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Mit Wolfshund und Handy

In der Arbeit eines Schäfer gibt es vieles, was heute noch genauso wie vor hundert Jahren gilt. So ist der wichtigste Arbeitskollege weiterhin der Schäferhund. Auch für Annerose Kerner: Die Schäferin und ihr Hütehund sind ein lang erprobtes Team. Dabei sind die Herausforderungen an beide in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Das fängt beim Überqueren einer Straße an.

Von Uschi Götz |
    " Bubi steh!"

    Unruhig wandern die Augen von Annerose Kerner über ihre Herde. Die Schäferin und ihr Hund Bubi haben heute ganz schön viel zu tun. Es ist Sonntag und die Ausflügler ziehen in Scharen auf die schwäbische Burg Teck. Großstädter erkennt man daran, sagt die Schäferin, dass sie mitten durch die Herde laufen und sich dann vor dem nahenden Hund fürchten:

    " Bubi komm!"

    Bubis Name hält seiner Optik nicht stand. Der Mischlingshund sieht aus wie ein zu groß gewachsener Wolf mit funkelnden schwarzen Augen. Der Hütehund und die Schäferin sind ein lang erprobtes Team. Die Herausforderungen an beide sind in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Das fängt beim Überqueren einer Straße an:

    " Weil, die kommen angerast und auch wenn man an einer Straße entlang hütet, was auch jetzt in diesem Gebiet tagtäglich der Fall ist; die kommen angerast, die nehmen zum Teil nicht einmal den Fuß vom Gas, geschweige denn an Bremsen zu denken, selbst wenn Hund oder Kind oder Lämmer auf der Fahrbahn sind oder am Fahrbahnrand stehen, ja ... ne Straße zu überqueren ist wirklich immer mit Herzklopfen verbunden."

    Nicht nur 450 Schafe müssen sicher über die Straße gebracht werden, auch Töchterchen Alina ist häufig mit dabei. Annerose Kerner ist Alleinerziehende - aber sie wird von ihren Eltern unterstützt, auch finanziell, sonst müsste sie sich einen anderen Beruf suchen:

    " Ja, wir sind ein Familienbetrieb irgendwo, wo halt alle mithelfen, wenn es ist, aber ohne, dass die Familienangehörige dann noch arbeiten gingen, wäre es nicht möglich.

    Steh! "

    Seit Jahren war die 35-Jährige nicht im Urlaub und das bei einer Sieben-Tage-Woche, die schon früh am Morgen beginnt:

    " Um sechs, je nachdem. Also im Sommer, wenn dann Weidenwechsel ist, dann muss man zum Beispiel gleich morgens. Vor Sonnenaufgang also so um vier, halb fünf los, einfach um den vielen Verkehr, der da ist zu umgehen. "

    Die Schäferin trägt Jeans und T-Shirt bei der Arbeit, obendrauf noch eine modische Sonnenbrille. Das Handy steckt griffbereit in der Hosentasche. Der weidende Hirte wurde abgelöst, die Schäferei hat sich gewaltig verändert. Mit der häufig bemühten heilen Welt hätte ihr Leben und das ihrer Kollegen sowieso wenig zu tun, sagt die blonde Frau. Der bürokratische Aufwand habe sich in den Jahren vervielfacht. Jede Wanderstrecke mit den Schafen müsse von den Behörden genehmigt werden. Zig Naturschutzauflagen seien dann zu berücksichtigen - und noch viele andere Hürden:

    " Die Leute werden immer weniger tolerant, egal, ob man jetzt auch mal mit der Herde durch den Ort ziehen muss .. ja, wenn da halt mal da ein bisschen Schafdreck auf der Straße liegt, dann gibt es da halt echt Schwierigkeiten und es ist halt schlimm, ja, wenn man da jetzt ein schlechtes Gewissen jetzt nicht, aber wenn man da jetzt Angst haben muss ... oh .. was kommt jetzt wieder auf mich zu... was für Probleme habe ich jetzt wieder?"

    Heute hat die Schäferin keine Probleme. Ihre Schafe können bis zum Abend am Fuße der Teck bleiben. Ihr Blick wird ruhiger, auch Bubi gönnt sich eine Verschnaufpause. 450 Tiere - ein großes mähendes Wollknäuel? Nein! :

    " Jedes Schaf sieht anders aus. Meine Tochter erkennt ihre Pauline jetzt zum Beispiel von hinten, also die braucht nicht einmal das Gesicht oder den Kopf sehen, aber jedes Schaf, wenn man es genau anschaut, ist anders. Hat ein anderes Gesicht, hat andere Ohren, anderer Körperbau, Haltung, anderer Gang im Prinzip - ist tatsächlich so."

    Vorausgesetzt, das Wetter ist schön und die Sicht nicht getrübt. Eine wirkliche Herausforderung ist für die Schäferin, wie sie sagt, dichter Nebel jetzt wenn der Herbst kommt:

    " Nebel ist sehr schlimm - vor allem, wenn man unterwegs ist und dann Straße überqueren muss, ist das also sehr aufregend."

    Die Schafe werden unruhig, Tochter Alina verliert so langsam die Lust. Doch noch sind es viele Stunden bis zum Abend, zum Feierabend der keiner ist. Denn, wenn ein Gewitter aufzieht oder Nachwuchs erwartet wird, dann muss die Schäferin bei der Herde sein. Würde sie den gleichen Beruf noch einmal lernen, wenn sie wählen könnte:

    " Also die Momente überwiegen fast zu sagen - ich glaube nicht. Weil es wird irgendwie nicht besser, es wird immer noch härter und der Lammfleischpreis ist seit vielen Jahren gleich oder sinkt eher wie dass er steigen würde. Das heißt, man muss mehr produzieren und das ist hier einfach beengt, das geht hier einfach nicht. Und von daher.. schwierig zu sagen.

    Bubi."