Archiv


Mittelschulen mit kleinen Jahrgängen bangen

Eigentlich müssen Mittelschulen in Sachsen mindestens 40 Anmeldungen vorweisen, wenn ein Jahrgang zustande kommen soll. Eine Zahl, die im ländlichen Raum nicht immer erreicht wird. Ein Moratorium verhindert aber die Schließung.

Von Claudia Altmann |
    Der Linienbus 144 fährt von Böhlen südlich von Leipzig auf der B95 vorbei an Gewerbeparks und brachliegenden Industrieflächen. Vom einstigen Kraftwerk Thierbach gibt es nur noch die Maschinenhalle. Wenn der Blick den Hochspannungsleitungen folgt, bleibt er zuweilen an kleinen Ortschaften hängen. Der Bus fährt nach Kitzscher, 32 Kilometer südlich von Leipzig.

    Hier lernen 192 Mädchen und Jungen. Sie kommen aus 20 Orten im Umkreis von 15 Kilometern. Eine sechste Klasse gibt es im Moment nicht, nachdem vor zwei Jahren die für zwei fünfte Klassen erforderliche Zahl von 40 Anmeldungen nicht zusammengekommen war. Trotz der Proteste waren die Schüler, die angemeldet waren, auf die umliegenden Schulen verteilt worden. Damals war die Enttäuschung riesengroß, erinnert sich Direktor Rainer Reichenbach:

    "Insgesamt ist unsere Situation so, dass wir jedes Jahr bangen, werden es die 40 Kinder bei uns an der Schule. Vergangenes Jahr hatten wir 48 Anmeldungen und in diesem Jahr sind es bloß 34."

    Dennoch, eine Enttäuschung wie vor zwei Jahren wird es nicht wieder geben, denn die Schule ist durch das sächsische Schulschließungsmoratorium geschützt. Das sieht vor, dass bis zum Schuljahr 2014/2015 im ländlichen Raum keine Mittelschulen mehr geschlossen werden. Darunter fallen Schulen, die Schülerzahlen zwischen 20 und 39 Schüler aufweisen und für die es keine gesetzlichen Ausnahmeregelungen gibt. Die Initiative dazu war von der FDP ausgegangen, erklärt deren bildungspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion Norbert Bläsner:

    "Die Voraussetzung, eine 5. Klasse zu bilden in Sachsen in den Mittelschulen, sind 40 Schüler. Und viele Schulen sind mal darunter, mal darüber, teilweise auch länger mal darunter mit 30 Schülern, 35 Schülern. Und die mussten jedes Jahr zittern, ob sie eine Ausnahmegenehmigung bekommen oder ob sie die 5. Klasse bilden durften oder nicht bilden durften. 2010 waren es 10, 15 Mittelschulen, die konkret keine 5. Klasse bekommen haben. Viel mehr mussten zittern. Und deswegen haben wir gesagt, wir brauchen Ruhe in den Schulen. Wir wollen den Eltern sagen: Es ist jetzt Schluss. Die Wege sind lang genug. Gerade in den Mittelschulen brauchen wir Sicherheit in den nächsten Jahren. Deswegen haben wir das Schulschließungsmoratorium durchgesetzt."


    Nach den derzeitigen Anmeldezahlen werden voraussichtlich im kommenden Schuljahr 14 Schulen dank dem Moratorium bestehen bleiben, sagt Thomas Rechentin vom Kultusministerium in Dresden. Aber er sieht auch Probleme:

    "Für die Schulträger hat es sicherlich erstmal den Vorteil, dass in der Tat weiterhin Schülerinnen und Schüler an diesem Schulstandort zur Schule gehen können. Ein Nachteil ist möglicherweise darin zu sehen, dass natürlich kleinere Klassen den gleichen Umfang auch an Beschulung und Lehrerinnen und Lehrern erfordern. Und vor allen Dingen ist es natürlich so, dass bei einzügigen Mittelschulen das Bildungsangebot, auch das Profilangebot wesentlich geringer ist."

    Das räumt auch Rainer Reichenbach für seine Schule in Klitzscher ein:
    "Sie können sich vorstellen, wenn man das Fach Bio und Chemie bloß einzügig unterrichtet, wie viel Lehrerstunden da anfallen. Chemie wird ab Klasse 8 erst unterrichtet mit zwei Stunden. Dann wären das sechs Chemiestunden und dazu Bio ab Klasse 5. Das wäre jetzt für einen Lehrer nicht mal das komplette Deputat. Also müsste der Lehrer gezwungen sein, mit in anderen Fächern zu unterrichten."

    Aber für ihn steht ebenso fest:

    "Für den ländlichen Raum muss man ganz klar abwägen, eine Schule unter solchen Bedingungen zu erhalten, was für die Region, für den Ort von größter Wichtigkeit wäre. Und dort Abstriche machen vielleicht in bestimmten – ich will nicht sagen Qualität des Unterrichts - aber Abstriche machen, dass man immer fachgerecht Lehrer und Kollegen einsetzen kann. Aber ich denke, für Kinder ist es wichtig, die Bindung zur Region, zum Ort zu erhalten. Und deswegen ist die Schule von Wichtigkeit. Und das muss man insgesamt abwägen. In der Großstadt ist die Situation vollkommen anders, als bei uns in einer Kleinstadt hier im ländlichen Raum."

    Rainer Reichenbach hofft darauf, Sicherheit auch nach Auslaufen des Moratoriums 2015 zu haben. Deshalb hält er es für wichtig,

    "dass man sich mal endgültig dazu positioniert, auch vom Gesetzgeber, also vom Parlament her, dass man sich mal überlegt, Mittelschule funktioniert am besten zwei- und dreizügig. Das, denke ich, ist auch zu unterstützen. Aber man muss dem entgegensetzen, was bedeutet das für einen Ort, für eine Stadt, wenn es die Schule nicht mehr gibt."