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Mobilitätsberater
Praktikum im Ausland droht das Aus

Das Programm "Berufsbildung ohne Grenzen" soll deutschen Azubis Praktika im Ausland ermöglichen. Seit 2009 gibt es bei den Handwerkskammern sogenannte Mobilitätsberater, die den Praktikanten zur Seite stehen. Zum Jahresende soll nun die Förderung des Programms auslaufen. Ein völlig falsches Signal.

Von Christiane Habermalz | 09.07.2014
    Drei junge Spanier sitzen in einem Konferenzraum an einem Tisch
    Das Programm "Berufsbildung ohne Grenzen" ermöglicht auch ausländischen Azubis ein Praktikum in Deutschland. (picture alliance / dpa / Marc Tirl)
    Wer aufs Gymnasium geht und studiert, für den sind Auslandsaufenthalte oder Auslandssemester oft eine Selbstverständlichkeit - doch in der Berufsbildung ist das noch eher die Ausnahme. Dabei ist es seit 2005 laut Berufsbildungsgesetz möglich, Auslandspraktika auf die Ausbildungszeit anrechnen zu lassen. Mit Erasmus Plus steht auch ein EU-Förderprogramm für die finanzielle Unterstützung von reisefreudigen Lehrlingen bereit. Nur, die wenigsten Betriebe und Azubis wissen davon. Seit 2009 gibt es in den Handwerkskammern sogenannte "Mobilitätsberater", die bei den Anträgen helfen und informieren, seitdem hat sich die Zahl der Auslandspraktika fast verdoppelt. Doch dem droht jetzt schon wieder das Aus. Das Programm "Berufsbildung ohne Grenzen" soll zum Jahresende auslaufen.
    Auslandspraktikum in Südfrankreich
    Erkenntnis Nummer Eins: In Südfrankreich wird häufiger gescherzt als im heimischen Fleischereifachbetrieb, und insgesamt lässt man es gern ruhiger angehen. Punkt 12 Uhr ist Siesta, bis 15 Uhr. Da gehen alle erst mal in Ruhe zum Mittagessen nach Hause. Dafür geht's abends bis halb acht. Erkenntnis Nummer Zwei: Von Currywurst haben sie keine Ahnung, und ihre Wurst färben sie mit lila Pulver.
    "Das war Holunderpulver oder so. Das war aber auch alles, was da rein kam. Nur dieses Holunderpulver. Hat auch so geschmeckt die Wurst, Schweinefleisch mit Holundergeschmack sozusagen." Willi Oppen ist 17, Fleischerlehrling im ersten Lehrjahr. Vor kurzem ist er von einem Auslandspraktikum in der südfranzösischen Kleinstadt Livron-sur-Drôme nach Berlin zurückgekehrt . Zwei Wochen hat er bei einem kleinen Handwerksbetrieb gearbeitet, fast wie zuhause, nur vom Meister geführt, mit einem Koch und zwei Fleischerlehrlingen. Mit dem Sprechen war es nicht so einfach, irgendwie gings dann doch, zur Not mit Händen und Füßen, erzählt er. Und ein paar neue Rezepte hat er mitgebracht, die werden sie jetzt in der Fachschule ausprobieren: "Es gab ein paar neue Sachen, die man halt lernen konnte. Bindetechniken gab es da neue, und Ausschneiden auch. Die haben ein paar andere Techniken, als wir es machen. Mit dem Garn kann man halt Fleischstücke so mit Speck umwickeln. Mit weißen Strippen kann man halt gerade binden, längs und so, kannte ich halt vorher noch nicht. War nicht schlecht."
    Unterstützung des Mobilitätsberaters
    Bei seiner Vorbereitung auf Südfrankreich hat Willi Oppen die Unterstützung eines sogenannten Mobilitätsberaters der Handwerkskammer Berlin gehabt. 40 dieser Berater arbeiten im Rahmen des Netzwerks "Berufsbildung ohne Grenzen" bei den Kammern, sie gehen aktiv in die Unternehmen, beraten und informieren, vermitteln Partnerbetriebe in den Nachbarländern und helfen den Papierberg zu bezwingen, wenn es gilt, Förderanträge zu stellen. Sie organisieren auch Vorbereitungen und kleine Sprachkurse - und vermitteln ausländische Praktikanten in deutsche Betriebe. Seit ihrem Einsatz hat sich die Zahl der Teilnehmer nahezu verdoppelt - von zwei auf vier Prozent eines Jahrgangs. Doch damit könnte bald Schluss sein - denn das Programm, das zum großen Teil aus dem Europäische Sozialfonds und vom Bundesarbeitsministerium finanziert wird, soll zum Jahresende auslaufen.

    Henning Paulmann, Bildungsreferent bei der Handwerkskammer Berlin, sieht das Arbeitsministerium in der Pflicht: "Ich habe darauf hingewiesen, dass im Koalitionsvertrag der Großen Koalition die Steigerung der Auslandsmobilität ja vereinbart wurde, und gleichzeitig sich der Bund mehr oder weniger aus der Finanzierung herausziehen will, Stand heute. Und das ist ein Widerspruch in sich."
    Lediglich Anschubfinanzierung
    "Wir sind völlig baff, dass die Förderung Ende 2014 eingestellt werden soll", kritisiert auch Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Ohne die 40 Mobilitätsberaterinnen und -berater werde sich "nicht mehr viel bewegen". Das Bundesarbeitsministerium gab gegenüber Campus und Karriere nur eine schriftliche Erklärung ab: Ziel des Programmes sei "der Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur in den Kammern, um Betriebe in Bezug auf die grenzüberschreitende Mobilität ihrer Auszubildenden und junge Fachkräfte zu beraten", heißt es darin. Es handele sich nur um eine "Anschubfinanzierung", dieser Ansatz sei auch entsprechend kommuniziert worden.

    Sprich, den Kammern sei stets klar gewesen, dass sie die Mobilitätsberater ab 2015 aus eigenen Mitteln bezahlen müssten. Schwannecke weist dies zurück. Natürlich sei das Netzwerk zeitlich begrenzt gewesen. Doch angesichts des hohen Stellenwerts, der in der Rhetorik der Bundesregierung das Thema Mobilität in der Berufsbildung einnehme, sei es nicht nachzuvollziehen, warum ein Programm, das derart erfolgreich laufe und mit 1,3 Millionen Euro im Jahr wenig koste, nicht fortgeführt werde. Henning Paulmann zieht jedenfalls eine nüchterne Bilanz: "Wo es keine Personen gibt, keine Ressourcen gibt, da wird auch keine Beratung stattfinden. Wir sind sicher, dass in zahreichen Fällen die Beratungsdienstleistung so wie sie bisher angeboten worden ist, nicht angeboten werden kann, wenn dieses Programm ausläuft."
    Erfolgreiche Beratung
    Dass die Beratung "sehr erfolgreich" laufe, damit schmückt sich auch die Bundesregierung. Bis 2013 seien 81.000 Betriebe, Auszubildende und junge Fachkräfte beraten worden, 7.000 junge Deutsche seien ins Ausland entsandt worden, und rund 3.000 EU-Ausländer für ein Betriebspraktikum nach Deutschland gekommen, schreibt das BMAS.

    Doch auch diese Zahlen sind noch weit entfernt von denen der Studierenden, von denen knapp ein Fünftel ins Auslandssemester geht. Wohlgemerkt in Zeiten, in denn die Gleichwertigkeit von dualer Ausbildung und Studium allerorten betont wird. Auch Fleischerlehrling Willi Oppen hatte die Unterstützung von einem Mobilitätsberater der Handwerkskammer Berlin. Nach Ende seiner Lehrzeit will er noch einmal für länger ins Ausland gehen, Erfahrungen sammeln und arbeiten, vielleicht nach Skandinavien. Was das Reisen angeht, ist er auf den Geschmack gekommen - wenn auch nicht unbedingt bei Holunderwurst.