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Moderne in der Großstadt

Der deutsche Expressionismus wird heute international gefeiert, die Rebellen von einst beherrschen Kunstmarkt und Museen. Eine der Wurzeln des Expressionismus reicht auch ins Oldenburger Land. Mit dem Projekt "Expressionismus - Auftakt zur Moderne" erinnert die Stadt Oldenburg an die Anfänge des Expressionismus vor 100 Jahren in Dangast und Oldenburg. Über einhundert Gemälde und Aquarelle sowie weitere Zeichnungen und Grafiken bietet die Ausstellung auf.

Von Rainer Bertold Schossig |
    Sehr klein hat diese Erfolgsgeschichte vor hundert Jahre angefangen. Da zeigten zwei damals noch gänzlich unbekannte Herren aus der Residenzstadt Dresden, ein gewisser Karl Schmidt-Rottluff und sein Kollege Erich Heckel, in der Residenzstadt Oldenburg ihre ersten wildfarbigen Bilder - mit eher frostigem Echo. Die beiden gehörten der gerade gegründeten Dresdener Künstlergruppe "Die Brücke" an und hatten ihre üppigen, ja quietsch-grellen Farben am sanften Jadebusen gefunden, vor der weltentrückten Geest-Kulisse des verträumten Fischerdörfchens Dangast. Jetzt ist im ehrwürdigen Oldenburger "Augusteum", also am selben Ort wie einst, ein Überblick über diese Dangaster Bilder zu sehen, darüber hinaus aber noch viel mehr, wie Bernd Küster, Direktor des Landesmuseums zu Recht sagt:

    "Wenn wir das so sehen, was sich da künstlerisch ereignet hat, dann muss man sagen: Das war noch nicht der große Wurf der 'Brücke'. Das war große Inspiration, genialische Farbsetzung, aber es war noch nicht der Stil, der uns bekannt ist."

    Blutrotes Land hinterm Deich und spinatgrüne Weiden, lodernd karminrote Ziegelei-Dächer, geduckte Hütten in der Kuchenteller-flachen Marsch und mal ein Kahn. Und darüber die unendlich hohen, weiten, immer wechselnd leuchtenden Himmel - das waren ihre Themen, sonst nichts. Die Sommerausflüge der Expressionisten nach Dangast waren kein Ferienvergnügen, sondern strenge Arbeitsaufenthalte:

    "Die sind an diesen abgelegenen Ort gekommen, um für sich die Malerei zu entdecken. Sie kamen mit einem malerischen Vorsatz, nicht der Landschaft, nicht der Erholung willen, sie kamen mit einem klaren malerischen Gedanken im Kopf, und den haben sie vor der Dangaster Natur unbemerkt ausgetragen und entwickelt, und daraus ist dann eine entscheidende Keimzelle der modernen Kunst geworden."

    Die notorische Stadtflucht und spätromantische Geheimbündelei der Maler stand zwar in der Tradition des Naturlyrismus der Künstlerkolonien von Dachau oder Worpswede, doch ihre Ergebnisse waren völlig andere: Brennende Subjektivität, brodelndes Gefühl, spontaner Ausdruck, Erguss von Seelentiefe - dieses Mal-Drama wurde paradoxerweise zurückgezogen in der Gottverlassenen Landschaft am Watt freigesetzt. Das dies funktionierte, beglaubigt auch ein großartiges Nolde-Kabinett. - Doch alsbald schalteten die Expressionisten um: Halsüberkopf gingen sie nach Berlin und stürzten sich - am Vorabend des 1. Weltkriegs - in die hektische Metropole, ins Tingeltangel der Bars und Cabarets.

    Dieses zweite, ebenso zivilisationskritische Kapitel des deutschen Expressionismus wird eindrucksvoll ausgebreitet im Horst Janssen-Museum - mit vielen großen Namen, dafür aber nur im Kammerton der Grafik, doch in dramatisch verdichtetem Parcours: Die schwarzen Kokotten Ernst Ludwig Kirchners neben den heiter-eleganten Ladenpassagen von August Macke, die proletarischen Elendsbilder von Käthe Kollwitz neben den taumelnden Berlin-Fassaden Ludwig Meidners, die Puffmütter und Strichdamen des Otto Dix neben den Geldsäcken und Kriegs-Krüppeln eines George Grosz. Dazu zwei der bedeutendsten Radier-Serien von Max Beckmann: die "Berliner Reise" und "Die Hölle": Sodom und Gomorrha an der Spree als wahnwitziges Welttheater. Die Apokalyptischen Abgründe der "Roaring Twenties" liegen lange genug zurück, um sie heute erfolgreich und gewinnbringend feiern zu können. Der deutsche Expressionismus erlebt heute - einhundert Jahre nach seiner Geburt - global ungeahnte Triumphe: die Auktionspreise sind in schwindelnde Höhen geklettert, kein Museum des 20. Jahrhunderts - wo auch immer in der Welt - will und kann auf expressionistische Bilder verzichten. Das Sympathische an dem Oldenburger Expressionismus-Projekt ist dagegen gerade seine lokale Anbindung, die daran erinnert, wie bescheiden hier und am Jadebusen einst alles anfing.

    Eine Expressionismus-Doppelausstellung im Landesmuseum und im Horst-Janssen-Museum in Oldenburg (31. August - 16. November 2008)