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Mitbewohner gesucht
Sönke Wortmann inszeniert "Willkommen" in Düsseldorf

Wie reagieren die Bewohner einer deutschen Luxus-WG, wenn plötzlich ein Flüchtling einziehen soll? Regisseur Sönke Wortmann inszeniert am Düsseldorfer Schauspiel mit "Willkommen" von Lutz Hübner und Sarah Nemitz ein Edel-Boulevardstück, in dem auf intelligente Weise klar wird: Es gibt keine einfachen Antworten auf komplexe Sachverhalte.

Von Dorothea Marcus | 05.02.2017
    Das Düsseldorfer Schauspielhaus, aufgenommen am 26.02.2014
    Mit "Frau Müller muss weg" feierte Lutz Hübner bereits einen Bühnen- und Kinoerfolg. Sein neues Stück heißt "Willkommen". (picture alliance / dpa / Jan-Philipp Strobel)
    Eine WG als metaphorisches Biotop Deutschlands, 200 Quadratmeter groß, Lift in die Wohnung, Dachterrasse, Tischtennisplatte. Man ist linksliberal, tolerant, feministisch und sozial. Mitbewohner Benny will ein Jahr lang nach New York ziehen, zu seinem Freund, und sein Zimmer in dieser Zeit Flüchtlingen überlassen. Ein Akt der Großzügigkeit, für ihn allerdings fast gratis. Denn mit ihnen zusammenleben muss er ja nicht. Schon die Stille am Küchentisch nach seinem Vorschlag ist bezeichnend. Dann beginnt schon fast ein Kleintierhandel.
    "Übrigens kann man natürlich aussuchen. Es ist nicht so, dass man dann fünf tunesische Crack-Dealer bekommt". – "Christen. Oder Jesiden. Oder Schwarzafrikaner. Doro, kommst du mit denen klar?" – "Wir können auch ein älteres Ehepaar nehmen. Oder zwei Schwestern. Oder schwul. Oder Transgender." - "Wie stellst du dir das vor? Wir gehen da hin, und die ersten die auf uns zukommen, sammeln wir auf?" – "Weil sie Schwule nicht kennen. Die sind bei denen nämlich alle im Knast oder werden gesteinigt. – Das ist rassistisch! – Na endlich ist es raus."
    Perfekt gesetzte Pointen
    Daraus, dass keiner der aufgeklärten, hochintelligenten Menschen , für die wir uns ja alle halten, hier auch nur ansatzweise reflektiert, wie potentiell rassistisch die weiße Herrschafts-Argumentation aus dem sicheren Loft herüberkommt, schöpft das Stück seine Pointen. Und von denen gibt es viele. Perfekt getimt von Sönke Wortmanns Regie regen sie zu vielen Lachern an. Aber die Flüchtlingskomödie "Willkommen" leistet mehr: sie erschöpft sich nicht darin, altbekannte Pegida-Argumente anzuprangern.
    Sondern sie lässt verstehen, warum etwa Doro, die feministische, alleinerziehende WG-Älteste mit wechselndem Männer-Besuch, keinen arabischen Mann in ihre Privatsphäre einziehen lassen will. Da wirkt sie deutlich ehrlicher als die vermeintlich so einfühlsame Idealistin Sophie. Die will das Hilfsangebot an Flüchtlinge am liebsten auch als dokumentarisches Kunst-Projekt verwerten.
    Das Stück schafft es tatsächlich, auf den Punkt zu bringen, in welcher Zwickmühle sich die deutsche Gesellschaft befindet, zwischen moralischem Anspruch und Verteidigung eigener liberaler Werte.
    Hochkompliziert wird es dann im Meinungslager, als die etwas stoffelige Jüngste der WG, Anna, schwanger ist von einem charmanten Deutschtürken und am liebsten ihm das Zimmer überließe.
    "Setz dich doch. Willst du einen Tee?" – "Bierchen wäre geil." – "Aber immer." – "Ich störe aber gerade kein wichtiges WG-Meeting?" – "Es war nur ein Essen." – "Wir sind auch schon bei den Chips". - "Er kann total lecker Kuzu Güvec." – "Ich sag meinen Kanaken noch: Morgen kommen zwölf Studentinnen aus DD, da müssen wir einen guten Eindruck machen. Ich dachte so an Werkstatt aufräumen, Arbeit simulieren und keine blöden Anmachersprüche. Am nächsten Tag kommen alle, als wäre Zuckerfest. Da stehen dann die Mädchen und keiner von den gepimpten Kanaken fasst einen Schraubenzieher an, weil sie alle Sorgen haben, sich ihre weißen Sneaker einzusauen. Scheiße war das peinlich." - "Hast du gerade Kanaken gesagt?"
    Traurige Diagnose einer Gesellschaft
    Ausgerechnet Ahmet, der in Deutschland eben nur Sozialarbeiter wurde und nicht etwa Rechtsanwalt, ist der politisch Unkorrekteste der Anwesenden – und auch dies kann man verstehen. Am Ende der hysterischen Zuspitzungen soll ins leere Zimmer dann doch nur eine Tischtennisplatte einziehen, der kapitalistische Mehrwert wird durch AirBNB abgesichert. "Willkommen" ist die traurige Diagnose einer Gesellschaft, in der sich eben selbst die liberalsten Eliten kein Stück ändern wollen.
    Sönke Wortmann inszeniert das pointensicher und souverän. Ein Edelboulevardstück, in dem auf intelligente Weise klar wird: Es gibt keine einfachen Antworten auf komplexe Sachverhalte. Weder das Pegida-Getöse noch die vermeintlich linke Problem-Ausblendung werden der neuen deutschen Wirklichkeit gerecht. Schade ist allerdings schon, dass der Filmregisseur Wortmann ohne jegliche metaphorische Metaebene auskommt: bei ihm ist ein Tisch ein Tisch und eine Hängematte eine Hängematte. Flott spielen die Schauspieler ihre überspitzten bundesdeutschen Prototypen herunter und lassen sie so letztlich von uns abprallen. So gut der Abend zugespitzt ist, so altbekannt ist sein Fazit: letztlich will jeder doch nur seine eigene Haut komfortabel retten. Spannender wäre es gewesen, nach neuen Spiegelungen Ausschau zu halten. Über den Untertitel in arabischer Schrift kommt man am Ende jedoch nicht hinaus.