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Moderne Labors kennen sie nur aus dem Märchen

Die Taliban waren für Afghanistan eine Katastrophe - auch aus bildungspolitischer Sicht: Nicht nur weil Mädchen die Schulbücher abgeben mussten, sondern auch, weil Wissenschaftler jahrelang vom Rest der Welt isoliert wurden. Jetzt gibt es intellektuelle Aufbauhilfe aus Deutschland: In Sommerkursen an sieben deutschen Universitäten sollen Hochschullehrer aus Afghanistan wieder Anschluss an die internationale Forschung finden. Sechs Professoren aus Kabul machen den Anfang - sie sind gerade an der Universität Würzburg zu Gast.

    Khaleqdad Feroskohi hat glänzende Augen. Er ist einer der afghanischen Professoren, die zur Zeit am Mathematischen Institut der Julius-Maximilians-Uni Würzburg zu Besuch sind:

    Wir sind sehr beeindruckt von der Universität hier. Wir haben hier Laboratorien gesehen, wir haben hier Bibliotheken gesehen. Wir haben gestern ein Labor der Mikrostruktur angeschaut. Wir haben Sachen gesehen, von denen wir nur wie im Märchen gehört haben. Wir haben alles hier mit eigenen Augen gesehen. Herr Ruscheweyh hat uns jetzt zwei Computer gekauft und wir hoffen, dass in Zukunft der Kontakt aufrecht erhalten bleibt, so dass wir auch ein paar Möglichkeiten bekommen, so zu studieren wie hier.

    Feroskohis Gastgeber Professor Stefan Ruscheweyh war selbst von 1973 bis 1980 Berater an der Uni in Kabul und hat sich im Frühjahr die Zustände vor Ort angeschaut:

    Die Gebäude stehen zwar noch, aber sie sind innen praktisch leer. Es gibt keine Stühle, es gibt keine Stromleitungen, es gibt eigentlich überhaupt nichts. Das ist eine gewaltige Aufgabe, diese Universität wieder in den Zustand zu versetzen, so dass sie tatsächlich wieder Studenten ausbilden kann.

    Finanziert wird der Gastaufenthalt der Afghanen vom Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD. Das Geld für das Sonderprogramm hat das Auswärtige Amt zur Verfügung gestellt. Hilfsansätze auf akademischer Ebene, die historische Wurzeln haben, wie Stefan Ruscheweyh erklärt:

    Die Universität Kabul ist 1958 ursprünglich unter anderem von Deutschland mitgegründet worden. Inzwischen ist alles wieder zerstört und wir wollen jetzt versuchen, diese Zusammenarbeit wieder aufzunehmen und die Universität Kabul wieder aufzubauen. Am Ende des Jahres hoffen wir, dass die afghanischen Kollegen dann wieder etwas internationalen Kontakt gewonnen haben.

    Nationenübergreifende Teilnahme an Diskussionen, Symposien oder Wissensaustausch per Internet war seit Dezember 1979 praktisch unmöglich. Die Forscher in Afghanistan waren über 20 Jahre lang auf sich allein gestellt, erzählt der afghanische Mathe-Professor Khaleqdad Feroskohi:

    Seitdem die Russen in Afghanistan einmarschiert sind, ist Krieg in Afghanistan. Es ist alles zerstört worden. Es gibt keine einfachen Geräte, mit denen man einfache Versuche durchführt, geschweige denn Computer und Internet-Informationen. Zur Taliban-Zeit war es überhaupt nicht möglich, irgendwie einen Computer anzusehen. Es war verboten, Bilder anzuschauen, es war verboten, Radio zu hören. Es war absolut nicht möglich zur Zeit der Taliban, Kontakt mit ausländischen Ländern aufzunehmen.

    In Würzburg sollen die afghanischen Dozenten normal arbeitende Universitäten kennen lernen und ihr Wissen auffrischen. Denn an Forschung und Lehre nach europäischem Standard ist in Kabul momentan nicht zu denken, erklärt Physik-Professor Jura Qurbani:

    Es sieht so aus, dass momentan keine Geräte da sind, gar keine Labore da sind. Wir hoffen, dass wir mit Hilfe von Herrn Ruscheweyh hier viele Geräte mitnehmen können, so dass wir dort Versuche durchführen können, Messungen durchführen können und wir hoffen, dass Professor Ruscheweyh mit mehreren anderen Dozenten aus Deutschland zu uns kommt, dass es dort auch in Zukunft möglich ist. Im Moment ist es überhaupt nicht möglich.

    Neben den Besuchern in Würzburg sind auch an den Unis in Düsseldorf und Göttingen Professoren zu Gast. Weitere Besuche in Bochum, Bonn und Berlin sollen noch in diesem Jahr folgen - insgesamt sind 92 Gäste eingeladen. Das Programm in den anderen Städten wird ähnlich ablaufen wie in Würzburg, schätzt Ruscheweyh:

    Wir machen kleine Kurse, wir machen Besichtigungen, um ihnen zu zeigen, wo die Wissenschaft heutzutage steht. Außerdem stellen wir hier ein Hilfspaket zusammen, das sie teilweise bei ihrer Rückreise mitnehmen können. Das besteht aus sehr vielen Büchern, kleinen Geräten, kleinen Computern, um die nötigsten Anforderungen dort zu befriedigen. Und außerdem eine größere Sachspende, die später in einem Sammelverfahren vom DAAD nach Kabul geliefert werden wird.