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Mitdenkende Materialien

Technik. - Lärm ist auch bei modernsten Verkehrsmitteln heute noch ein großes Problem. Die Adaptronik will lärmende Vibrationen, die meist dafür verantwortlich sind, verhindern - durch aktive Materialien, die schallschluckende Gegenschwingungen erzeugen. Doch inzwischen kann Adaptronik viel mehr, als nur Lärm zu mildern. Das beweisen die Ingenieure momentan auf dem "Adaptronic Congress" im niedersächsischen Göttingen.

Von Björn Schwentker |
    Adaptronik, das ist für viele Ingenieure vor allem eine Methode, um technische Geräte besonders leise zu machen. Hubertus Siebald von der Göttinger Firma ERAS hat so eine Flüsteranlage mitgebracht:

    "Hier können wir ein aktives System aus dem Bereich der Automobilindustrie sehen, ein so genanntes active noise control system für Abgasanlagen, im Vergleich dargestellt sind hier zwei Abgasanlagen","

    ...links steht ein langes Abgasrohr mit herkömmlicher Schalldämpfung. Rechts daneben ein adaptronisch verändertes Exemplar: Eine vibrierende Klappe erzeugt im heißen Abgasstrom einen "Gegenschall" zum Lärm des röhrenden Auspuffs. Der Auspuff-Schall und der Gegenschall löschen sich aus, und das Auto wird extrem leise. Hubertus Siebald führt es vor:

    ""Ich starte jetzt mal die Präsentation, jetzt hören Sie die Serienanlage mit einem relativ hohen Schalldruckpegel, und dann vergleichsweise den Schalldruckpegel, den man bei dieser modifizierten, aktiven Anlage noch hören kann."

    Der Geräuschpegel sinkt auf ein Siebtel des normalen Wertes. Das funktioniert, weil Sensoren im Rohr den Auspuffkrach exakt vermessen. Der Computer berechnet daraus, wie der Motor die Klappe bewegen muss, damit sie den richtigen Gegenschall erzeugt. Oftmals werden in solchen adaptronischen Regelkreisen keine gewöhnlichen Motoren mehr eingesetzt, sondern sogenannte Piezo-Materialien. Sie verformen sich, indem man einfach Strom anlegt. Udo Borgmann von der Firma Pan Acoustics hat das Material ins Dach eines Autos eingebaut. Und es so zu einem Lautsprecher umfunktioniert. Borgmann:

    "Ja, wir sitzen jetzt hier in einem Fahrzeug der Oberklasse, ein süddeutscher Hersteller","

    im Inneren sieht alles ganz normal aus. Doch Piezo-Folien, versteckt im Dach, schaffen eine Akustik wie zuhause vor der Stereoanlage. Borgmann:

    ""Wir hören mal kurz rein in ein Musikstück, Simply Red. Hier hört man eine ausgesprochene Räumlichkeit, eine Klarheit in der Wiedergabe, wir schalten das System aus und schalten um auf das normale Standardsystem. Das Originalsystem klingt verwaschen, die Stimme ist unruhig, sie schwankt je nach Stimmlage:"

    Mit dem "Dachlautsprecher" aber ist der Klang so viel besser, weil die Elektronik, die die Vibrationen steuert, genau "weiß", wie sich der Schall im Wagen ausbreitet. Udo Borgmann hat die Akustik zuvor in jedem Winkel der Fahrgastzelle mit empfindlichen Sensoren exakt vermessen. Mit Hilfe dieser Daten berechnet nun die Steuerung des adaptronischen Systems, welche Teile des Autodaches zum Takt der Musik wie stark vibrieren müssen, damit das Klangerlebnis optimal wird. Solche Feinsteuerungen sind heute die größte Herausforderung in der Adaptronik. Doch auch die Entwicklung neuer Materialien geht voran, sagt Michael Matthias vom Darmstädter Fraunhofer Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit. So gebe es in Zukunft nicht mehr nur feste Antriebe, sondern auch flüssige. Matthias:

    "Aktive Fluide verändern ihre Viskosität, also ihre Eigenschaft, wie dünn-, oder wie dickflüssig sie sind, entweder durch Magnetfelder, oder durch elektrische Felder. Und mit diesen Systemen kann man sich zum Beispiel sehr gut vorstellen, Kupplungssysteme aufzubauen."

    Die Reibung zwischen den Kupplungsscheiben wäre über die Zähigkeit des Gleitmittels dann extrem genau kontrollierbar - stufenlos. Schon träumen die Ingenieure vom perfekten fluidischen Stoßdämpfer im ruckelfreien Auto der Zukunft. Noch sind die Flüssigkeiten in der Entwicklung, doch die Automobilindustrie zeigt schon Interesse.