Fast 30 Frauen und Männer unterschiedlichen Alters geben Auskunft, erinnern sich verblüffend detailliert an viele Begebenheiten und Beobachtungen, auch kleine, auch viele Jahre zurückliegende. Vor allem diese persönlichen Geschichten machen das Buch lesenswert. Die Befragten denken noch einmal nach, über ihr Leben in der DDR, über die Russen, die verlogene Propaganda, über Freundschaft und Menschenrechte. So wie zum Beispiel Antje Guttermann, 1944 in Buttstädt geboren:
" Ich erinnere mich, dass mal ein großer Feiertag mit den Russen begangen wurde. Das war so in den achtziger Jahren. Ich bin mit in die Garnison zum Feiern gegangen … suchte eine Toilette … und landete schließlich im Speiseraum der Soldaten. Da gab es nur eine sparsame Beleuchtung. Und da standen große junge Männer mit kahl geschorenen Köpfen. Sie hatten zerrissene Unterhemden an und nichts darüber. Sie hantierten mit Alunäpfen, stark zerbeulten Alunäpfen. Im Raum stand ein Tisch, der bestand nur aus einer Bohle. Die war im Erdboden verankert und dahinter diente eine zweite Bohle als Bank. … Es war so düster, ich dachte, ich sei in der Hölle. … So etwas Gespenstisches, diese Bänke, diese verbeulten Näpfe, diese Schüsseln und diese jungen Männer! Es waren ganz schmale, hagere Jungs und diese zerrissenen Leinenunterhemden … Ich war ganz entsetzt, ich dachte, das kann doch nicht wahr sein. Ich bin dann hoch und raus. Angstvoll, muss ich Ihnen sagen, richtig panisch! Und die da oben haben getanzt und getrunken. "
Carsten B., 1955 in Weimar geboren, machte eine ähnliche Beobachtung:
" Wenn ich einen Muschkoten sah, dachte ich immer, der arme Kerl… Es wurde öfter mal bekannt, dass man sie streng gezüchtigt hat. Die Folgen solcher Strafen sah man ihnen an. Sie traten sehr demütig auf. … Wenn bekannt wurde, dass jemand abgehauen war, empfand man eher Mitleid. Verraten hätte man sie eher nicht. "
Mitleid mit den Russen - ein überraschender Eindruck, wenn man bedenkt, dass es hier ja eigentlich um die Besatzer geht, um mehr als vier Jahrzehnte, in denen sie in Thüringen stationiert waren, viele Probleme gebracht und gemacht haben. Mitleid vor allem mit den einfachen Soldaten, entsetzt darüber, wie sie behandelt wurden. Das deckte sich nicht mit dem von der Staatsführung sonst so apodiktisch verkündeten so genannten "sozialistischen Menschenbild". - Dietrich G., 1949 in Weimar geboren, sieht das im Nachhinein so:
" Die Generation meines Vaters hatte mit den Russen kaum etwas zu tun und wollte auch nichts mit ihnen zu tun haben. (…) Die erste Nachkriegsgeneration dagegen wuchs mit den Russen auf und hatte keine Vorurteile. Man war ja damals noch ein Kind. Aber für die Generation danach gab es kaum noch Möglichkeiten, wirkliche Kontakte zu knüpfen. Sie wurden durch die Partei und den Staat gedrängt und in eine bestimmte Richtung geschoben. Man könnte sagen, dass der Zwang die Freundschaft verhindert hat. "
Thüringen war voll von sowjetischen Truppen, Garnisonen und Truppenübungsplätzen, die Belastung für die Bevölkerung hoch. Um das abzumildern, erfand die DDR-Führung die "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft", die DSF, - ein zweckloser Versuch, Freundschaft "von oben" zu erzwingen und zu steuern. - Wie so etwas konkret aussah, schildert in dem Band "Die Russen kommen", der 1941 in Jena geborene Klaus R.:
" Ich war Kassierer beim DSF-Vorstand. Die ganze Sache war aber mehr eine einseitige Angelegenheit. Ein gewisses Anbiedern der Deutschen bei den Russen. So habe ich es jedenfalls empfunden. … Die Mitgliedschaft war in den meisten Betrieben zwar kein direktes Muss, aber es wurde viel Wert darauf gelegt, dass jeder mitmachte. "
Wie haben sie die ersten Russen kennengelernt? Hatten sie Angst? Wie kamen sie in Kontakt? Wie standen sie zur Deutsch-sowjetischen Freundschaft? Was haben 40 Jahre Zusammenleben in den Köpfen verändert? - Es sind diese und ähnliche immer wieder kehrende Fragen, die das Lesen des Buches einfach machen, hin und wieder aber auch zum Weiterblättern verführen, weil sich manche Geschichten ähnlicher werden, je länger die DDR-Zeit zurückliegt, über die erzählt wird. Aus den ersten Besetzerjahren erfahren die Leser viele Geschichten rund um den blühenden Handel untereinander und miteinander, der später allerdings auch im Großen weiter betrieben wurde. Betriebe brauchten Arbeitskräfte, die Garnisonen irgendwelche Maschinen und umgekehrt. Eine Art von modernem Warenaustausch, Wechselgeschäfte entlang der offiziellen Linie, häufig genug am Rande der Legalität. Konserven gegen Arbeitskräfte zum Beispiel, Benzin gegen Geld oder Alkohol. DDR-Alltags-Geschichten der besonderen Art. Auch von persönlichen, familiären Kontakten, die aber nicht wirklich erwünscht und dann fast nur zu Offizieren und ihren Familien möglich waren. Bevor die Erinnerungen an die Zeit mit "den Russen" in der DDR verblassen, hat sie die Thüringer "Landeszentrale für Politische Bildung" sammeln lassen und anschließend verlegt. Dann war sie allerdings selbst überrascht war vom großen Interesse beim zumeist älteren Publikum. Mit der zweiten Auflage sind schon dreieinhalbtausend Exemplare erschienen. Lesungen sind gut besucht - man will offensichtlich hören, ob andere ähnliches erlebt haben. Vielleicht ist es ja deshalb vor allem ein ostdeutsches Buch. Für Westdeutsche indes könnte der Vergleich mit den eigenen Erlebnissen, im Umgang mit ihren fremden Soldaten interessant sein - den Amerikanern, den Engländern und den Franzosen.
"Die Russen kommen - Erinnerungen an sowjetische Soldaten 1945 - 1992". Elke Durak hat dieses 231 Seiten umfassende Buch besprochen, das Silke Satjukow bei der Landeszentrale für Politische Bildung Thüringen in Erfurt herausgegeben hat.
" Ich erinnere mich, dass mal ein großer Feiertag mit den Russen begangen wurde. Das war so in den achtziger Jahren. Ich bin mit in die Garnison zum Feiern gegangen … suchte eine Toilette … und landete schließlich im Speiseraum der Soldaten. Da gab es nur eine sparsame Beleuchtung. Und da standen große junge Männer mit kahl geschorenen Köpfen. Sie hatten zerrissene Unterhemden an und nichts darüber. Sie hantierten mit Alunäpfen, stark zerbeulten Alunäpfen. Im Raum stand ein Tisch, der bestand nur aus einer Bohle. Die war im Erdboden verankert und dahinter diente eine zweite Bohle als Bank. … Es war so düster, ich dachte, ich sei in der Hölle. … So etwas Gespenstisches, diese Bänke, diese verbeulten Näpfe, diese Schüsseln und diese jungen Männer! Es waren ganz schmale, hagere Jungs und diese zerrissenen Leinenunterhemden … Ich war ganz entsetzt, ich dachte, das kann doch nicht wahr sein. Ich bin dann hoch und raus. Angstvoll, muss ich Ihnen sagen, richtig panisch! Und die da oben haben getanzt und getrunken. "
Carsten B., 1955 in Weimar geboren, machte eine ähnliche Beobachtung:
" Wenn ich einen Muschkoten sah, dachte ich immer, der arme Kerl… Es wurde öfter mal bekannt, dass man sie streng gezüchtigt hat. Die Folgen solcher Strafen sah man ihnen an. Sie traten sehr demütig auf. … Wenn bekannt wurde, dass jemand abgehauen war, empfand man eher Mitleid. Verraten hätte man sie eher nicht. "
Mitleid mit den Russen - ein überraschender Eindruck, wenn man bedenkt, dass es hier ja eigentlich um die Besatzer geht, um mehr als vier Jahrzehnte, in denen sie in Thüringen stationiert waren, viele Probleme gebracht und gemacht haben. Mitleid vor allem mit den einfachen Soldaten, entsetzt darüber, wie sie behandelt wurden. Das deckte sich nicht mit dem von der Staatsführung sonst so apodiktisch verkündeten so genannten "sozialistischen Menschenbild". - Dietrich G., 1949 in Weimar geboren, sieht das im Nachhinein so:
" Die Generation meines Vaters hatte mit den Russen kaum etwas zu tun und wollte auch nichts mit ihnen zu tun haben. (…) Die erste Nachkriegsgeneration dagegen wuchs mit den Russen auf und hatte keine Vorurteile. Man war ja damals noch ein Kind. Aber für die Generation danach gab es kaum noch Möglichkeiten, wirkliche Kontakte zu knüpfen. Sie wurden durch die Partei und den Staat gedrängt und in eine bestimmte Richtung geschoben. Man könnte sagen, dass der Zwang die Freundschaft verhindert hat. "
Thüringen war voll von sowjetischen Truppen, Garnisonen und Truppenübungsplätzen, die Belastung für die Bevölkerung hoch. Um das abzumildern, erfand die DDR-Führung die "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft", die DSF, - ein zweckloser Versuch, Freundschaft "von oben" zu erzwingen und zu steuern. - Wie so etwas konkret aussah, schildert in dem Band "Die Russen kommen", der 1941 in Jena geborene Klaus R.:
" Ich war Kassierer beim DSF-Vorstand. Die ganze Sache war aber mehr eine einseitige Angelegenheit. Ein gewisses Anbiedern der Deutschen bei den Russen. So habe ich es jedenfalls empfunden. … Die Mitgliedschaft war in den meisten Betrieben zwar kein direktes Muss, aber es wurde viel Wert darauf gelegt, dass jeder mitmachte. "
Wie haben sie die ersten Russen kennengelernt? Hatten sie Angst? Wie kamen sie in Kontakt? Wie standen sie zur Deutsch-sowjetischen Freundschaft? Was haben 40 Jahre Zusammenleben in den Köpfen verändert? - Es sind diese und ähnliche immer wieder kehrende Fragen, die das Lesen des Buches einfach machen, hin und wieder aber auch zum Weiterblättern verführen, weil sich manche Geschichten ähnlicher werden, je länger die DDR-Zeit zurückliegt, über die erzählt wird. Aus den ersten Besetzerjahren erfahren die Leser viele Geschichten rund um den blühenden Handel untereinander und miteinander, der später allerdings auch im Großen weiter betrieben wurde. Betriebe brauchten Arbeitskräfte, die Garnisonen irgendwelche Maschinen und umgekehrt. Eine Art von modernem Warenaustausch, Wechselgeschäfte entlang der offiziellen Linie, häufig genug am Rande der Legalität. Konserven gegen Arbeitskräfte zum Beispiel, Benzin gegen Geld oder Alkohol. DDR-Alltags-Geschichten der besonderen Art. Auch von persönlichen, familiären Kontakten, die aber nicht wirklich erwünscht und dann fast nur zu Offizieren und ihren Familien möglich waren. Bevor die Erinnerungen an die Zeit mit "den Russen" in der DDR verblassen, hat sie die Thüringer "Landeszentrale für Politische Bildung" sammeln lassen und anschließend verlegt. Dann war sie allerdings selbst überrascht war vom großen Interesse beim zumeist älteren Publikum. Mit der zweiten Auflage sind schon dreieinhalbtausend Exemplare erschienen. Lesungen sind gut besucht - man will offensichtlich hören, ob andere ähnliches erlebt haben. Vielleicht ist es ja deshalb vor allem ein ostdeutsches Buch. Für Westdeutsche indes könnte der Vergleich mit den eigenen Erlebnissen, im Umgang mit ihren fremden Soldaten interessant sein - den Amerikanern, den Engländern und den Franzosen.
"Die Russen kommen - Erinnerungen an sowjetische Soldaten 1945 - 1992". Elke Durak hat dieses 231 Seiten umfassende Buch besprochen, das Silke Satjukow bei der Landeszentrale für Politische Bildung Thüringen in Erfurt herausgegeben hat.