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Mobilität und die Realität des Stillstands

Nach dem Ende der Teilung Europas herrscht im Warenverkehr grenzenlose Freiheit. Keine Zölle, keine Schlagbäume stellen sich dem Handel in den Weg. Freie Fahrt für freie Waren. Doch an den wenigen Grenzübergängen der Autobahnen ist es enger als je zuvor. Das Versprechen auf grenzenlose Mobilität endet oft genug im völligen Stillstand. In Swiecko zum Beispiel, unweit von Frankfurt an der Oder.

Ernst-Ludwig von Aster und Wojtek Mroz |
    Links rollt ein Lkw vorbei, rechts rollt ein Lkw vorbei. In der Mitte bebt der blaue Container auf dünnen weißen Metallbeinen.

    "Wenn es gute Wetter, dann bin ich draußen, wie heute zum Beispiel..."
    Grüner Overall, darüber die orangefarbene Warnweste, an den Füssen Sicherheitsschuhe. So steht der Mittdreißiger vor dem Container. Zwischen den Lkw, die im Schritttempo links und rechts vorbeirollen.

    "Eigentlich darf ich ihnen gar nichts erzählen, "

    sagt er.

    "Mein Chef schmeißt mich sonst raus."

    Reden aber will er doch. Nennen wir ihn Andjez:

    "Meine Aufgabe ist einfach: Wenn die Lkw-Fahrer ein Problem haben, sage ich ihnen, was sie zu tun haben. Das ist alles."

    Und das ist eine ganze Menge, hier in Swiecko, dem größten Lkw-Terminal an der deutsch-polnischen Grenze. Der Schnittstelle im Ost-West-Transit.

    "Gucken sie, das ist einer aus Ägypten, dem sagen wir, wo er hinfahren soll."

    Andjez gibt dem Truckfahrer ein Zeichen. Er soll anhalten. Der Fahrer am Steuer winkt zurück. Und fährt weiter. Andjez schüttelt den Kopf. Schlägt sich die flache Hand vor die Stirn:

    "Wir sagen "Maut kaufen" geradeaus. Aber der Fahrer biegt nach links ab, er fährt nicht dahin, wo er hin soll. Der ganze Parkplatz hier ist chaotisch, das ganze Terminal, überall ist Verstopfung"

    Wieder rollt ein Lkw vorbei ohne anzuhalten. Diesmal aus der Ukraine. Der Fahrer biegt links ab, Andjez grinst. Dort wird er garantiert keinen Parkplatz mehr finden. Alles voll. Hunderte von Lkw stehen dicht an dicht unter den Peitschenmasten.

    "Heute war der Grenzschutz da, die suchten einen Laster, der Zigaretten schmuggelte. Und die fragten mich, wo ist der Truck? Und ich sage, woher soll ich das denn wissen..."

    Anjedz zuckt mit den Schultern. Woher soll er wissen, wer hier was schmuggelt. In Swiecko. Wo es jedes Wochenende drunter und drüber geht.

    "Der Parkplatz ist überfüllt, überall stehen Lkw. Bei uns, auf den Zufahrtsstrassen, auf der Autobahn. Die Polizei lässt sich nicht sehen, der Grenzschutz auch nicht. Egal ob auf unserer oder eurer Seite."

    Grenzöffnung hin oder her, jedes Wochenende erlebt Andjez den Verkehrsinfarkt. Rund um seinen Container. Und seit Deutschland die Maut-Gebühren für die Autobahn eingeführt hat, die Tickets hier am Terminal verkauft werden, wird es auch wochentags eng.

    "Jetzt am Wochenende ist es eine Katastrophe. Früher, egal ob am Wochenende oder wochentags, hatten wir immer noch 100 freie Parkplätze, das ist vorbei."

    Nur dass es niemand so richtig wahrhaben will. Wie eng es geworden ist. Im Warteraum an der Grenze. Obwohl es keine Schlagbäume mehr gibt.

    "Wenn ein Woiwode oder ein Oberst kommt, dann müssen wir hier strammstehen. Aber die denken gar nicht darüber nach, was passieren könnte."

    Bis zu tausend Lkw rollen pro Schicht an Andjez blauem Container vorbei. Und kaum einer hält an, um zu fragen, wo es langgeht.

    "Wenn am Wochenende jemand besoffen ist. Und das Auto brennt. Was wird passieren ? Alles ist dicht. "