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Mittelbaden nach dem PFC-Skandal
Landschaft mit Gift

Es dürfte der flächenmäßig größte Umweltskandal sein, den es in Deutschland je gab: Rund 470 Hektar Ackerland rund um Rastatt und Baden-Baden sind mit giftigen Fluorverbindungen verseucht. Die äußerst schwer abbaubaren Substanzen sind mittlerweile bereits ins Grundwasser vorgedrungen. Wie passen sich die Menschen der Bedrohung an? Was kann die Wissenschaft tun, um die Folgen zu mindern?

Von Arndt Reuning | 23.04.2017
    Eine Ackerfläche im Landkreis Rastatt (Baden-Württemberg) aus der ein Landwirt eine Bienenweide gemacht hat, da der Boden mit sogenannten per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) belastet ist, aufgenommen am 19.09.2016. Rund 400 Hektar Ackerboden in Mittelbaden sind mit PFC-Chemikalien verseucht.
    Rund 400 Hektar Ackerboden in Mittelbaden sind mit PFC-Chemikalien verseucht. (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    Herr Schumann bereitet Tee zu. Er greift zur Kanne mit dem Wasserfilter auf der Anrichte, klappt den Deckel des Wasserkochers nach oben und befüllt das Gerät. Dann öffnet eine grüne Tüte. Wann immer er Tee zubereitet, tut er das inzwischen mit gemischten Gefühlen.
    "Weil also so für das eigentliche Trinkwasser zum Trinken beim Essen oder auch zwischendurch benutzen wir abgepacktes Wasser. Aber jetzt zum Teekochen immer noch Leitungswasser. So wie auch zum Nudeln kochen beispielsweise."
    Ulrich Schumann lebt in Kuppenheim, einem kleinen Ort in der Region. Rathaus, Bahnhof, Kirche. Nicht weit von Schumanns Küche beginnen die Felder, und hier liegt auch die Ursache für sein Unbehagen beim Teetrinken: dort draußen verteilen sich Industriechemikalien: Poly- und Perfluorierte Substanzen, kurz PFC.
    "2013 ist man hier gewarnt worden, dass PFC sich im Trinkwasser befindet und dass ein bestimmter Wert überschritten worden sei, ab dem eben Schwangere, Stillende und Kleinkinder das Wasser nach Möglichkeit nicht mehr trinken sollten. Und da wurde eben dann so langsam Stück für Stück das Ausmaß dieses Skandals sichtbar, wobei das immer noch nicht wirklich abzuschätzen ist."
    Die Substanzen mussten menschlichen Ursprungs sein
    Ulrich Schumann ist eigentlich Kunsthistoriker. An der Universität Straßburg lehrt er Europäische Kultur. Doch mittlerweile beschäftigt er sich auch mit Toxikologie. Und er hat eine Bürgerinitiative mit gegründet: "Sauberes Trinkwasser für Kuppenheim". Er erinnert sich noch an die Ratlosigkeit in den ersten Wochen, als die Hiobsbotschaft bekannt wurde. Die Wasserversorger ergriffen damals erste Notmaßnahmen.
    "Man hat dann eben versucht, die PFC-Belastung zu verringern, indem man Wasser beigemischt hat. Also man hat stark belastete Brunnen geschlossen und andere geöffnet und das Wasser von diesen Brunnen beigemischt, um eben dann die Konzentration der PFC im Wasser zu verringern."
    Und dann begann die Suche nach den Ursachen der Kontamination. Denn eines war unstrittig: Die Substanzen mussten menschlichen Ursprungs sein. In der Natur kommen PFC normalerweise nicht vor. Auf den Äckern und Feldern wurden die Behörden schließlich fündig.
    "Es hat wohl zu tun mit Papierschlämmen, die an Landwirte abgegeben wurden, damit die Landwirte damit ihre Äcker düngen konnten, also als Kompost sozusagen. Und in diesen Papierschlämmen scheinen diese PFCs gewesen zu sein.
    Ein Sprühfahrzeug spritzt auf einem Feld bei Rostock
    Als Verunreinigung in Kompostdünger wurden die PFC wohl auf die Äcker gekippt (imago/Bildwerk)
    Also PFC ist eine ganze Klasse von unterschiedlichen chemischen Verbindungen. Und es deutet eben vieles darauf hin, dass diese PFC aus der Papierherstellung gekommen sind."
    Ein Komposthändler aus dem Ort Bühl geriet in Verdacht. Aber dass das Gift von ihm stammte, konnte nicht hundertprozentig nachgewiesen werden, das strafrechtliche Verfahren ist eingestellt. Als der Skandal 2013 öffentlich wurde, hatten die Kuppenheimer vermutlich schon über Jahre hinweg das kontaminierte Wasser aus der Leitung getrunken. Die Behörden sahen eine Blutuntersuchung als "nicht zielführend" an, und so fahndete Schumanns Bürgerinitiative selbst nach den Spuren. Knapp zwanzig Personen beteiligten sich an der Analyse. Ein Arzt aus dem Ort nahm Blut ab. Die Proben schickte er an ein zertifiziertes Labor in Bremen.
    "Und nach einiger Zeit kamen dann auch die Ergebnisse zurück. Und die waren durchaus bemerkenswert, weil sie doch zum einen deutlich über den bisherigen Referenzwerten lagen. Also ich glaube, im Schnitt so bei der fünffachen Menge an PFC im Blut als was für normal gehalten wurde oder für erträglich gehalten wurde. Und es war eben genau diese PFC-Verbindung, die im Trinkwasser ist, die dann eben auch im Blut nachgewiesen werden konnte. Und wenn man das mal sieht, dann auf dem Ausdruck also seine eigenen Werte, das gibt einem schon zu denken. Für viele hat es eben dann doch auch ein Umdenken erzeugt, also dass man eben dann doch umgestiegen ist von Leitungswasser auf abgepacktes Wasser."
    Das Fünffache dessen, was als Durchschnittswert in der Bevölkerung gilt. Angesichts der Stoffeigenschaften der PFC waren das nachvollziehbare Werte.
    "Das Problem ist eben, dass sie sich nicht nur in der Umwelt anreichern, sondern auch nach der Aufnahme in den Körper relativ schlecht ausscheidbar sind. Also bestimmte Stoffe haben sehr lange Halbwertszeiten im Körper, die im Bereich von Jahren liegen beim Menschen."
    Beeinträchtigung von Fortpflanzungsfähigkeit, Fettstoffwechsel, Immunsystem
    Ulrike Pabel beschäftigt sich am Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin mit den organischen Fluorverbindungen. PFOS, der prominenteste Vertreter auf einer Liste von rund 1.000 PFC, darf aufgrund der Stockholmer Konvention über persistente organische Schadstoffe nur noch sehr eingeschränkt verwendet werden, zum Beispiel in der Metallverarbeitung und der Galvanik. Trotzdem ist die Säure aufgrund ihrer Langlebigkeit in sehr geringen Konzentrationen fast überall in der Umwelt zu finden. Sie gehört auch zu jenen PFC, deren gesundheitsschädliche Wirkung am besten erforscht ist.
    "Im Vordergrund für die gesundheitliche Bewertung stehen Ergebnisse aus Tierexperimenten. Und hier sind das vor allem Wirkungen auf die Leber, also die Lebertoxizität, und Wirkungen auf die Schilddrüse. Aber Perfluoralkylsubstanzen können auch andere Wirkungen haben."
    Die Stoffe beeinträchtigen die Fortpflanzungsfähigkeit, den Fettstoffwechsel, das Immunsystem – und als krebserregend gelten einige der Verbindungen obendrein.
    "Haupteintragspfad für den Menschen sind, soweit bekannt, tatsächlich Lebensmittel und auch Trinkwasser. In den meisten Lebensmitteln werden allerdings vielfach einfach immer Gehalte unterhalb der Nachweisgrenze gemessen. Insofern sind dort auch keine Höchstgehalte festgelegt worden bisher."
    Das Ausmaß der Umweltweltverschmutzung in Mittelbaden ist beispiellos wegen der Flächen, die betroffen sind: Als Verunreinigung in Kompostdünger wurden die PFC wohl auf die Äcker gekippt. Regen hat einen Teil davon ausgewaschen, mitgenommen ins Grundwasser, bis zu zehn Meter tief im Boden. Brunnen haben die Substanzen wieder nach oben befördert, wo sie im Rohwasser der Versorger Jahre später entdeckt wurden. Poly- und Perfluorierte Substanzen basieren auf organischen Verbindungen. An deren Kohlenstoff-gerüst sitzen üblicherweise Wasserstoffatome. In den PFC werden viele oder sogar alle diese Plätze von Fluoratomen eingenommen. Die schirmen das Molekül wie eine chemische Rüstung nach außen ab, machen es stabil. Von alleine wird Mittelbaden die Industrie-Gifte also nicht wieder los.
    "Die Situation zeichnet sich dadurch aus, dass wir eine recht große Fläche auf verschiedene kleine Flächen verteilt haben. Das heißt, ich habe keinen Hotspot mit einer hohen Belastung, wo man durchaus überlegen könnte, diese Erde auszutauschen. Aber wenn Sie sich vorstellen: vierhundertsiebzig Hektar verteilt auf tausend Hektar, dann ist das eben eine ganz andere flächenmäßige Qualität."
    Keine Lösung für mittelfristige Entfernung
    Die Hoffnung, betroffenes Erdreich einfach abzutragen, erwies sich schnell als illusorisch, erzählt Ulrich Roßwag vom Regierungspräsidium Karlsruhe. Würden auch nur die obersten sechzig Zentimeter des Bodens entfernt, so dürfte das auf der ganzen Fläche über zwei Milliarden Euro kosten – von der praktischen Durchführbarkeit und Entsorgung einmal ganz abgesehen. Zerschlagen hat sich vorerst auch die Hoffnung, zumindest die mobilen, kurzkettigen Verbindungen mit Hilfe von schnell wachsenden Pflanzen aus dem Boden zu entfernen.
    "Ich kann mir momentan nicht vorstellen, wie wir mittelfristig das PFC beseitigen könnten. Leider haben wir noch keine Pflanze gefunden, die es quasi aus dem Boden heraus zieht. Also die Phytosanierung wird auch so nicht funktionieren."
    Doch je länger die Schadstoffe im Boden verbleiben, umso weiter verteilen sie sich in der Umwelt.
    Ein paar Kilometer südlich von Rastatt: Ein alter Truppenübungsplatz, den die Natur zurück erobert hat. Herr Klatt ruft nach der Heidelerche. Aber der Vogel antwortet nicht. Gerade hat er noch oben in der Luft gestanden, über dem vertrockneten Silbergras und den hingeduckten Ginstersträuchern. Doch nun ist er verschwunden, im nahen Wäldchen wahrscheinlich. Herr Klatt ruft vergebens.
    "Wir stehen hier an einem Naturschutzgebiet, und zwar an einem sehr bemerkenswerten. Wir stehen hier an den Flugsandfeldern, die parallel zum Rhein verlaufen mit einer bemerkenswerten Vegetation: Sandrasenvegetation mit bemerkenswerten Vogelarten, wie zum Beispiel der Heidelerche, dem Schwarzkehlchen. Also ein Juwel, das sich hier noch erhalten hat inmitten einer ansonsten sehr dicht bebauten Rheinebene."
    In der Ferne erheben sich die Höhenzüge des nördlichen Schwarzwaldes. Ganz in der Nähe rauscht der Verkehr über die A5. Und jenseits einer Baumgruppe erstreckt sich eine glatte Wasserfläche – eine Kiesgrube, sagt Martin Klatt.
    "Wir haben eine der vielen Kiesgruben hier im mittelbadischen Raum. Es gibt Menschen, die sprechen von der "Mittelbadischen Seenplatte", die sich einfach dadurch entwickelt hat, dass die mächtigen Kiesvorkommen, die der Rhein hier aufgeschottert hat, sukzessive abgebaut werden, natürlich für die Bauindustrie, im Wesentlichen für die Bauindustrie."
    Martin Klatt zieht sich seine blaue Jacke hoch an den Hals. Ein kühler Wind weht an diesem Spätwintertag über das Wasser. Der Biologe arbeitet als Referent für Arten- und Biotopschutz beim NABU Baden-Württemberg.
    "Man hat hier in den Fischen eine Belastung mit PFC, mit polyfluorierten und perfluorierten Chemikalien, festgestellt, die mittlerweile so hoch ist, dass es Empfehlungen gibt, die Fische nicht mehr zu verzehren der menschlichen Gesundheit wegen aus Vorsorgegesichtspunkten, wobei die Raubfische wie Barsch und Zander da besonders belastet sind. Und da sollte man in der Tat die Finger davon lassen, sie eben nicht mehr verzehren."
    Längst sind auch unbelastete Flächen vergiftet
    Zwischen Autobahn und Kiesgrube liegen Äcker und Felder. Gewächshäuser aus Plastikfolie, lange Reihen von Spargelpflanzen, ebenfalls noch mit Folie überdeckt. Die Landwirte bereiten sich schon auf das nahe Frühjahr vor. Am Rand der Kiesgrube eine Fläche, die zurzeit nicht genutzt wird. Dort wurden hohe PFC-Werte festgestellt.
    "Der Boden ist einfach voll mit diesen PFC. Und das wäscht sich langsam durch das Regenwasser ins Grundwasser hinein. Und die Baggerseen hier sind ja alles freigelegte Grundwasserkörper sozusagen. Das heißt, der Grundwasserstrom bringt diese PFC in die Baggerseen und letztendlich auch in die Organismen, die da leben, ergo in die Fische."
    Über das Grundwasser haben die Chemikalien längst auch unbelastete Flächen vergiftet. Rund 60 Landwirte waren ursprünglich betroffen, inzwischen sind andere dazugekommen. Ein Biobauer etwa hat nichtsahnend aus dem eigenen Brunnen Gießwasser gezogen, seit drei Jahren liegt sein Gewächshaus nun brach. Er ist nicht der einzige, der Einbußen hinnehmen muss. Auf eine Entschädigung warten die Landwirte noch immer. Und das Problem bei der Bewässerung ihrer Felder wird sie über Jahre und womöglich Jahrzehnte begleiten.
    "Es ist so, dass die Landwirte bei Trockenheit natürlich, und das ist bei uns hier im Sommer die Regel, dass es trockene Sommer sind, mit Grundwasser beregnen. Das heißt, das PFC-haltige Wasser wird dann auf die Äcker ausgebracht mit allen Risiken, die damit zusammenhängen, dass man nämlich dann die Lebensmittel auch entsprechend belastet. Es gibt deswegen auch ein sehr strenges sogenanntes Vor-Ernte-Monitoring. Das heißt, auf den entsprechenden Äckern muss sehr genau geprüft werden, ob die Ernte, Früchte, nachher überhaupt noch verzehrbar sind."
    Eine Kuh steht auf einer Weide und grast in frühlingshafter Umgebung.
    Über das Grundwasser haben die Chemikalien längst auch unbelastete Flächen vergiftet. (dpa / picture alliance / Sebastian Gollnow)
    Erste Versuche zum Schicksal von PFC in der Umwelt – im Boden und in Nutzpflanzen – wurden schon vor knapp zehn Jahren durchgeführt – aber nicht in Mittelbaden, sondern in Nordhessen.
    Auch zehn Jahre später noch Rückstände nachweisbar
    Kassel. Das Gelände des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen ähnelt einer Gärtnerei. Herr Stahl spielt mit dem Laborhund. Sammy heißt der Hund, schwarz und weiß gescheckt. Sammy freut sich, wenn Herr Stahl vorbeischaut. Er springt an ihm hoch, rennt fort, duckt sich auf den Boden und kommt wieder zurück.
    "Wichtig, drauf zu achten beim Betreten der Anlage, dass wir schnell wieder zu machen. Denn auch hier ist ein Käfig drum rum, damit die Vögel nicht reinkommen. Das heißt, wenn ich den länger auflassen würde und vor allem Leckeres zu holen ist hier, dann sind die Vögel ganz schnell in der Nähe. Deshalb müssen wir den Käfig auch wieder abschließen. So, hier befinden wir uns jetzt in der Großlysimeteranlage. Und dort finden die Freilandversuche statt in Großlysimetern."
    Pflanzen wachsen in quadratischen Beeten, in langen Reihen hintereinander angeordnet. Gehwege trennen die Streifen voneinander ab. Es sieht so aus, als sei jedes Beet eingefasst von einem Rahmen aus Edelstahl. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, sagt Thorsten Stahl vom Hessischen Landeslabor.
    "Bei diesen Beeten handelt es sich um Großlysimeter. Und was wir hier sehen, ist nur der oberirdische Teil sozusagen, das Wenige, was wir sehen. Der größte Teil verbirgt sich unter der Erde."
    Große, nach oben offene Metallkästen, in den Boden eingelassen. Gefüllt werden sie mit gut anderthalb Kubikmeter Erdboden. Fällt Regen darauf, dann versickert ein Teil davon bis zum Grund des Kastens, wo es aufgefangen wird.
    "Das Gute an dieser Anlage ist, dass man sie begehen kann. Also man kann also unter die Anlage gehen. Und wir können jetzt durchaus sehen, wie das Wasser jetzt rausläuft, weil es in der letzten Zeit ziemlich viel Niederschlag gab."
    Eine Betontreppe führt wenige Stufen nach unten. Thorsten Stahl öffnet eine schwere Metalltür und betritt den schlauchförmigen Raum, der beim ersten Blick an einen Weinkeller erinnert. Links und rechts eine Reihe mit den metallenen Kästen. Darunter jeweils ein Messzylinder aus Glas.
    "Hier stehen wir in dem unterirdischen Teil der Anlage, der komplett begehbar ist. Wir sehen hier einmal die Behältnisse, die wir oben als Beete wahrgenommen haben. Die haben einen Abfluss. Wenn das Wasser also durchlaufen sollte durch den Bodenkörper, kann es in diesen großen – ja, ich nenne es mal – Bechergläsern, die sechzig Liter fassen, aufgefangen werden und kann analysiert werden auf verschiedenste Substanzen."
    Im Jahr 2007 haben die Wissenschaftler einige der Metallkästen mit einer Lösung von organischen Fluorverbindungen beschickt. Das Sickerwasser haben sie regelmäßig entnommen und auf PFC hin untersucht – um festzustellen, welche Schadstoffmenge vom Regenwasser ausgewaschen wurde und welche Menge im Boden in den Lysimetern verblieben war.
    "Und mittlerweile sind wir zehn Jahre später und können die Substanzen immer noch nachweisen. Und wir haben nach unseren Analysen und Messergebnissen festgestellt, dass also von einigen Komponenten also fast noch, ja, über neunundneunzig Prozent in dem Lysimeterkörper sich befinden. Das ist draußen genauso der Fall. Das heißt, wenn das auf landwirtschaftlich genutzte Flächen aufgebracht wird, wird es sehr, sehr lange im Boden verweilen."
    Anreicherung in Pflanzen
    Das gilt aber nicht für alle PFC gleichermaßen. Die kettenförmigen Moleküle unterscheiden sich durch ihre Länge. Man unterscheidet zwischen kurzkettigen und langkettigen organischen Fluorverbindungen.
    "Die Kurzkettigen, die hier als Verunreinigung mit dabei waren, die sind relativ schnell, das heißt schnell nach ein, zwei Jahren komplett ausgewaschen gewesen."
    Kurzkettige PFC sind in der Umwelt also sehr mobil. Sie wandern nicht nur in Richtung Grundwasser. Sie können auch von der Vegetation aufgenommen werden. Daher haben die Experten vom Hessischen Landeslabor verschiedene Ackerpflanzen in kontaminierter Erde wachsen lassen: Mais, Gerste, Weizen, Weidelgras. Je nach Schadstoffgehalt im Boden ließen sich schon rein äußerlich Beeinträchtigungen des Wuchses feststellen.
    "Bei einigen Pflanzenarten, dem Weidelgras beispielsweise und dem Weizen, war es so, dass wir bei hohen Konzentrationen bereits Nekrosen gefunden haben, also eine Braunfärbung, die man auch in jedem Garten sehen kann, wenn der Pflanze es nicht gut geht, salopp gesagt. Aber das haben wir festgestellt und auch nach dem Wiegen, dass Pflanzen, die hohen Konzentrationen ausgesetzt waren, dass die auch durchaus einen niedrigen Ertrag gebracht haben."
    Reifende Ähren in einem Weizenfeld 
    Die Erträge von etwa Getreide sind wegen der Belastung niedriger. (imago / Harald Lange)
    Thorsten Stahl und seine Mitarbeiter konnten zeigen: Die kurzkettigen Verbindungen reichern sich in bestimmten Teilen der Pflanzen an, vor allem in den grünen Teilen wie den Blättern. In den Getreidekörnern hingegen werden geringere Konzentrationen gemessen. Es scheint dafür einen simplen Grund zu geben.
    "Momentan sieht es so aus, als ob die kürzerkettigen tatsächlich mit dem Wasserhaushalt der Pflanze korrelieren: Je höher der Wasserhaushalt oder der Umsatz, desto höher die Konzentration in den grünen Teilen der Pflanze."
    Vor der Ernte wird der Boden untersucht
    In der Region Rastatt und Baden-Baden wurden sowohl lang- als auch kurzkettige Fluorverbindungen gefunden. Besonders die kurzen stellen wegen ihrer hohen Mobilität ein Problem für die Landwirtschaft und somit für die Bauern dar. Mittlerweile habe man das Problem aber im Griff, argumentiert Ulrich Roßwag.
    "Ursprünglich hat es so ausgesehen, als ob es einen ganz eklatanten Einkommensverlust bedeuten würde, weil eben das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität der Lebensmittel sinken hätte können. Das konnten wir zum Glück über das Instrument des Vorerntemonitorings abmildern, so dass eben die Verbraucher eben weiterhin sicher waren, dass sie weitgehend unbelastete PFC-freie Lebensmittel einkaufen können."
    Der Agrarwissenschaftler vom Regierungspräsidium Karlsruhe erklärt, wie das Vorerntemonitoring funktioniert.
    "Im Grunde genommen relativ einfach. Wir wissen aufgrund der Bodenuntersuchungen, wo problematische Flächen sind. Der Landwirt, der daran teilnimmt, und das sind momentan alle, meldet rechtzeitig vor Beginn der Ernte, also zwei bis drei Wochen vor der Ernte, wann er ernten will. Dann werden Proben gezogen des Ernteproduktes und untersucht. Die Untersuchung ist auch relativ aufwändig und dauert auch einige Zeit. Aber das ist so gesteuert, dass er zum Erntezeitpunkt, also kurz vorm Erntezeitpunkt erfährt, welche Werte er denn zu erwarten hat. Und dann kann er entscheiden: Ernte ich überhaupt? Oder wenn er erntet: Kann ich’s überhaupt vermarkten? Und in dem Moment, wo schon diese Beurteilungswerte, die vorgegeben sind, schon im Vorerntemonitoring wäre es ja Unsinn, quasi noch mehr Kosten zu verursachen und das Produkt zu ernten. Also würde es dann untergepflügt werden."
    Untersuchungen sollen für Anbauempfehlungen helfen
    Ähnlich wie das Hessische Landeslabor haben auch Experten in Mittelbaden untersucht, welche Pflanzen besonders hohe Mengen organischer Fluorverbindungen aufnehmen und speichern – um eine Anbauempfehlung zu geben.
    "Und jetzt im dritten Jahr dieses Versuches wissen wir schon ein bisschen mehr, so dass wir abschätzen können: Auf einem Acker mit einer gegebenen PFC-Belastung ist die eine oder andere Kultur eben zu problematisch, die anzubauen. Und dann lässt es der Landwirt eben bleiben."
    Durchgeführt werden die Versuche am Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg am Stadtrand von Karlsruhe.
    Herr Breuer beobachtet den Laborroboter. Ein kleiner Arm fährt über die Probenfläschchen hinweg, bleibt dann stehen und entnimmt ein wenig Flüssigkeit.
    "Die chemische Analytik ist erforderlich, um die PFC-Substanzen in pflanzlichen Aufwüchsen und auch in Bodenproben zu bestimmen. Dazu werden diese Stoffe mit unterschiedlichen Verfahren aus den Proben gelöst. Die Lösung wird dann in ein chromatographisches System eingebracht. Und dort werden die Substanzen aufgetrennt und dann einzeln in einem Massenspektrometer detektiert und auch quantifiziert."
    In einer Vegetationshalle wuchsen dafür verschiedene Pflanzenarten in kontaminierter Erde. Hinterher wurde ihr PFC-Gehalt bestimmt. Auch Versuche im Freiland führte Jörn Breuers Arbeitsgruppe hier durch.
    "Also wir haben auf einem Feld, das mit PFC belastet ist, Parzellen angelegt mit sechs verschiedenen Kulturen, die in der Region angebaut werden, und auch mit Kulturen, die nicht angebaut werden, wo wir aber dachten, das könnte eine Alternative sein. Dort werden die Kulturen dann ganz normal ausgesät, werden dann geerntet. Und dann schauen wir: Wie sind die PFC-Gehalte im Erntegut? Und wir schauen uns auch schon während des Wachstums der Pflanzen an: Wie verläuft die Aufnahme dieser Stoffe, wenn die Pflanze wächst und dann reift?"
    Landwirtschaft im Dilemma
    Jörn Breuer konnte die Ergebnisse seiner Kollegen aus Kassel bestätigen: Nur die kurzkettigen Moleküle werden aufgenommen. Besonders ungeeignet zum Anbau sind Spargel und Erdbeeren – also zwei Kulturen, die in Mittelbaden eigentlich besonders gern geerntet werden. Beim Getreide gab es deutliche Unterschiede je nach Art.
    "Da haben wir beobachtet, dass es Getreidearten gibt, die PFC sehr deutlich einlagern. Da gehört der Weizen dazu, während es andere Arten gibt, das ist zum Beispiel der Mais, wo der Übergang in das Korn anscheinend stark gehemmt ist. Das heißt, für uns bedeutet das, wir können für bestimmte Flächen, wo die Belastung nicht so besonders hoch ist, die Empfehlung aussprechen, eben Mais anzubauen statt Weizen, weil dann das Risiko, dass belastetes Material in die Nahrungskette kommt, einfach geringer ist."
    In der Gegend wird vor allem Körnermais angebaut. Der Rest der Maispflanze dürfte dann nicht verfüttert werden. Er müsste auf dem Acker bleiben – zusammen mit den schwer abbaubaren Schadstoffen. Und darin zeigt sich das Dilemma der Situation:
    "Es ist richtig natürlich, dass die PFC, die im Maisstroh enthalten sind, dann auf dem Feld verbleiben und dann auch von dort wieder in den Boden gelangen. Es ist aber im Moment wirtschaftlich nicht darstellbar, diese Aufwüchse außerhalb der landwirtschaftlichen Flächen zu entsorgen."
    Anpassung an das Unabänderliche
    Hinzu kommt, dass möglicherweise noch nicht einmal die gesamte Belastung des Bodens bekannt ist. Die Experten vermuten, dass aus einem bisher unbekannten Reservoir neue PFC nachgebildet werden.
    "Es gibt inzwischen aber auch die Erkenntnis, dass die Stoffe, die PFC-Substanzen, die wir mit dieser Analytik heute analysieren können, nicht die gesamte Belastung widerspiegeln. Also wir sehen sozusagen mit unseren Analysegeräten nur einen Teil dessen, was tatsächlich im Boden vorhanden ist. Es gibt sogenannte Vorläufersubstanzen, die vermutlich in den Böden vorliegen und dort allmählich durch mikrobiellen Abbau zu den Substanzen umgesetzt werden, die wir jetzt analysieren."
    Anpassung an das Unabänderliche. So könnte man die Situation zusammenfassen. Das Vor-Ernte-Monitoring verhindert, dass die schädlichen Stoffe im Obst und Gemüse auf dem Markt landen. Und die Wasserwerke haben entweder stark belastete Brunnen geschlossen, unbelastetes Wasser beigemischt oder Aufbereitungsanlagen eingebaut. Die Maßnahmen schützen die Menschen in der Region. Aber die giftige Fracht wird dabei nur verlagert. Belastetes Maisstroh bleibt auf dem Acker. Und wenn das Brunnenwasser mit Hilfe von Membranen gereinigt wird, staut sich vor der Anlage eine konzentrierte PFC-Brühe. Baden-Baden plant zurzeit, dieses Restwasser grob mit Aktivkohle zu behandeln und wieder in ein Oberflächengewässer einzuleiten. Und das, obwohl Verfahren existieren, die PFC fast vollständig aus dem Wasser zu entfernen.
    Herr Cornelsen öffnet die Tür zum Technikum. An der Wand stapeln sich neun blaue Kanister, jeder gefüllt mit Wasser, gut dreißig Liter.
    "Das sind Kanister, in denen Kunden uns ihrer Wässer schicken, die mit PFC belastet sind, also verschiedene Wässer, die wir hier ansprechen sollen, die wir dann mit unserem Verfahren aufbereiten oder erste Tests durchführen. Manche Kunden fragen uns, wie viel Wasser wir brauchen für Testreihen. Ich sag dann immer gerne: Ja, wenn Sie uns hundert Liter schicken, dann sind wir sehr gut ausgerüstet und können da umfangreiche Tests mit machen."
    An der Situation wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern
    Martin Cornelsen ist der Geschäftsführer von Cornelsen Umwelttechnik in Essen. Seit über zehn Jahren beschäftigt sich die Firma damit, PFC-belastete Flächen zu sanieren. Bislang waren es nur kleine Flächen, zum Beispiel bei einem Fall im Sauerland, wo die Schadstoffe durch Dünger auf Ackerflächen gelangt waren. Dabei ging es auch darum, das Wasser von seiner giftigen Fracht zu befreien. Damals nutzte er dazu noch Materialien, wie sie auch in jedem Wasserfilter in der Küche vorkommen. Von ihnen braucht man aber große Mengen. Außerdem filtern sie kaum die kurzkettigen PFC heraus. Mittlerweile hat der Ingenieur aber ein effizienteres Verfahren entwickelt. Er gibt eine Flüssigkeit in das PFC-haltige Wasser, die an die Schadstoffe bindet und schließlich ausflockt. Komplett entfernen lassen sich die PFC damit nicht, aber zu einem sehr großen Teil.
    "Das hängt natürlich von dem jeweiligen Projekt ab, von der Wasserzusammensetzung, von der Schadstoffkonzentration. Aber es sind Wirkungsgrade von durchaus mehr als 95 Prozent erreichbar."
    Die übrigen fünf Prozent ließen sich dann konventionell mit Aktivkohle entfernen, sagt der Umwelttechnik-Experte.
    "Ein weiterer Vorteil ist, dass im Rahmen dieses Verfahrens nur sehr wenig Wirkstoff eingesetzt werden muss. Und daraus folgt, dass die zu entsorgenden Reststoffe auch entsprechend gering sind. Im Unterschied zu klassischen Adsorbens-Einsätzen, also Aktivkohlen oder Ionentauschern."
    Martin Cornelsen versteht sich als Technologieentwickler. Prinzipiell dürfte sich sein Verfahren für die Reinigung von Wasser aus Mittelbaden eignen. Doch dort wäre es eine Herkulesaufgabe: Die Mengen sind einfach zu groß, umfassende Sanierungspläne nicht absehbar und erst recht nicht finanzierbar.
    An der Anwesenheit der Fluorverbindungen in Boden und Wasser wird sich wohl auf absehbare Zeit nicht viel ändern, so schätzt auch Ulrich Roßwag vom Regierungspräsidium in Karlsruhe die Lage ein.
    "Deshalb wird wohl zumindest in der ersten Strategie es so sein, dass man die Folgen mildert. Einmal die Folgen hier bei der Landwirtschaft für die Lebensmittel beziehungsweise bei den Trinkwassergewinnern über die Brunnenreinigung. Ansonsten muss man – vermutlich aussitzen. So ist das, ja."
    In seiner Küche in Kuppenheim sitzt also Ulrich Schumann. Wenn er Tee zubereitet, hat er weiterhin ein ungutes Gefühl.
    "Was das Ausmaß dieses PFC-Skandals anbetrifft: Ich glaube, das wird man erst in fünf oder zehn Jahren wirklich beurteilen können. Denn es ist längst nicht ausgestanden. Das Grundwasser wandert, die PFC-Verbindungen breiten sich aus. Es wird auch andere Regionen betreffen. Und eben was es mit den Menschen wirklich anstellt, wissen wir immer noch nicht so genau, also das wirkliche Ausmaß dieses Skandals wird man vermutlich erst in der Zukunft richtig einschätzen können."