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Mitwachsende Herzklappe

Kinder mit einem angeborenen, schweren Herzklappenfehlern mussten bislang regelmäßig operiert werden. Die künstlichen Herzklappen oder auch Herzklappen von Organspendern wachsen nicht mit, ein Herz wächst aber mit den Jahren. Herz-Chirurgen an der Medizinischen Hochschule Hannover haben Herzklappen entwickelt, die sich dem wachsenden Herzen anpassen und deshalb nicht ausgetauscht werden müssen.

Von Michael Engel |
    Angefangen hatte alles mit dem 11-Jährigen Alexandru Manea und der 13-Jährigen Nina Col. Beide stammen aus Moldawien, und beide litten an einer gefährlichen Herzklappenentzündung, die sie wahrscheinlich nicht überlebt hätten. Der Eingriff erfolgte im Mai 2002 im Universitätsklinikum der moldawischen Hauptstadt. Dr. Serghei Cebotari gehörten zum OP-Team:

    "Bei einem Kind war die Pulmonalklappe verengt. Bei dem anderen, er war voroperiert, dann haben wir versucht, diese Klappe zu reparieren, das ging doch nicht, deswegen haben wir bei beiden Kindern diese Pulmonalklappe ersetzt."

    Zuvor hatte die Ethikkommission des Universitätsklinikums, in der auch das moldawische Gesundheitsministerium einen Sitz hat, die Zustimmung zu dem weltweit ersten Eingriff dieser Art gegeben. Heute sind es bereits sieben Kinder, die mit Bioherzklappen leben:

    "Nach den guten Langzeitergebnissen mit unseren ersten Kindern waren wir so froh, dass wir unsere Projekte weiter gemacht haben. Deswegen haben wir bei fünf weiteren Kindern diese Klappen implantiert. Und wir sind soweit sehr zufrieden mit unseren Ergebnissen. "

    Phänomenales Ergebnis: Alle Klappen konnten mit dem Herzen mithalten, indem sie altersgerecht gewachsen sind, im Falle des 11-Jährigen sogar um 25 Prozent. Das ist nach Ansicht von Prof. Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover, wo die Herzklappen entwickelt wurden, eine kardiologische Sensation. Denn das hat es mit herkömmlichen Implantaten noch nicht gegeben. Bei klassischen Klappen dominieren bis heute eigentlich nur die Nachteile.

    " Diese klassischen Herzklappen wachsen eben nicht mit, so dass diese Kinder aus den Herzklappen herauswachsen wie die anderen aus den Schuhen und immer wieder ausgetauscht werden müssen. Nun kann man sich sehr gut vorstellen, auch als Laie, dass eine fünfte Operation am Herzen wirklich kein Vergnügen ist, weder für den Operateur noch für den Patienten, und wir werden in erster Runde wahrscheinlich solche kleinen Kinder aussuchen, die schon zwei oder drei solcher Operationen hinter sich haben, weil die Daten, die wir jetzt aus Moldawien haben, eigentlich eindeutig belegen, dass das das beste Implantat ist, was wir in solch einer Situation anbieten können. "

    Herkömmliche Herzklappen aus Kunststoff zum Beispiel können Blutgerinnsel auslösen, weshalb die Patienten ein Leben lang Medikamente einnehmen müssen, um die ständige Bedrohung abzuwehren. Für Kinder, die sich gerne bewegen, sind die damit verbundenen Auflagen besonders fatal: Sportliche Anstrengungen wie "Fußball spielen" oder "Springseil hüpfen" sind den kleinen Patienten streng untersagt – zu groß wäre das Blutungsrisiko.

    "Die Alternativen sind unbehandelte "Homografts", also Klappen von Verstorbenen oder vom Schwein, und hier ist neben dem fehlenden Wachstum das Problem, dass nach zwei, drei, vier Jahren bei Kindern degenerieren, das heißt, die nutzen ab oder werden abgestoßen, und man muß aus dem Grunde wieder austauschen. Das heißt, für diese Frage des Pulmunalklappenersatzes auf der rechten Seite des Herzens gibt es eigentlich keine gute Alternativen und wir hoffen, dass wir mit unseren neuen Klappen tatsächlich eine neue Alternative eröffnen können. "

    Die neuartigen Bio-Herzklappen stammen von verstorbenen Organspendern. Nach der Entnahme werden sie zunächst mit Hilfe einer ätzenden Flüssigkeit von den Gewebezellen des Spenders befreit. Übrig bleibt nur ein Gerüst, die sogenannte "Klappenmatrix", die nun mit den Zellen des Empfängers neu besiedelt wird. Die Dauer der ungewöhnlichen Klappenzucht im Bioreaktor beträgt drei Wochen.

    " Nach allem, was wir jetzt wissen, wie die letzten Untersuchungsbefunde sind, gehe ich davon aus, dass diese Klappen bei diesen Kindern nie wieder angefasst werden müssen. "

    Jetzt plant der Herzchirurg eine Studie mit deutschen Kindern. Nächstes Frühjahr sollen Eingriffe unter Beteiligung der Herzzentren in Stuttgart, Tübingen, Bad Oeynhausen und Kiel erfolgen.

    "Es ist ja vor allen Dingen so, dass es gar kein Regelwerk gibt für solche Implantate. Es sind weder Arzneimittel im eigentlichen Sinne, es unterscheidet sich schon deutlich von einer Tablette oder einer Spritze, und wir werden das mit der Ethikkommission besprechen wie wir das aufbauen im Sinne ei-ner Studie. "

    In Deutschland leiden zwei von 1000 Babys an einem angeborenen Herzklappenfehler. 150 davon könnten nach Einschätzung der Experten von der neuen Methode profitieren.