schüler - so die Idee - sollen dabei gleichermaßen im Urlaub auf ihre Kosten kommen. Marketingleiterin Sandra Janser von Kleinwalsertal Tourismus:
"Ich denke, dass es für beide Seiten sehr schön ist - die Kinder haben vormittags Nachhilfe. Am Nachmittag können sie sich austoben an der frischen Luft - und Dinge machen, die sie zu Hause nicht machen. Und die Eltern können im Urlaub ihre freie Zeit auch genießen und auch mal für sich alleine sein, einen Spaziergang machen oder Wellness genießen oder was auch immer, ein bisschen freie Zeit haben."
Natürlich sind die Ideen des Tourismusverbandes nicht ganz ohne Hintergedanken. Die Urlaubsregion will sich ein frischeres Image verschaffen und vor allem für Familien mit Kindern attraktiver werden. Und das Konzept scheint aufzugehen: Das Lerncamp erfreut sich im dritten Jahr wachsender Beliebtheit. Knapp 60 Kinder wurden in diesem Sommer angemeldet. Die Kombination von Urlaub und Unterricht wendet sich nicht nur an Schüler mit schlechten Noten. Die Kinder von Daniela Wiska zum Beispiel sollen einen Englisch-Kurs am Vormittag besuchen. Nachhilfe im klassischen Sinne brauchen sie eigentlich nicht. Sohn Yannick glänzt mit guten Noten auf seinem Grundschul-Abschlusszeugnis:
"Also, ich habe auf dem Zeugnis acht Einsen, zwei Zweien und eine Drei."
Trotzdem befürchtet seine Mutter, dass er beim anstehenden Wechsel aufs Gymnasium den Anschluss verlieren könnte:
"Da man nie weiß, wie die anderen Kinder auf den anderen Schulen so im Unterricht waren und was die alles gemacht haben, war es mir einfach sehr wichtig, dass man da noch mal ein bisschen guckt, dass der Level der gleiche wird und vielleicht auch schon mal ein bisschen vorgreift auch."
Auch Tochter Ann-Sophie soll in den Ferien vorsichtshalber ein bisschen pauken - gehört sie doch zum ersten Jahrgang in Nordrhein-Westfalen, der das Abitur in 12 statt 13 Schuljahren ablegen soll. Daniela Wiska:
"Da kommt unheimlich viel auf sie zu. Die Lehrer sind sehr planlos, es weiß keiner so recht: Wie gehe ich damit um? Und anstatt den Unterricht zu kürzen, wie es eigentlich mal gedacht war, wird den Kindern jetzt mehr aufgebürdet, die müssen zu Hause wesentlich mehr machen."
Die 14-jährige Susanne Peter aus dem Saarland muss ebenfalls das so genannte "G8", also das "Gymnasium in acht Jahren", absolvieren. Das Fach, das ihr am meisten Probleme bereitet, ist Mathematik:
"Auf dem Zeugnis hatte ich jetzt eine Vier, in manchen Arbeiten habe ich eine Drei, habe auch manchmal eine Fünf geschrieben - also - manche Themen kann ich auch, aber andere nicht."
So steht sie unter anderem mit Gleichungen und binomischen Formeln auf Kriegsfuß, doch bei der Anmeldung fürs Lerncamp hatten ihre Eltern noch ein anderes Motiv einkalkuliert. Ihre Mutter Andrea Leinen-Peter:
"Wir wollten sie halt mit in den Urlaub nehmen, weil sie uns zu jung war, um sie alleine zu Hause zu lassen. Andererseits wissen wir schon aus dem letzten Jahr - sie läuft nicht mehr gerne den ganzen Tag mit uns. Und dann ist das für sie auch etwas langweilig. Wir haben uns erhofft, wenn sie hier nette Gesellschaft findet, dann hat sie auch am Nachmittag Programm mit Gleichaltrigen."
Klettern und andere sportliche Abenteuer zum Ausgleich - dieses Konzept gefällt auch dem Vater von Frederik Gehrmann. Doch das Vergnügen gönnt er seinem Sohn erst nach ein paar Lerneinheiten am Vormittag. Gleich zwei Fächer hat er ihm aufgebrummt: Englisch und Mathe, und zwar drei Wochen lang. Grund für das Intensivprogramm: plötzliche Leistungseinbrüche bei dem 14-jährigen im vergangenen Schuljahr.
"Er ist sieben Jahre lang ein relativ guter Schüler gewesen, hat mit sehr geringem Aufwand sehr gute Ergebnisse erreicht - und dann ging es im freien Fall im Gymnasium in der achten Klasse bergab. Er hat jetzt mit Hängen und Würgen die Klasse gepackt - und wir sehen das als gute Möglichkeit, dass er das aufholt, was im Schuljahr nicht passiert ist - um für die Neunte gerüstet zu sein."
Und für ein gutes Rüstzeug sind manche Eltern auch bereit zu investieren. Anderthalb Stunden Nachhilfe am Vormittag, Mittagessen und Freizeitprogramm am Nachmittag kosten pro Woche 260 Euro. Für Frederik Gehrmann, der alleine unterwegs ist, kostet das Gesamtpaket mit zwei Vormittagskursen inklusive Übernachtung und Vollpension knapp 600 Euro. Doch der erhoffte Lernvorsprung, eine solidere Wissensbasis und mehr Selbstbewusstsein im nächsten Schuljahr sind den Eltern die Ausgaben offenbar wert. Die Mutter Monika Büttner erwartet sich dafür von ihrem Sohn Daniel auch eine gute Mitarbeit:
"Ich habe ihm schon klar gemacht, dass das viel Geld kostet und dass das schon effektiv was bringen muss, wenn er das macht."
Daniel steht ein wenig unter Erfolgsdruck. Wie steht es also um seine Laune am ersten Tag im Lerncamp?
"Nicht so gut, einfach wieder gelangweilt, habe keinen Bock - würde lieber noch weiter schlafen."
Auch die anderen Schüler sind nicht wirklich euphorisch:
Esther: "Na ja - so richtig Lust habe ich nicht."
Susanne: "Ich bin ein bisschen aufgeregt, wie das alles so abläuft, aber ansonsten freue ich mich darauf."
Frederik: "Lernen in den Ferien ist nicht so mein Ding, aber mal schauen wie es wird."
Tag zwei im Lerncamp Kleinwalsertal. Gleich hinter der Kirche in Mittelberg befindet sich die kleine Dorfschule, in der unterrichtet wird. Hier scheint die Schulwelt noch in Ordnung. Strahlend weiß leuchtet das Gebäude, kein einziges Graffiti verschandelt die Fassade. Freundlich grüßt eine bunte Kuh aus Pappmaché am Eingang und über den Toilettentüren hängen geschnitzte Holzschilder mit den Aufschriften "Knaben" und "Mädchen". Und auch sonst ist der Lernalltag hier wohl für die meisten anders als zu Hause. Unterrichtet wird nämlich in Kleingruppen von maximal fünf Schülern. Im Grundschulkurs Deutsch muss Nachhilfelehrerin Karina Wibowo Kinder der Klassen 1 bis 4 gleichzeitig beschäftigen.
Keine leichte Aufgabe, alle zufrieden zu stellen. Auch in den anderen Vormittagskursen sind die Schüler bunt gemischt: unterschiedliche Schulformen, unterschiedliche Altersstufen. Doch das sei keine Notlösung, sondern System sagt Manuela Lang von der "Schülerhilfe", einem der bekanntesten Nachhilfeanbieter im deutschsprachigen Raum. Als Gebietsleiterin für den Raum Allgäu ist Manuela Lang auch für das Lerncamp im Kleinwalsertal zuständig:
"Die Schülerhilfe bietet Nachhilfe in kleinen Gruppen an, individuelle Nachhilfe in kleinen Gruppen, fächerspezifisch, aber die Gruppen sind als solche immer gemischt - von den Schularten, von den Klassen. Die Kinder sind Gymnasium und Hauptschule und 8. Klasse und 7. Klasse. In der Regel haben wir die Grundschüler beieinander und die Großen, es kann sich auch mal mischen. Das kann den Kleinen mal ganz gut tun, bei den Großen dabei zu sein und umgekehrt."
Soweit die Theorie. In der Praxis kann das für die Nachhilfelehrer ganz schön stressig werden. Marion Schäfer hat in ihrer Englisch-Gruppe nicht nur drei quirlige Sechst- und Siebtklässler zu koordinieren, sondern auch eine Oberstufenschülerin, die nach den Ferien in die Zwölf kommt:
"Ich kann nur versuchen, die Große, die kurz vor dem Abitur steht, anders zu beschäftigen, ich kann die hier nicht mit einbringen. Die anderen drei gehen einigermaßen zusammen, aber für die Lena wäre das ja Pillepalle, deswegen müssen wir sie ein bisschen selber beschäftigen."
Während die Jüngeren mit ziemlichem Radau Vokabeln üben, versucht Lena Laue eine schriftliche Übung zu machen:
"Ich löse eine Abschlussprüfung von der Realschule von vor zwei Jahren - meine Nachhilfelehrerin möchte dann sehen, wo ich noch Fehler mache, wo sie mir noch helfen kann."
Der 18-Jährigen fällt es nicht leicht, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Doch es mache ihr nichts aus, mit Jüngeren zusammen zu lernen, sagt sie. Zumindest am Anfang, später wird sie ihre Meinung allerdings noch ändern. Im Mathe-Kurs nebenan dagegen herrscht das, was Lena dringend gebrauchen könnte: konzentrierte Ruhe.
Zu Beginn der Stunde fragt Nachhilfelehrer Martin Johler jeden Schüler, was er wiederholen soll. Dann heißt es schnell reagieren: die passenden Aufgaben stellen und immer um den Tisch herum von Schüler zu Schüler gehen, Fragen beantworten, korrigieren, neue Aufgaben verteilen. Das funktioniert hier ganz gut, denn obwohl die Kinder aus unterschiedlichen Schulstufen kommen, haben in seiner Gruppe alle ähnliche Probleme. Martin Johler:
"Man kann mit allen so mathematische Grundrechenarten üben. Binomische Formeln gibt es in jeder Schulform, man findet so einen Mittelweg. Sie helfen sich gegenseitig, stacheln sich gegenseitig an...passt alles."
Und so hat auch Susanne schon nach relativ kurzer Zeit das Kriegsbeil mit den binomischen Formeln begraben. Richtig viel Lust auf Mathe hat sie deshalb zwar immer noch immer nicht, aber die anderthalb Stunden am Vormittag sind schnell rum - und dann lockt der spannende Kletternachmittag:
"Morgens der Unterricht - klar - man hat in den Ferien keine Lust auf Schule, aber ich sehe das einfach positiv, ansonsten würde ich auch zu Hause sitzen und ein bisschen was wiederholen für die Schule. Jetzt - so kombiniert mit nachmittags - ,da freut man sich dann schon darauf- auf mittags das Programm."
Zwei Stunden später im Nachbarort Baad. Wer nicht mit seinen Eltern den Nachmittag verbringen will, den erwartet hier - im hintersten Winkel des Kleinwalsertals - ein abenteuerliches Freizeitprogramm. Gestaltet wird es von "Outward Bound", einem Anbieter von Erlebnispädagogik. Nach dem Stillsitzen am Vormittag haben die meisten Lust, sich zu bewegen. Auch das Mittagessen gibt es hier - und damit erleben die Schüler wirklich zum ersten Mal so was wie Campalltag. Tisch decken, abräumen, spülen, abtrocknen. Alle müssen anpacken. Anschließend sind Kletterkünste gefragt. Betreuer Stephan Schuler gibt die erste Lektion:
"Also - hier haben wir einmal so einen blauen Gurt, das nennen wir den Sitzgurt. Am besten ihr legt ihn so vor Euch hin, wie ein Gesicht, in der Mitte gibt es zwei Augen - und hier vorne, der große Ring hier..."
Beim ersten Mal dauert es ziemlich lange, bis alle Gurte, Laschen, Ösen, Haken und Helme gut und sicher sitzen. Und dann wird gleich geprobt, wie es sich anfühlt, in der Steilwand zu hängen - diesmal noch nicht am Naturfelsen, sondern an der Hauswand. Fest in Sitz- und Brustgurt verschnürt wird der Viertklässler Alexander Reinholdt von den anderen Schülern per Flaschenzug nach oben gehievt. Das pädagogische Ziel - Verantwortung übernehmen und das Material kennen lernen. Stephan Schuler:
"Vertrauen ins Material zu finden, dass es einen trägt und sicher ist. Zum anderen auch Vertrauen finden - in die Personen, die mich sichern."
Die 9-jährige Antonia Müller traut der Sache noch nicht so ganz. Angst hat sie zwar angeblich keine:
"Nur na ja, wenn die dann alle so ziehen, dann ist das vielleicht nicht ganz ungefährlich." (lacht)
Lernen in den Ferien - das verbinden viele mit Sprachkursen oder Sprachreisen. Aber regelrechte Lerncamps, wie das im Kleinwalsertal, wo Schüler gezielt Schulstoff nachholen oder vertiefen, die sind noch relativ unbekannt. Umfragen zeigen:
"Lerncamps sind für mich erst mal neu. Da müsste ich mich erst mal mit dem Gedanken vertraut machen. Also ich denke, dass die Kinder unterm Jahr doch eigentlich von der Schule her so beansprucht werden, dass so ein paar Wochen Ferien auch nicht schaden. Wobei - wenn das Kind Defizite hat - die werden bei den Lerncamps ausgeräumt, oder? Dann ist es vielleicht schon eine Hilfe. Es gibt ein Für und Wider."
"Ich wäre eher dafür, dass man Ganztagsschulen einführt, das ganze Konzept mal durchdenkt und optimiert und dann ist die Notwendigkeit für so ein Camp, das in den Ferien passieren soll, gar nicht mehr gegeben."
"Ich finde es prinzipiell eine gute Idee, die Kinder zu fördern, aber ich sehe die große Gefahr, dass man sie dann auch überfordert, dass man zuviel des Guten macht. Ich finde, Kinder haben in der Schule schon viel um die Ohren, dann ist nachmittags noch Sport oder Ähnliches. Die Ferien sind doch eigentlich zum Füße hochlegen da."
Und was sagen Experten zum Lernen in den Ferien? Ist die schulfreie Zeit nicht auch eine notwendige Pause für die Schüler? Heinz-Peter Meidinger meint: Ja. Er ist der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes und vertritt vor allem die Sicht der Gymnasiallehrer:
"Ferien sind eminent wichtig für Schüler, weil sie die Möglichkeit bieten, über einen größeren Zeitraum hinweg, Schulsorgen zu vergessen, sich zu erholen, zu regenerieren und auch neue Kraft zu sammeln für das neue Schuljahr."
Erholen - ja! Doch die ganzen Ferien die Füße hochlegen? Das könne auf Dauer nicht nur öde, sondern auch von Nachteil sein, meint der Bayreuther Pädagogik-Professor Ludwig Haag. Dass Kinder die ganzen 6 Wochen Ferien benötigen, sei eigentlich ein überholtes Klischee:
"Hinter dem Klischee steckt doch diese dumme Geschichte 'Lernen ist gleich Leiden, Lernen tut weh'. Man kann es auch positiv formulieren: Lernen kann auch bedeuten: eine Zusatzration Bildung - dann schaut es doch gleich ganz anders aus."
Ähnlich sieht das Petra Stanat, Professorin für empirische Bildungsforschung an der Freien Universität Berlin:
"Wir haben hier in Deutschland oft die Neigung, zu sehr zu trennen zwischen einerseits dem harten Lernen und der schweren Arbeit - das Lernen, das so trocken ist und langweilig - und andererseits der Spaß, das muss ja nicht so sein."
Lernen - sagt Petra Stanat - könne schließlich auch Spaß machen. Nicht umsonst seien Mathe- und Chemiecamps für Schüler mittlerweile sehr beliebt. In den USA sei außerdem wissenschaftlich nachgewiesen, dass - insbesondere Kinder aus bildungsfernen Schichten - in den dreimonatigen Sommerferien erheblich an Kompetenzen einbüßen. In Deutschland sei das aufgrund der kürzeren Ferienzeit so zwar nicht nachweisbar, dennoch könne man sich - was die Schülerförderung in den Ferien angeht - einiges von den USA abgucken. Petra Stanat:
"Man hat schon lange die Erkenntnis in den USA, dass man die Zeit auch nutzen kann - für verschiedene Dinge, einmal gibt es dort so genannte 'Enrichment -Camps', da geht es darum, dass man Schüler, die besondere Interessen haben, dass man diese Interessen fördern. Das können Sportcamps sein, dass können aber auch Theaterspielen oder kreatives Schreiben sein. Und eben auch dort die Erkenntnis, dass man die Zeit nutzen kann, um Defizite auszugleichen, also das, was die Schülerinnen und Schüler über das Jahr nicht erreicht haben, dass man da versucht, ihnen zu helfen, aufzuholen."
Auch der Kölner Schulpsychologe Albert Zimmermann ist der Meinung, dass wohl dosierte, anregende Lernerfahrungen die Kinder nicht um die verdiente Erholung bringen. Konzentriertes Pauken - zum Beispiel für eine Nachprüfung - sei dagegen nur unter bestimmten Voraussetzungen ratsam. Erstens: die Defizite dürften nicht zu groß sein:
"Das heißt, wenn man über Jahre hinaus ein Defizit auf das andere geschichtet hat, und alles irgendwann zusammenbricht, dann hilft auch das Lernen in den Ferien nichts mehr. Der zweite Punkt ist: Es ist nicht jedes Kind für jede Schulform geeignet. Und wenn es darum geht, dass jemand, der nicht für die Schulform geeignet ist, Defizite hat, dann ist das Lernen in den Ferien nicht sinnvoll, denn im nächsten Jahr gerät der Schüler garantiert wieder in die Enge."
Außerdem sei es wichtig, dass die Kinder von sich aus mitziehen. Für viele Teilnehmer im Lerncamp Kleinwalsertal trifft das zu. Denn versetzungsgefährdet sind die meisten nicht, ein kleiner Lernvorsprung ist das Ziel. Und manche kommen auch schon als Grundschüler. Wie Felix Spandöck, der im Lerncamp Kleinwalsertal seine Rechtschreibung verbessern soll:
"Ich sollte das machen, damit ich mehr Chancen habe, auf das Gymnasium zu kommen. Und das nächste Halbjahr wird ja das Entscheidende sein."
Die Angst der Eltern, dass es ihr Sohn nicht schaffen könnte, ist aus Felix Spandöcks Worten deutlich heraus zu hören. Je höher die Schulform, desto besser die Chancen auf einen Ausbildungsplatz, desto prestigeträchtiger der Beruf, desto mehr Geld wird man einmal verdienen - diese Formel werde Kindern schon früh eingebläut, so Schulpsychologe Albert Zimmermann:
"Immer dann, wenn die Schulform infrage gestellt wird, dann werden auch Ängste wach. Dann gibt es die ganz berühmte Aussage: Dann musst du eben Müllmann werden. Das ist so demoralisierend."
Demoralisierend, aber aus Elternsicht durchaus nachvollziehbar, meint Manuela Lang von der "Schülerhilfe". Als Mutter bangt sie selbst um die Zukunft ihres Sohnes:
"Mein Sohn ist 9. Klasse Realschule - wir fangen jetzt an mit Lehrstelle suchen - es ist Druck da - es ist Stress da. Unter einem Schnitt von 3,0 braucht man sich nicht zu bewerben, natürlich wächst da der Druck auf meinen Sohn, dass er eine gute Lehrstelle bekommt."
Zusätzlicher Druck auf Schüler entsteht außerdem in den Bundesländern, wo das Gymnasium von 9 auf 8 Jahre verkürzt wurde, wie beispielsweise in Bayern, Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Diese Erfahrung hat auch Norbert Peter gemacht, dessen Tochter Susanne im Lerncamp Mathe-Nachhilfe bekommt:
"Wir selbst haben den Vergleich zwischen G8 und G9. Wir haben eine Tochter, die auf G9 noch Abitur gemacht hat. Und eine Tochter, die es jetzt auf G8 versucht - und wir können also deutliche Unterschiede in den Anforderungen feststellen. Man hat den Eindruck, der Stoff ist im Grunde der Gleiche - es wird nur schneller vorgegangen."
So sei das Pensum für ihre Tochter oft nur mit Hilfe der Eltern zu bewältigen - ergänzt seine Frau:
"Ich habe den Eindruck: Die Schüler, die sehr gut sind, die schaffen es auch so, ohne Probleme. Aber alle, die Mittelmaß sind, die haben vielleicht das Glück, dass sie zu Hause Eltern haben, die nachhelfen können - das ist ja auch Nachhilfe, nur kostet die nichts. Oder sie müssen Geld in die Hand nehmen und Nachhilfe bezahlen. Und wenn sie es nicht können, da bleiben die Kinder auf der Strecke."
Kein Wunder also, dass Angebote zur Schülerförderung in den Ferien auch in Deutschland auf immer größeres Interesse stoßen.
Morgens Kurvendiskussion, nachmittags Klettern - so sieht grob gesagt der Alltag im Lerncamp Kleinwalsertal aus. Doch Schülerförderung im Urlaub - das ist in Deutschland noch die Ausnahme. Die meisten Schüler, die in den Ferien lernen müssen, tun das zu Hause. Auch hier können sie natürlich professionelle Unterstützung bekommen. Zum Beispiel in den Ferienkursen der heimischen Nachhilfeinstitute. Wie unterscheiden sich diese Kurse von dem regulären Angebot? Britta Gelb vom "Studienkreis" in Köln-Weiden:
"Der eigentliche grundsätzliche Unterschied besteht darin, dass wir während des Schuljahres inhaltlich tatsächlich auf den Unterricht eingehen, dass wir z. B. Hausaufgaben - wo Fragen offen sind - klären. Wir halten uns eng an den Unterricht und wollen da Lücken aufarbeiten. In den Ferien hat man die Möglichkeit, ein komplettes Schuljahr zu reflektieren - aber da natürlich ganz explizit zu fragen - jeden einzelnen Schüler - was möchte er gerne noch mal wiederholen."
Das Konzept ist also ähnlich wie bei der Schülerhilfe im Kleinwalsertal, nur nicht so kompakt, denn die Ferienkurse finden beim "Studienkreis" in Köln nicht täglich statt. Doch auch hier sind die Schüler nicht alle gleich alt. Im Deutsch-Kurs von Britta Gelb zum Beispiel sitzen gerade Kinder der 6. bis 9. Klasse. Sie sollen einen Zeitungsartikel über "Harry Potter" in Gruppenarbeit analysieren:
"Dann möchte ich als erstes, dass Ihr den Text in Sinnabschnitte einteilt und diesen Überschriften gebt. Danach beschäftigt Ihr Euch bitte mit dem sprachlichen Aufbau, fallen Euch Metaphern auf, wie ist der Text gegliedert - das habt ihr ja schon in der Aufgabe 1 erledigt."
Die Schüler sollen zusammen arbeiten, denn nicht alle haben die Textanalyse schon durchgenommen. Es geht nur schleppend vorwärts - am Ende haben die Schüler gerade mal den Text gelesen und ein paar Überschriften gefunden, der Rest wird auf die nächste Stunde vertagt. Für Nachprüflinge wäre diese Art der Wiederholung nicht intensiv genug. Doch viele Kinder besuchen auch aus ganz anderen Gründen die Ferienkurse - meint die studierte Germanistin Britta Gelb:
"Wir haben doch einige Schüler, die aus welchen Gründen auch immer gar nicht im Urlaub sind und auch gar nicht fahren werden. Und die ersten drei Wochen - das ist natürlich ganz schön, aber irgendwann kommt diese Langeweile, weil viele Eltern sich nicht darum kümmern können, weil sie keine Zeit haben oder weil sie arbeiten müssen und auch nicht sechs Wochen am Stück frei bekommen."
Die Nachhilfe-Institute gelten zwar offiziell nicht als Kinderbetreuung, aber viele Eltern wissen offenbar, dass ihre Kinder dort gut aufgehoben sind und etwas Sinnvolles tun. Versetzungsgefährdete Schüler findet man allerdings nicht in diesen Kursen. Sie werden beim "Studienkreis" im Einzelunterricht vorbereitet. Zehn Doppelstunden kosten 380 Euro. Wer weniger Geld ausgeben möchte, kann auch Kurse belegen, wie sie von vielen Städten angeboten werden. In Köln kostet der dreiwöchige Ferienförderkurs rund 130 Euro - Hartz-IV-Empfänger sind von den Gebühren befreit:
Im Gegensatz zur Nachhilfe in vielen freien Instituten werden die Förderkurse der Stadt Köln von ausgebildeten Lehrern geleitet. Bernhard Schröter ist Direktor einer Hauptschule in Brühl. Die Ferienförderkurse gibt er seit Jahren. Ganz einfach, weil es ihm Spaß macht:
"Man hat hier eine fast märchenhafte Situation. Hier kommen Schülerinnen und Schüler, die Lust haben zu lernen, die lernen wollen, die sich darauf einlassen, die eigentlich keine Minute verlieren wollen. Der nächste Punkt ist, wir haben Kleingruppen von vier bis sches, manchmal sieben Schülern. Es ist eine fast familiäre Atmosphäre, jeder kann jederzeit etwas fragen. Das sind ideale Bedingungen für einen Lehrer."
Und nicht nur für die Lehrer. Auch für die Schüler sind die Förderkurse in der Regel erfolgreich: Knapp 70 Prozent der Teilnehmer schaffen die Nachprüfung. Bernhard Schröter sieht gewisse Vorteile gegenüber kommerziellen Nachhilfe-Instituten:
"Ich kann nur sagen, viele Kollegen, die hier arbeiten, machen es seit vielen Jahren, können auf sehr viel Erfahrung zurückgreifen - können in kurzer Zeit maximalen Stoff beibringen - das ist sicherlich ein Pfund in der Waage , was wir haben, einfach diese Erfahrung - und auch die Tatsache, dass viele Kolleginnen aus dem Alltag kommen, wissen, was ist in der Nachprüfung gefragt ist."
Aber mitmachen dürfen nur die Schüler, die das Klassenziel nicht erreicht haben und zur Nachprüfung zugelassen sind. Für Bernhard Schröter würden solche Kurse durchaus schon früher Sinn machen:
"Das ist jetzt nicht ein Votum für die Thematik Sitzen bleiben oder nicht - das sage ich jetzt mal ganz deutlich. Aber wenn ich mich hier als Lehrer auf meinen Kurs konzentriere, dann kann ich nur sagen: Es bringt für den Einzelnen oder die Einzelne sehr viel. Aber solche Kurse würde auch etwas bringen, wenn sie im Rahmen von Förderkursen angeboten würden, bevor man sitzen bleibt."
In manchen Bundesländern hat sich diese Einsicht bereits durchgesetzt. In Bremen werden zum Beispiel seit einiger Zeit so genannte "Ostercamps" für versetzungsgefährdete Schüler angeboten. Bildungsforscherin Petra Stanat:
"Sie finden überwiegend in den Schulen selber statt, werden geleitet von Referendarinnen und Referendaren und man versucht ganz individuell einzugehen auf die Schwächen, die die Schülerinnen und Schüler haben. Und die bekommen die Chance, den Lernstoff zu wiederholen und zu vertiefen, erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass man damit Erfolge erzielen kann."
Insbesondere bei Kindern aus Migrantenfamilien habe sich eine besondere Förderung in den Ferien bewährt.
"Unser Camp richtete sich an Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die im sprachlichen Bereich Probleme hatten. Wir hatten zwei Bedingungen, einmal eine Förderung mit Mitteln der Theaterpädagogik. Hier ging es darum, die Kinder in sprachreiche Situationen zu versetzen. Sie sollten Sprache anwenden in ihrem theaterpädagogischen Programm. Und in der anderen Bedingung haben sie am Nachmittag Unterricht im Fach Deutsch als Zweitsprache erhalten."
Diese Kombination aus Theaterpädagogik und Deutsch-Unterricht habe gute Lernerfolge erzielt, so Petra Stanat, die das Sommer-Lerncamp in Bremen wissenschaftlich begleitet hat. Zwei Komponenten greifen auch im Lerncamp Kleinwalsertal ineinander. Erlebnispädagoge Norbert Bischof:
"Mir hat der Gedanke sehr gut gefallen von Anfang an, dass man sagt: einen halben Tag konzentriertes Arbeiten, Schulstoff pauken - und der andere halbe Tag, der ist einfach, um Spaß und Erlebnis zu haben, einfach um den Wechsel zu haben. Damit ich mich danach auch wieder engagiert am nächsten Tag in die Schulbank hocken kann."
Letzter Tag im Lerncamp Kleinwalsertal. Seit einer Woche haben sich hier rund 20 Schüler auf einen ungewöhnlichen Urlaubs-Mix eingelassen: Lernen am Vormittag und danach Klettern. Ein kleiner Höhepunkt steht bevor. Nachdem die ersten drei Tage lang hauptsächlich an der Kletterwand geübt wurde, geht es heute an den Berg. Am Klettergarten übt schon die örtliche Bergschule. Norbert Bischof:
"Das, was die machen, das machen wir später auch noch. Klettern. Aber was wir machen ist jetzt erst mal die viel größere Herausforderung. Wir gehen ein Stück weiter nach hinten. An einen höheren Fels noch als er hier ist - und dort wollen wir uns abseilen. Da müsst ihr gut konzentriert bei der Arbeit sein. Das kostet viel Überwindung."
Die steile Felswand ist imposant, 25 Meter senkrechter Abgrund. Die quirlige Gruppe ist mittlerweile auffallend ruhig geworden. Respekt und ein wenig Angst vor der bevorstehenden Aufgabe machen sich breit. Erlebnispädagoge und Kletterlehrer Norbert Bischof erklärt den Kindern, wie sie vorgehen müssen:
"An diesem Seil werdet ihr Euch selber, mit so einem Gerät, das nennt sich Abseilachter, ablassen. Das heißt, ihr bestimmt selber, wie schnell geht es nach unten. Das könnt ihr hier selber regulieren - mit dem Achter."
Als es darum geht, wer es als erster versuchen will, meldet sich freiwillig einer der Jüngsten, Alexander Reinholdt. Doch vorne an der Abrisskante verlässt ihn plötzlich der Mut. Doch Alex lässt lieber erst mal die anderen vor. Auch der gleichaltrigen Antonia Müller ist es ganz schön mulmig:
"Ja, ich habe sehr feuchte Hände...bisschen Schiss." (lacht)
Dennoch - zum Schluss nehmen beide ihr Herz in die Hand:
"Na ja, die haben es jetzt alle geschafft, da möchte ich es auch schaffen."
Für den Erlebnispädagogen Norbert Bischof setzt genau hier der Erfolg seiner Arbeit ein. Seiner Meinung nach nehmen die Kinder diese Motivation mit in den Schulalltag:
"Zu merken, da mich jetzt abzuseilen, da ist die Hemmschwelle erst mal sehr groß - und das Gefühl: Oh Mann, schaffe ich das überhaupt, traue ich mich das? Und dann das Gefühl: Hey, das habe ich jetzt gepackt, ich habe mich selber abgeseilt. Ich habe das Tempo bestimmt, ich habe das geschafft. Das kann etwas sein, dass sie vielleicht auch in den Schulalltag übertragen können: 'Ich habe jetzt so viel Angst vor dieser Schulaufgabe'. Und aus diesem Abseilen jetzt den Mut zu fassen 'Das schaffe ich' - aus der Erfahrung heraus 'Ich habe das angepackt und ich schaffe das.'"
Etwas anpacken, selbst gesteckte Ziele erreichen, aber auch die eigenen Grenzen kennen lernen. Solche Erfahrungen seien eine gute Ergänzung zum Lernprogramm am Vormittag - erklärt Norbert Bischof. Insbesondere für das Selbstwertgefühl der Kinder sei die Kombination von Lernen und Abenteuerpädagogik sinnvoll. Und wie empfinden das die Schüler? Frederik Gehrmann hat die erste Woche gut gefallen, obwohl er mit ein wenig Unbehagen angereist war:
"Ich fand es cool - auch nachmittags die Aktivitäten, was wir gemacht haben. Und ich habe es mir schlimmer vorgestellt. Auch mit dem Lernen - aber das klappt jetzt alles ganz gut mit dem Lernen. Merke ich schon, dass es besser ist, wenn man alles noch mal wiederholt und so."
Auch Ann-Sophie Niederdorf hat die Woche Spaß gemacht - und gelernt hat sie auch ein bisschen was, sagt sie:
"Ich habe Vokabeln wiederholt, die ich vorher nicht so konnte, die wir vorher auch schon durchgenommen haben - jetzt klappen die."
Das freut natürlich vor allem diejenigen, die das Ganze bezahlt haben - die Eltern und andere Gönner. Renate Fehse:
"Die Woche ist wunderbar gelaufen - und oh Wunder - die Großeltern sind glücklich. Phillip geht voller Freude jeden Morgen in die Schülerhilfe. Er fährt alleine mit dem Bus, wir müssen ihn nicht bringen - er kommt abends alleine wieder."
Daniela Wiska: "Es hat ihnen zumindest großen Spaß gemacht, sogar die Schule ist gut angekommen, was wir anfangs wirklich nicht erwartet hatten, weil es kam anfangs wirklich sehr großer Protest."
Auch der Protest von Daniel Büttner, der am Anfang noch ziemlich lustlos war, ist nach einer Woche verflogen - sagt jedenfalls seine Mutter:
"Er ist fröhlich nach Hause gekommen - das hat mich schon gewundert. Er hat wohl gut mitgemacht, viele Arbeitsblätter ausgefüllt - und ich hoffe, dass das, was nachgearbeitet wurde, auch wirklich sitzt, damit es für die Schule auch was bringt."
Vereinzelt wurden allerdings auch kritische Töne laut. Daniela Wiska war beispielsweise von den Methoden einer Nachhilfelehrerin nicht besonders angetan:
"Es wurde vielleicht auch am ersten Tag nicht so viel gemacht im Unterricht. Ein Diktat wurde geschrieben, ein Aufsatz wurde geschrieben - und ich war etwas entsetzt, weil das nicht mal korrigiert wurde."
Und die 18-jährige Lena Laue ist am Ende der ersten Englisch-Nachhilfe-Woche doch nicht so auf ihre Kosten gekommen. Nicht nur weil viele Schüler in der Gruppe viel jünger waren als sie, sondern auch, weil man nicht genug auf ihre Bedürfnisse eingegangen sei, sagt sie:
"Ich wollte mich auch noch mal aufs Abitur vorbereiten - schreiben üben auf Englisch, lernen, wie ich jetzt eine Aufgabe vollständig und richtig beantworte und meine ganzen Gedanken in Stichworte verfassen. Aber das haben wir alles gar nicht gemacht."
Lag es an der schwierigen Gruppenkonstellation? War die Lehrerin überfordert? Oder waren Lena Laues Erwartungen einfach zu hoch? Vielleicht von allem ein bisschen. Nach Ansicht der "Schülerhilfe" ist für den Lernerfolg jedenfalls eine Sache ganz entscheidend. Pressesprecherin Karla Schachtner:
"Es ist ganz wichtig, am Anfang zu sagen, wo die Schwächen liegen, was die Kinder machen wollen und dann kann man ganz gezielt auf diese einzelnen Punkte eingehen und Verbesserungen erzielen. Je besser die Zielformulierung ist, desto besser können wir uns auf den Nachhilfeunterricht einstellen, um so gezielter wird das Kind in den Bereichen auch gefördert."
Doch wie gut die Förderung ist, hängt natürlich auch vom jeweiligen Nachhilfelehrer ab. Welche Bedingungen also müssen die Lehrer im Lerncamp überhaupt erfüllen? Die Angaben der "Schülerhilfe" dazu sind vage:
"Es ist wichtig, dass sie eine fachliche Qualifikation haben, aber genauso eine soziale, eine menschliche Qualifikation, weil es ganz wichtig ist, den Draht zum Schüler herzustellen."
Wie das überprüft wird - und was fachliche Qualifikation bedeutet - das bleibt im Ungefähren. In der Regel sind die Nachhilfelehrer Studenten, doch sie müssen nicht zwingend das Fach studieren, in dem sie die Nachhilfe geben. Martin Johler etwa gibt Mathe, studiert aber Psychologie:
"Aber ich habe viel Statistik und ich war schon seit Jahren Mathe-Nachhilfelehrer sozusagen."
Kann es sogar von Vorteil sein, wenn die Nachhilfelehrer nicht aus dem Schulwesen kommen? Der Bayreuther Pädagogikprofessor Ludwig Haag meint Ja:
"Der Nachhilfelehrer braucht kein Lehrer sein, sonst würde er das Gleiche runterspulen, was der Lehrer vormittags macht. Wenn er dafür sorgt, dass Vokabeln gelernt werden etc., dann reicht hier jemand, der gut mit Kindern kann."
Auf den Psychologiestudenten Martin Johler trifft das zu. Seine Schülerin Susanne Peter fühlte sich jedenfalls gut aufgehoben:
"Hier der Lehrer, der erklärt das für alle einzeln, erst für alle zusammen - und wenn es dann einer nicht verstanden hat, dann erklärt er es ihm wieder. An der Schule, der erklärt es dann ganz knapp und nicht für die Extrablöden, die es nicht verstanden haben - und dann hat man es genau so wenig verstanden wie vorher auch."
Bei allem subjektiven Wohlgefühl der Schüler dürfen Eltern den Lerncamps nicht ganz unkritisch begegnen, sagt Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Philologenverband:
"Bei den Lerncamps ist halt das Problem: Das sind überregionale, oft bundesweite Angebote, oft sogar Angebote für den gesamten europäischen Raum, die natürlich keine Abstimmung auf Lehrpläne in den einzelnen Bundesländern haben können."
Übersteigerte Erwartungen sollten Eltern deshalb besser nicht haben.
"Ich sehe es dann skeptisch, wenn im Zusammenhang mit Lerncamps bestimmte Versprechungen von Anbietern gemacht werden. Also wenn versprochen wird, dass mit dem Lerncamp etwaige Nachprüfungen, die es ja in einigen Bundesländern gibt, bestanden werden oder die Leistungen nachhaltig verbessert werden."
"Eine Gefahr besteht darin, dass man Dinge anbietet, von denen man gar nicht weiß, ob sie etwas bringen oder nicht - und das sogar vielleicht für viel Geld. Da macht man ein Musikcamp und verspricht den Eltern, dass sie danach auch besser Mathe können. Solche Sachen sind nicht erwiesen, man hat keine Belege, dass so was wirklich funktioniert",
gibt Bildungsforscherin Petra Stanat zu Bedenken. Grundsätzlich findet sie es aber durchaus positiv, wenn Schüler in Feriencamps gefördert werden. Fazit: Eltern sollten sorgfältig prüfen, was ihre Kinder im Lerncamp erreichen sollen und welcher Anbieter dies leisten kann. Für die meisten Eltern im Kleinwalsertal haben sich die Erwartungen erfüllt:
"Sehr gut, den Kindern hat es auch gut gefallen. Ich denke, dass sie einiges mitgenommen haben wieder."
"Ob sie jetzt die Probleme, die sie hatte, beseitigt hat, weiß ich nicht. Aber es hat ihr Spaß gemacht."
"Ich kann nur sagen, dass sie ganz zufrieden ist mit der Woche: Sie geht morgens gerne hin und kommt abends gut gelaunt zurück. Das ist ja schon mal was."
"Für uns war es perfekt. Insgesamt eine gute Mischung gewesen."