Archiv


Modell Kalifornien

Detlev Ganten, der Chef der Berliner Charite, hat eine Vision:

Von Jens P. Rosbach |
    Mein Vorschlag für Berlin ist das System der University of California. Da gibt es in dem großen Staat California, der ja fast so groß ist wie die Bundesrepublik, viele hervorragende Universitäten: San Francisco, Los Angeles, Berkeley, Davis und die sind auch unter einem Dach zusammen gefasst. Die großen strategischen Entscheidungen werden von einem Präsidenten und einem Board und Beratungsgremium getroffen und dann haben die einzelnen Forschungseinrichtungen komplette Freiheit, sich selber - sogar im Wettbewerb zu bewegen.

    Zu deutsch: Freie Universität und Humboldt-Universität schließen sich zusammen zur "Freien Humboldt-Universität". Doch die beiden Hochschulen wollen gar nicht in einen Topf geworfen werden.

    Dieter Lenzen, der Präsident der Freien Uni:

    Herr Ganten hat diese Äußerung getan, ich missbillige das sehr deutlich. Herr Ganten ist Professor an der Freien Universität und ich glaube nicht, dass er über die Medizin hinaus bewerten kann und beurteilen kann, welche Implikation eine solche Zusammenlegung hätte. Also insgesamt ein Gedanke, den man so schnell wie möglich verwerfen sollte, weil er einfach unsinnig ist.

    Lenzen ist entsetzt über die Idee einer "Uni-WG". Und zwar derart, dass er sich sogar auf einer stressigen Dienstreise durch Polen die Zeit nimmt, ein paar klärende Worte am Telefon zu sagen.

    Es ist im übrigen so, dass Sie dann einen Riesentanker bekämen, den wir schon einmal hatten. Die Freie Universität hatte einmal 65.000 Studenten. Wenn diese beiden Universitäten zusammen gelegt würden, hätten Sie wieder dieselbe Situation. Sie können eine Universität mit 1000 Professoren und 60, 70, 80.000 Studenten schlicht nicht steuern. Das ist eine Kleinstadt und da macht keinerlei Sinn.

    Und was halten die Humboldtianer und ihr Präsident Jürgen Mlynek von einer Berliner Hochschulgemeinschaft?

    Überhaupt nichts!

    Mlynek verweist auf die Bayern. Allein schon die Debatte um eine Uni-Fusion habe den Münchnern geschadet - bilanziert er mit einer guten Portion Häme.

    Von daher kann ich nur sagen: Glück auf bei der Fusion! Denn das wird den Wissenschaftsstandort Berlin stärken. Wir merken schon jetzt, dass Kollegen, die nach München berufen werden sollen, die Rufe erhalten haben und eigentlich nach Bayern gehen wollten, nach München, zögerlich werden und mit uns wieder in Bleibeverhandlungen eintreten, weil sie der Auffassung sind, dass Berlin dann doch noch attraktiver ist- selbst bei den engeren finanziellen Rahmenbedingungen.

    Also: kein Zusammenschluss. Kalifornien-Freund Ganten ist ratlos, warum seine Vision auf taube Ohren stößt.

    Das kann ich mir überhaupt nicht erklären, ich kann mir das nur vorstellen als ein Missverständnis.

    Ganten korrigiert: Er wolle keine Fusion der Unis, keinen Moloch, sondern nur ein gemeinsames Dach für Hochschulen. Ein Dach, unter dem auch die Technische Uni sowie die Berliner Helmholtz-, Leibnitz- und Max-Planck-Einrichtungen autonom forschen und Geld eintreiben sollen.

    Dieses Dach muss aber verbindlich sein. Es muss eine gewisse Verbindlichkeit haben, sonst sind Absprachen nicht belastbar und langfristige Orientierungen immer wieder momentanen Schwankungen und möglicherweise auch noch zufälligen Personen
    auf Positionen dann unterworfen und das darf nicht sein. Also ich denke schon, dass eine konkrete Vereinbarung notwendig ist.


    Als Beispiel für eine - wie auch immer geartete - Hochschul-Kooperation führt Ganten das eigene Haus an: die Charite. Denn die Charite wurde kürzlich neu gegründet als Zusammenschluss der Humboldt-Medizin mit der Medizin der Freien Uni.

    Berlin ist sehr attraktiv geworden für Wissenschaftler hierher zu kommen. Das hat ganz sicherlich zu einer Stärkung geführt und alle haben erkannt, dass die jetzige Fusion der einzig richtige Weg ist, die Zukunft gemeinsam zu gestalten.

    Doch auch darüber schütteln die beiden Uni-Chefs die Köpfe: die Medizin-Fusion sei von der Politik erzwungen gewesen. Das Pikante: Beide Unis sitzen in Gestalt ihrer Präsidenten im Aufsichtsrat der Charité - Ganten ist ihnen somit - als Vorstandsvorsitzender - unterstellt. Und beide Aufsichtsratsmitglieder sind unzufrieden mit ihrem Vorstandschef.

    Von positiven Erfahrungen in der Medizin kann nun zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch gar keine Rede sein. Es ist ein sehr schwieriger, sehr schmerzhafter ... vor allem bis in die Belegschaft hinein, die ihre Jobs verlieren, die fahren müssen zwischen den einzelnen Standorten hin und her, ein sehr schwieriger Prozess.

    Mlynek:
    Ich glaube auch nicht, dass Herr Ganten gesagt hat, dass durch die Fusion die Charite stärker geworden ist. Die Fusion bedeutet ja eine Einsparung von 100 Millionen Euro. Wenn man also durch Einsparung stärker werden wird, würde ja nahe liegen, Herrn Ganten weitere 100 Millionen wegzunehmen, um ihn noch stärker zu machen.

    Gibt es noch mehr Krach? Führt der Fusionsstreit in Berlin gar zu einem Vorstandswechsel? Humboldt-Präsident Mlynek verneint: Jeder dürfe offen seine Meinung sagen. Und auch Charite-Chef Ganten ist unbesorgt.

    Also ein freundschaftlicher, kollegialer, auch pointiert ausgetragener Diskurs über den richtigen Weg, über die richtige Hypothese, über die richtige Strategie, das ist etwas ganz normales, das ist im wissenschaftlichen Bereich üblich. Also: Wissenschaft ohne Kontroverse hört auf Wissenschaft zu sein.