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Modell: Neustrukturierung des Schulanfangs

Kindergarten ist ein bisschen langweilig...

Von Agnes Steinbauer |
    Für Noell ist ganz klar: Schule ist besser. Konzentriert löst er Aufgaben aus einem Zweitklässler-Rechenbuch. Dass er bei seiner Einschulung erst fünf war, merkt man ihm nicht an. Noell ist eines von 20 sogenannten "Kann-Kindern" an der Laagberg Grundschule in Wolfsburg. "Kann-Kinder" können bereits mit fünf Jahren zur Schule gehen – theoretisch sogar mit vier – das niedersächsische Schulgesetz sieht für die 1870 Grundschulen des Landes keine Stichtagsregelung mehr vor. In Wolfsburg wurde aus einem fünfjährigen Probelauf zur "Neustrukturierung des Schulanfangs" ein Dauerzustand. Als einzige Grundschulrektorin Niedersachsens führte Karola Städing den altersübergreifenden Unterricht von Stufe eins bis vier an der Laagbergschule ein. In der Montessori-Schule hat die Pädagogin die Erfahrung gemacht: Jüngere Kinder lernen von den Älteren und entwickeln dabei großen Ergeiz. Das wirkt sich positiv auf Schulstoff- und Soziales Lernen aus. Noch eine Erfahrung: Fünfjährige haben in der Regel keine Probleme mit dem frühen Schuleinstieg, wenn man auf ihre individuellen Bedürfnisse eingeht. Im Unterricht an der Laagbergschule zwischen acht und 13 Uhr wechseln sich Lern- und Erholungsphasen ab. Der Früheinschulung gehen besondere Reifetests und eine "Hospitanz-Woche" voraus. Karola Städing weiß:

    Wenn ein Kind dann schon am ersten Tag um 10 Uhr nach Mammi weint und nur noch müde und traurig und lustlos und das am zweiten und dritten Tag auch noch so geht, dann werden wir den Eltern sagen, das ist noch nicht so weit, aber die meisten Kinder schaffen das ohne Schwierigkeiten.

    Rückstellungen gab es nach der Einschulung bisher keine. Prinzip ist: Jedes Kind hat ein Recht auf sein eigenes Lerntempo und wird seinen Fähigkeiten entsprechend gefördert. "Verständnislesen" und soziales Lernen haben Priorität. Und: Es gibt an der Laagbergschule zwar Prüfungen und Zeugnisse, aber kein Kind bleibt sitzen, sondern höchstens länger in einer Lerngruppe. Mit der "Kann-Kinder"-Regelung hat man gute Erfahrungen gemacht. Die Jüngsten sind oft am meisten motiviert. Viktoria aus der Lerngruppe 5 ist sich ihrer Fähigkeiten durchaus bewusst:

    Die anderen Erstis können das noch nicht, bloß ich bin schon so weit...

    Den Übergang vom Kindergartenkind zum "Ersti", zum Erstklässler hat Viktoria gut geschafft:

    Wir haben ein großes Abschiedsfest gefeiert, ich hatte vorher ein bisschen Angst, dann hat’s mir aber doch Spaß gemacht.

    Buchstaben mag Viktoria besonders – am liebsten das kleine "e" – im Gegensatz zu anderen:

    ...und da vergess´ ich immer, wie das kleine d geht, in welcher Richtung das geht und das ist dann schon recht schwierig...

    Stundenbeginn in der L5. Was zuerst auffällt: Die beiden Lehrerinnen machen keinen Frontalunterricht, sondern beantworten Fragen zum Lernstoff - Deutsch, Mathematik und Sachunterricht. Sie verteilen Aufgaben, geben Anregungen. Die Kinder kommen auf die Lehrkräfte zu, und - auch darauf wird Wert gelegt – stellen sich der Reihe nach an, der Geräuschpegel ist erstaunlich gering.

    Für die 212 Kinder der Laagberschule gibt es neun Lerngruppen, in denen fünf bis elfjährige im selben Raum unterrichtet werden. Der Lernstoff unterliegt dem Lehrplan für Grundschulen. Je nach Fähigkeit des Kindes kann er auch schon innerhalb von drei Jahren bewältigt werden. Für Sabine Obst, Lehrerin in der L5, ist das gegenseitige Helfen besonders wichtig an diesem Schulmodell, zum Bespiel, wenn ein kleineres Kind noch nicht lesen kann:

    Da saß ein Drittklässler neben diesem Kind und las ihm vor, und der Zweitklässler schmiegte sich an, wie an den Großvater...das sind so Momente, wo man denkt, ja, das Prinzip ist in Ordnung so..