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Modellregion in Vorarlberg

Noch in den 70er und 80er Jahren war das Große Walsertal ein beliebtes Skigebiet. In den 90er Jahren ließen die Gästezahlen immer mehr nach. Daraufhin setzten die Walser auf sanften Sommertourismus, besannen sich der üppigen Natur und machten aus ihrem Tal ein Biosphärenreservat. Inzwischen ist es sogar von der UNESCO anerkannt.

Von Katrin Kühne |
    "Das Große Walsertal erstreckt sich vom Schatoner Pass ein bisschen südwestlich Richtung Schweiz. Also, dort entlang des Baches geht eine geologische Grenze. Drüben ist zum größten Teil Kalkgestein. Was wir hier auf dieser Seite haben, ist zum größten Teil Flysch: Das ist ein weiches Gestein, das leicht verwittert. Die Hänge sind viel milder als im Kalk. Es hat auch immer genügend Wasser, aber das gibt einfach mehr Humus, die Pflanzen finden mehr Nährstoff."

    Die ehemalige Volksschullehrerin Elisabeth Purscher stammt aus Faschina am nördlichen Rand des Großen Walsertales. Sie nimmt ihre Gäste von dort aus gern zum Blumenlehrpfad auf den Hahnenkopf hinauf. Hat man Glück bei der Wanderung, blüht einem der Türkenbund mit seinen rosalila "Turbanköpfchen". Die bis zu einem Meter hohe Lilienart wächst von Juni bis August und ist strengstens geschützt.

    Vom Gipfel des Hahnenkopfes in fast 1900 Metern Höhe schweift der Blick über das Große Walsertal und das kleine Faschina. In den 70er und 80er Jahren ein beliebtes Skigebiet, ließen die Gästezahlen in den 90ern immer mehr nach. Daraufhin besann man sich der üppigen Natur des Walserkammes mit über 150 Pflanzenarten, legte den Lehrpfad zwischen mittlerer und oberer Seilbahnstation an und setzte auf sanften Sommertourismus. Ende der 90er Jahre beschlossen die 3500 Walser nämlich, aus ihrem Tal einen Biosphärenpark zu machen. Ende 2000 wurde er dann von der UNESCO anerkannt.

    Sie haben schon ihren eigenen Kopf, diese Walser. Um 1300 waren sie aus dem Schweizer Wallis in die damals von den Montforter Grafen beherrschten Täler eingewandert. Erbberechtigt waren alle Kinder einer Familie, was durchaus nicht üblich war. Daraus ergab sich die bis heute erhaltene Aufteilung der Region in kleine Familienbetriebe, die die steilen Almen - hier Alpe genannt - bewirtschaften. Aus ihrer alten Heimat brachten die Walser schweizerische Ortsnamen, Sprachwendungen und - Jodler mit. Ein Walser, wie er im Buche steht, bedächtig, aber hartnäckig, ist Josef Türtscher, der Initiator des Biosphärenparks Großes Walsertal:

    "Biosphärenpark wörtlich übersetzt heißt: Musterregion für naturverträgliches Wirtschaften. Von dort her eigentlich ein hoher ideeler Ansatz, durchaus sehr zukunftsweisend."

    Schon lange ist der Alpbauer auch Abgeordneter zum Vorarlberger Landtag, wie es offiziell heißt. Gemütlich ist es in seinem Haus in Buchboden. Eingekuschelt in eine Talsenke, umgeben von einem verwunschenen Kräuter- und Blumengarten, wird der Wohnsitz der 6-köpfigen Familie selbstverständlich nur mit erneuerbarer Energie beheizt, mit Holz. Das heize einen zweimal ein, meint Josef Türtscher: einmal beim Holzhacken und einmal im Ofen.

    "Eine Region wie das Große Walsertal kann es sich aber nicht leisten, nur im Philosophieren zu verharren. Schlussendlich gilt - und das hat ja dieses Programm auch zum Inhalt: Leben und Wirtschaften im Einklang mit der Natur - aber auch Wirtschaften."

    Stefan Martin hat mit seiner Frau Marianne einen Bio-Milchwirtschaftsbetrieb in Fontanella, unterhalb von Faschina. Im Sommer grast sein Vieh auf den Almen. Im Winter wird eigenes Heu an Kühe, Kälber, und seit kurzem den Zuchtbullen verfüttert. Der sorgt auf natürliche Weise für Nachkommenschaft und ist der ganze Stolz des Jungbauern.

    Fesch sieht er aus, sicherlich auch der Bulle, aber auch der Stefan Martin: Sommersprossen, rotblondes Haar und - goldener Ohrstecker in Form einer Kuh!

    "Ich habe nur einen Bruder. Also sechs Mädchen und zwei Söhne sind da, und ich bin der Ältere. Und mir war das gar kein Gedanke, das kann man nicht sagen. Ich habe die Landwirtschaftsschule besucht und hätte schon die Möglichkeit gehabt, aber mir hat das gefallen, der Beruf, und so bin ich hängengeblieben."

    In der hell und modern eingerichteten Küche krabbeln zwei lebhafte Kleinkinder um unsere Beine, als er uns mit einer Schweizer Espressomaschine einen super Mokka macht. Nichts erinnert hier an die bäuerliche Romantik, die der Großstädter sich vorstellt. Dennoch, in dem 200 Jahre alten Haus der Familie wohnen die Eltern und eine Schwester ebenfalls noch, die alle bei der Arbeit mithelfen.

    Stefan Martin erhält heute Subventionen von Region, Land und EU für seinen kleinen Betrieb mit 17 Kühen und 15 Kälbern, wie die anderen Bauern des Tales auch. Nur dadurch können er, seine Nachbarn und so die von Menschen geschaffene Almlandschaft in ihrer Schönheit überleben.
    "Wir selber, als wir Kinder waren, sind immer mitgezogen. Heute – weil man auf Straßen fahren kann - wird das nur noch zum Teil gemacht."

    Auf 1200, 1400, 1500 und 1700 Metern Höhe ist der Besitz der Familie verteilt, da braucht es schon Glocken für die Kühe, um sie wiederzufinden. Jede Kuh habe ihren Stolz, erzählt Martin lachend, und ihre eigene Glocke. Im italienischen Piemont sind diese ja manchmal mit Hochzeitsbildern der Bauern verziert.

    "Na, also ein Hochzeitsbild haben wir jetzt keines drauf. Aber die Kuhglocken sind auf der Seite schon mit schönen Fransen verziert. Und auf den Kuhschnallen, also wo der Riemen zugemacht wird, da stehen schon zum Teil solche heiligen Sprüche drauf."