Freitag, 19. April 2024

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Mitarbeiter der Treuhandanstalt
Abenteurergemeinschaft mit historisch einmaliger Aufgabe

Arbeiten im Ausnahmezustand und zwischen allen Stühlen sitzend: So fühlten sich die Mitarbeiter der Treuhand, die dafür zuständig waren, die DDR-Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft umzuwandeln. Das zeigen die Studien eines Bochumer Historikers, der das heterogene Personal der Anstalt untersucht hat.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 26.07.2018
    Das Werksgelände des Robotron-Kombinats in Dresden im Jahr 1994
    Tausende Betriebe in der DDR - wie hier das Robotron-Kombinat in Dresden - wurden abgewickelt (Picture Alliance / Thomas Lehmann)
    Brigitta Kauers hat noch die Ur-Treuhandanstalt kennengelernt. Nachdem die Regierung Modrow diese mit Blick auf eine Wirtschaftsunion mit der Bundesrepublik noch vor der DDR-Volkskammerwahl im März 1990 gründete, begannen die rund 100 Mitarbeiter mit einer ungewöhnlichen Arbeit: Sie sollten mehr als 8.000 volkseigene Betriebe mit über vier Millionen Beschäftigten in Kapitalgesellschaften umwandeln.
    "Eine Aufgabe war, gehen Sie mal in die Staatsbibliothek West – also ich rede von der DDR-Zeit, wir hatten noch kein West-Geld - und informieren Sie sich darüber und berichten mir dann in drei Tagen, wie die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Bundesbeteiligungen umgeht", sagt Kauers. "Mir war da immer ganz blümerant jeden Morgen, weil was würde da heute jetzt auf mich zukommen und: Kann ich das? Aber Bange machen galt nicht. Es stand ja immer die Gefahr im Raum, wenn du jetzt sagst, du kannst das nicht, dann feuern die dich."
    Zur Treuhand aus Angst vor Arbeitslosigkeit
    Die ostdeutschen Mitarbeiter waren in einer besonderen Situation. Viele hatten vorher in den Plankommissionen und Industrieministerien der DDR leitend daran mitgearbeitet, die sozialistische Wirtschaft am Laufen zu halten. Nicht wenige waren SED-Mitglieder. Sie gingen zur Treuhand, weil sie Angst davor hatten, ohne Arbeit dazustehen, erzählt Marcus Böick.
    Der Bochumer Zeithistoriker hat soeben ein umfangreiches Buch vorgelegt: In "Die Treuhand. Idee - Praxis - Erfahrung 1990-1994" untersucht er, wie die bis heute höchst umstrittene Privatisierungsbehörde entstanden ist, wie sie gearbeitet und welche Erfahrungen ihr Personal gemacht hat. Die ostdeutschen Mitarbeiter versuchten damals, als Referenten oder Sachbearbeiter ihr Knowhow einzubringen - und ihre westdeutschen Chefs für die ostdeutschen Verhältnisse zu sensibilisieren.
    "Sie wissen, wo sind die Betriebe, sie wissen, wie sehen die Branchen aus, sie kennen die Verhältnisse ein Stück weit. Zum Teil finden die es natürlich auch gut, an der Wiedervereinigung mitarbeiten zu dürfen und sehen das eher als gemeinschaftliches Projekt von Ost und West. Allerdings werden auch die Konflikte stärker betont, vor allem in ihren sozialen Umfeldern. Man wohnt ja weiter in der Platte wie vorher, also da ändert sich nichts. Aber man merkt, dass man für eine Organisation tätig ist, die einen unglaublich schlechten Ruf hat", sagt der Historiker.
    Auch Brigitta Kauers saß in der Staatlichen Plankommission, bevor sie zur Treuhand wechselte: "Ich hab's am Anfang versteckt. Wir haben im ersten Stock gewohnt in Prenzlauer Berg, und ich hatte mir gedacht, wenn das jetzt einer mitkriegt, schmeißt er Dir einen Stein rein."
    Ein Teil der Akten wird erforscht
    Seit letztem Jahr gerät die Treuhand wieder in den wissenschaftlichen Fokus. Das Institut für Zeitgeschichte hat begonnen, einen Teil ihrer Akten zu erforschen. Das Buch von Markus Böick dagegen legt einen Akzent auf die Wahrnehmung der Treuhand von außen und durch ihr Personal.
    Der promovierte Historiker an der Ruhr-Universität Bochum teilt dieses in drei Gruppen ein. Ab Sommer 1990 rückte mit den westdeutschen Managern aus der freien Wirtschaft eine zweite zentrale Gruppe in die Behörde nach. Ken Peter Paulin etwa war ab November 1990 fünf Jahre lang Direktor bei der Treuhand und der nachfolgenden "Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben": "Am Anfang herrschte das totale Chaos. Wir hatten nichts. Wir wussten nichts. Wir hatten nicht mal Mitarbeiter geschweige denn Büros (…). Und ich war zuständig am Anfang für die Sanierung, für die Sanierung der ganzen DDR-Wirtschaft. Können Sie sich das vorstellen, was da los war? Ich habe das operative Geschäft gemacht bis zum Ende. Ich habe es gerne gemacht."
    "Beispielsweise die älteren westdeutschen Manager, für die ist sehr markant dieses wilde Setting, ich habe es mal Frontier-Setting genannt, der Wilde Osten. Man kommt dahin, die Büroausstattung ist völlig indiskutabel, man weiß nichts, man ist völlig auf sich allein gestellt und darf aber auf einmal Entscheidungen treffen, die man in seinem Berufsleben noch nie so in dieser Form treffen durfte. Also man hat sehr weite Handlungsspielräume allerdings auch verknüpft mit entsprechenden Risiken und Ungewissheiten."
    Jüngere westdeutsche Nachwuchskräfte
    Dass die Treuhand mit ihren mehr als 2.100 Mitarbeitern im April 1991 äußerst heterogen zusammengesetzt war, liegt auch daran, dass neben einer großen Gruppe von Leihmanagern jüngere westdeutsche Nachwuchskräfte eingestellt wurden.
    Andrea Eggers kam im Sommer 1991 mit eineinhalb Jahren Berufserfahrung als Rechtsanwältin von Bielefeld nach Berlin ins Direktorat Umweltschutz/Altlasten: "Ich fand schon, dass das eine aufregende Arbeit war. Ich habe 92'/93' mit dem Bund und den fünf neuen Ländern eine Altlastenvereinbarung über eine Milliarde Euro pro Jahr verhandelt, ich als 29-Jährige mit den Staatssekretären der fünf Länder und Bundesumweltministerin Merkel. Das waren riesige Summen. Ich war so jung, dass mir die Dimension nicht so bewusst war."
    Das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen wurde in der Treuhand ständig reflektiert und diskutiert, erzählt Marcus Böick - trotz offizieller Verlautbarungen, dass die Spaltung zwischen Ost und West überwunden sei.
    Der Ausnahmezustand und das Gefühl, als eine Art Abenteurergemeinschaft an einer historisch einmaligen Aufgabe zu arbeiten, hielten die bunt zusammengewürfelten Mitarbeiter zusammen, stellt der Historiker fest: "Dieses Gefühl, hier in einer unmöglichen Situation, in einer unheimlichen beschleunigten Situation mit immensen Erwartungen konfrontiert zu sein und zwischen allen Stühlen zu sitzen, zwischen West und Ost, zwischen Betrieben und Investoren, zwischen Politikern verschiedener Couleur, die Journalisten, die Wissenschaftler, also alle blicken auf die Treuhandanstalt sehr kritisch und dann hier unter diesen immensen Drücken von außen die Arbeit zu erledigen und so schnell wie möglich sich selbst überflüssig zu machen."
    Bislang haben die beiden polarisierenden Haltungen über die Treuhandanstalt den öffentlichen Diskurs dominiert: Entweder gilt die Privatisierung inklusive Abwicklungen und Massenentlassungen als alternativlos oder als skrupellos-kriminell.
    Um zu einer differenzierteren Einschätzung zu kommen, muss außer den Akten der Treuhand auch die Transformationsphase der 90er Jahre insgesamt unter die Lupe, sagt Böick. Erst dann lasse sich verstehen, warum bis heute eine Spaltung zwischen West und Ost besteht.
    Buch als Auftakt und Diskussionsangebot
    "Mein Anliegen war zu fragen, was kann die Zeitgeschichte in dieser Debatte beitragen, die ja stark polarisiert ist zwischen Kritikern und Verteidigern und da einen Weg zu finden, über differenzierte Befunde, über neue Sichtweisen auf die Institution, aus der Institution zu neuen Perspektiven zu kommen, zu neuen Erzählungen zu kommen. Und die Treuhandgeschichte nicht nur als Geschichte 'Heroische Heldentat' oder als katastrophische Niedergangsgeschichte zu erzählen. Und sehe mein Buch auch eher als Auftakt, als Diskussionsangebot."