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Mitgeschöpfe oder seelenlose Nutzobjekte?

Tiere haben keine unsterbliche Seele, sie sind nicht für die Ewigkeit geschaffen, so lautet der Tenor der meisten christlichen Theologen. Dabei nehmen die Tiere in den Geschichten der Bibel eine wichtige Rolle ein.

Von Maria Rigoutsou und Monika Konigorski | 08.04.2013
    Ein Tierfriedhof in Berlin-Brandenburg, "Tierhimmel" heißt er. Entlang der Schotterwege reihen sich kleine Grabflächen aneinander, Steine mit Fotos eines verstorbenen Hundes, der Katze, des Papageis, der Schildkröte. In einem Raum, der architektonisch wie eine Kapelle gestaltet ist, können sich Trauernde zurückziehen. Der Bestatter bietet Trauerbegleitung und Grabreden auf das Tier an.

    Was passiert mit den Tieren nach ihrem Tod? Kommen Tiere in den Himmel, ins Paradies?

    "Je länger ich mich mit der Frage beschäftige, umso eher sage ich dann etwas flapsig – ja wohin denn sonst?"

    Sagt Rainer Hagencord, Theologe und Biologe, Lehrbeauftragter an der Philosophisch-Theologischen Ordenshochschule in Münster.

    "Wenn ich davon ausgehe, dass Gott Liebhaber des Lebens ist, und wenn ich den biblischen Gedanken dazu folge, in dem Gott alles, was er geschaffen hat segnet und liebt und Bündnispartner auch der Tiere ist, dann möchte ich auch an einen Gott glauben, dem nichts, was er da liebt und geschaffen hat, aus den Händen fallen lässt. Also dann mit dieser theologischen Vokabel: auch in die Ewigkeit auch in den Himmel aufnimmt."

    Rainer Hagencord hat schon in seiner Promotion Theologie und Biologie zusammengebracht, indem er verhaltensbiologische und theologische Argumente anführt und eine neue Sicht auf die Tiere fordert. Er kritisiert das Schweigen des Christentums zum Umgang des Menschen mit dem Tier.

    "Wir leben ja eher in einer Kultur, die entfremdet ist von den Tieren und der Natur. Es ist eine anthropozentrische Theologie, die sich da breitgemacht hat, in der die Tiere ja vielleicht am Rande mal vorkommen, entweder als Haustiere oder als solche, die wir dann vielleicht mal auf dem Teller haben. Dass Tiere etwas mit dem Glauben zu tun haben, das ist für unsere Kultur fast fremd."

    Das will Hagencord ändern. Vor ein paar Jahren hat er zusammen mit Anton Rotzetter das Institut für theologische Zoologie in Münster eröffnet. Zu Beginn belächelten Theologenkollegen und Medien das Institut vor allem als Kuriosität, mittlerweile, so Hagencord, häufen sich die Anfragen von Tagungszentren, Hochschulen, Bürgerinitiativen und Parteien.

    Anliegen von Hagencord und seinen Kollegen ist es nicht, besorgten Tierbesitzern zu erklären: Ja, dein Hund, den du so sehr liebst, dein Pferd, deine Katze, die werden auch im Himmel sein.

    "Das find ich sehr naheliegend, dass so ein Gedanke entsteht. Der ist aber, mit Verlaub, etwas anthropozentrisch, auf den Menschen bezogen. Da würde dann das Sein im Himmel, das bei Gott Sein, davon abhängig gemacht, dass ein Mensch ein Tier liebt. Das möchte ich hinter mir lassen und eher dieser biblischen Theologie folgen, die sagt: Jedes Lebewesen hat einen solchen Wert bei Gott, dass es nicht ins Nichts fällt."

    Auch die Kakerlake und die Stechmücke? Und der Ochse, der als Braten auf dem Teller landet? Die Lachsforelle im Tiefkühlfach?

    Das Volk Israel formuliert seinen Glauben an den einen Gott in einem Kulturkreis, in dem – wie in Ägypten - Tiere als Götter verehrt werden. Von dieser Vergötterung grenzen die Autoren der Bibel sich deutlich ab. Aber Tiere haben für das alltägliche Leben in einer agrarischen Kultur eine so entscheidende Bedeutung, dass die Autoren die Frage aufwerfen: Wie steht unser Gott zu den Wesen, die ständig um uns herum sind, mit denen und von denen wir leben?

    "Eine der zentralen Geschichte ist die von der Arche Noah, von Sintflut, der Rettung und dem Bundesschluss am Ende. Ein theologisch großer Begriff fällt hier, nämlich der Begriff des Bundes nach der Sintflut und nach der Rettung, und hier zeigen die Autoren einen Gott, der auch Bündnispartner der Tiere ist."

    In der biblischen Geschichte von Noah im Buch Genesis wird erzählt, dass nicht nur Noah und seine Familie vor der Sintflut gerettet werden, sondern auch ein Paar von jeder Tierart. Auch von jenen Tieren, die nach jüdischer Auffassung unrein und damit für den menschlichen Genuss untauglich sind. Das zeigt, so Hagencord: Die Menschen wussten damals noch, dass es zum Überleben des Menschen alle Tiere braucht.

    Im einem anderen alttestamentarischen Buch, dem Buch Hiob heißt es: "Doch frag nur die Tiere, sie lehren es dich."

    Eine wichtige Rolle, die Tiere in den biblischen Geschichten einnehmen, betont Hagencord.

    "Die Tiere sind im Hiobbuch Lehrer/Lehrerinnen für diesen leidgeprüften Menschen. Das Wort Jesu: Lernt von den Vögeln des Himmels. Dann die Geschichte von Bileam und seiner Eselin, in der die Eselin den Engel sieht und nicht der Prophet – auch da ein Hinweis: Lernt auch von den Tieren, lernt von dieser Art des Lebens der Gottunmittelbarkeit, für das die Tiere stehen."

    Dies, so Hagencord, hat die christliche Theologie im Laufe ihrer Geschichte vergessen. Augustinus unterscheidet die unsterbliche Seele des Menschen von der des Tieres, die, so der Kirchenvater, mit dem Tier stirbt. Eine ähnliche Position bezieht Thomas von Aquin 900 Jahre später. In Anlehnung an Aristoteles sagt er: Tiere haben keine unsterbliche Seele, sie sind nicht für die Ewigkeit geschaffen. Auch der Einfluss neuzeitlicher Denker wie Descartes, Bacon und Leibniz, kamen dem Wert des Tieres nicht zugute, so Theologe Hagencord.

    "Descartes sagt: Nur der Mensch hat eine vernunftbegabte Seele, Tiere sind seelenlose Automaten, und fatal ist, dass eine solche Denkweise es bis in das päpstliche Lehramt hinein geschafft hat. 1996 gab es eine der letzten großen Verlautbarungen, damals noch Johannes Paul II., der vor der Akademie der Wissenschaften gesagt hat: Wir dürfen annehmen, dass der Leib des Menschen der Evolution unterworfen und in dieser Dynamik entstanden ist. Wir müssen aber – sagt er, an der Lehre der Kirche festhalten, wonach jeder Mensch seine Seele unmittelbar von Gott erhält. Das ist im Grunde eine Dualismus a la Descartes, aber das ist nicht biblische Theologie."

    Den biblischen Autoren, so Hagencord, sei es fremd, dass ein Geschöpf eine Seele habe, ein anderes aber nicht.

    "Die biblischen Autoren haben eher einen Monismus als Grundgedanken, und in diesem Monismus ist jedes Geschöpf lebendige Seele. Es gibt da nicht diese Zusatzausstattung."

    Hagencord findet in der Kirchen- und Theologiegeschichte allerdings auch Vorbilder für seine "Theologie mit dem Gesicht zum Tier".

    "Der gute Franz von Assisi wird sicher vielen als erster auftauchen, der in seiner Gesamttheologie eine unmittelbare Beziehung zu den Tieren formuliert und die Tiere als seine Geschwister, die Schöpfung insgesamt als seine Geschwister formuliert. Albert Schweitzer fällt mir ein – Sprung in die Neuzeit: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will. Ich denke an Karl Barth, den großen evangelischen Theologen, der von der Ehre der nicht-menschlichen Kreatur spricht."

    Jene, die die Anthropozentrierung des Christentums kritisieren wie auch Tierschützer sehen in den biblischen Geschichten allerdings auch die abwertende Haltung gegenüber Tieren grundgelegt: Der Mensch als Krone der Schöpfung, der mit seiner Umwelt und seinen Mitgeschöpfen verfahren kann, wie er will. Besonders problematisch: Die Wirkungsgeschichte von Vers 28 im ersten Kapitel des Buches Genesis. Dort heißt es über die Menschen:

    "Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen."

    Für Rainer Hagencord ist damit jedoch gerade kein Ausbeuten gemeint:

    "Die beiden Begriffe, also 'herrschen über' und 'untertan machen', das sagen Exegeten und Exegetinnen, sind Attribute eines Hirten, eines guten Königs."

    Wenn es in den Geschichten der Bibel etwas zu feiern gibt, spielt das Schlachten und Verzehren eines Tieres dabei eine große Rolle. Beispielsweise im neutestamentlichen Gleichnis vom barmherzigen Vater. Der verlorene Sohn kehrt heim, der Vater lässt vor Freude das Mastkalb schlachten. Theologe und Biologe Rainer Hagencord.

    "Dieses Mastkalb trägt dazu bei, dass ein Fest entsteht. Das Tier ist hier nicht einfach ein Lebensmittel, das man so isst, wie man ein Stück Salat oder einen Brokkoli zu sich nimmt, sondern das Tier steht für Fest, steht für Lebensfreude, ist etwas absolut Besonderes."

    Doch ein Dilemma bleibt trotzdem:

    "Dieses Dilemma heißt: Ich kann nur leben, indem anderes Leben sich für mich hingibt. Oder anders gesagt: Ich muss anderes Leben vernichten, um zu überleben. Aus diesem Dilemma komme ich nicht raus. Dann bin sehr schnell bei Fragen, was kaufe ich denn, was esse ich denn? Muss ich unbedingt noch Fleisch essen? Wenn ja, möchte ich doch wenigstens wissen, dass das Tier, die Pute, das Huhn ein gutes Leben gehabt hat. Das sind dann schon sehr lebenspraktische Konsequenzen, die sich aus diesem Grundwort der Wertschätzung und des Respektes vor allen Tieren entwickelt."