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Moderlieschen im Einsatz

Biologie.- Zahlreiche biologische und physikalische Überwachungssysteme prüfen die Güte des deutschen Trinkwassers. Doch bei vielen dieser Tests liegt das Ergebnis erst nach Stunden vor. Um die Prüfung zu beschleunigen, setzen Forscher auf die Hilfe von Fischen. Der Tierschutz allerdings ist skeptisch.

Von Thomas Gith | 29.03.2011
    Das Wasserwerk in Berlin-Friedrichshagen: In einem turnhallengroßen Gebäude befinden sich mehrere meterdicke Rohre – durch sie fließen täglich etwa 250.000 Kubikmeter Trinkwasser ins Leitungsnetz der Hauptstadt. Ständige Wasserkontrollen sind hier Pflicht und wichtige Helfer sind dabei ein Dutzend Moderlieschen: Es sind silberfarbene, bis zu zehn Zentimeter lange Fische. Sie schwimmen in einem Aquarium, das etwa so groß ist wie eine Mikrowelle.

    "Die Moderlieschen sind für die Wasserkontrolle wichtig, weil sie neben den physikalisch-chemischen Parametern noch eine akute toxische Verunreinigung im Trinkwasser sofort signalisieren und wir dann schneller reagieren können",

    sagt Ingenieur Andreas Deffke. Im Falle einer Wasservergiftung schalten Infrarotsensoren eine Alarmanlage ein. Das funktioniert so: Ist die Flüssigkeit sauber, schwimmen die Moderlieschen unten im Aquarium – denn hier wird das von den Tieren benötigte Frischwasser durchgepumpt. Sind in ihm Schadstoffe und Gifte enthalten, wandern die Tiere nach oben, da die toxischen Stoffe hier nur langsam ankommen. Die Infrarotsensoren registrieren die Bewegung und lösen Alarm aus.

    "Die Moderlieschen reagieren relativ schnell auf Verunreinigungen beziehungsweise auf Toxine, die sich im Wasser befinden. Ihr eigentlicher Vorteil ist aber, dass sie sehr breitbandig reagieren, sie sind also ein sehr variabel einsetzbares Messinstrument, wenn man so will, und sie reagieren natürlich sehr ähnlich dem Menschen",

    erklärt Georg Staaks vom Berliner Institut für Gewässerökologie, der die Testanlage mitentwickelt hat. Der Moderlieschentest ersetzt allerdings nicht die biologischen und physikalischen Messverfahren, bei denen etwa PH-Wert und Sauerstoffgehalt überprüft werden.

    "Das ist also ein bisschen anderer Ansatz, wir untersuchen nicht die Rohwasserqualität, sondern wir untersuchen, hat es hier einen Unfall, hat es hier einen Terroranschlag oder ähnliche Einflussnahmen gegeben, die eventuell für den Verbraucher gefährlich werden können."

    Ein Frühwarnsystem also. Denn so schnell wie die Moderlieschen reagiert im Ernstfall kein technisches Messverfahren. Im Wasserwerk, so Andreas Deffke, sind die Moderlieschen mittlerweile seit über zwei Jahren im Einsatz.

    "Also die Moderlieschen haben bis jetzt noch nie Alarm geschlagen, es ist ein Moderlieschen schon mal verstorben, aber der war wahrscheinlich dann altersschwach."

    Ungemach gibt es allerdings von einer anderen Seite – denn so einfach nutzen darf man die Fische nicht. Alles braucht eine Genehmigung und die ist bis Anfang 2012 befristet.

    "Der Einsatz der Moderlieschen zur Überprüfung der Trinkwasserqualität bedarf der Zustimmung der Tierschutzbeauftragten, weil wir einen sogenannten Tierversuch durchführen, weil wir die Fische im Einsatz haben, um ein Produkt zu kontrollieren und nicht ausschließen können, das Schmerzen, Schäden und Leiden von den Fischen abgewendet werden."

    2012 können die Wasserwerke den Versuch noch einmal verlängern lassen – danach muss der Moderlieschentest aufhören. Solange es keinen Anschlag gibt, bleiben die Fische allerdings gesund – und auch nach ihrem Einsatz sind sie gut versorgt, sagt Biologe Georg Staaks.

    "Sie gehen praktisch, nachdem Sie ihren Dienst geleistet haben, in Rente, da kommen Sie zu uns ans Institut, werden dort in einem naturnahen Teich ausgewildert, wo sie keine Feinde haben, keine Fressfeinde, wo sie Naturnahrung zur Verfügung haben, den geht es also dann für den Rest ihres Lebens ziemlich gut."

    Gefahr besteht allerdings auch dann nicht, wenn die Moderlieschen weg müssen: Denn der Sicherheitstest ist nur eine besondere Vorsichtsmaßnahme, die gesetzlich ohnehin nicht vorgeschrieben ist. Und für die Zeit nach den Fischen gibt es auch schon Ideen: Derzeit wird unter anderem mit Bakterien experimentiert - und die Forscher sind zuversichtlich, rechtzeitig einen Ersatz für die Moderlieschen zu finden.