Hinter einem Bambusvorhang stehen, für das Publikum unsichtbar, die Puppenspieler, bis zu den Hüften im Wasser. Mit langen Stangen und mit Schnüren bewegen sie die Puppen.
Zu jeder Aufführung gehören kämpfende feuerspuckende Drachen und die Sage aus dem 15. Jahrhundert vom zurückgegebenen Schwert. Das hatten die Götter dem König Le Loi geliehen, um chinesische Besatzer aus Vietnam zu vertreiben. Nach dem Sieg, während einer Bootsfahrt, tauchte eine Riesenschildkröte aus dem Wasser auf, entriss dem König das Schwert und verschwand damit um es den Göttern wieder zu geben.
Wasserpuppentheater haben eine jahrhundertelange Tradition in Vietnam und wären doch fast untergegangen, weil sie in der Hochzeit des Kommunismus als bürgerliche Kunst geächtet waren. Erst nach der Öffnung des Landes wurden sie wieder entdeckt, als Touristenattraktion.
Der aufblühende Tourismus hat überall in Vietnam Menschen dazu gebracht, diesen neuen Markt für sich zu entdecken und zu nutzen. Zum Beispiel in Dalat, das ist im zentral vietnamesischen Hochland.
"Nach dem Krieg und nachdem Vietnam 1990 seine Grenzen geöffnet hatte, haben wir Schritt für Schritt angefangen. Viele Hotels wussten nicht, wie sie den Tourismus organisieren sollten. Und wir haben ihnen geholfen. Wir waren eine Gruppe von Motorrad-Taxifahrern und haben die Gäste von den Hotels abgeholt und für ganz wenig Geld zu den Tempeln, dem See und dem Wasserfall gefahren. Dann haben wir das schrittweise ausgebaut und irgendwann unsere erste eigene Stadtrundfahrt für sechs bis acht Dollar angeboten."
Da fast jeder in Vietnam ein Mofa oder ein Motorrad hat, lag es für Nam auf der Hand, damit Geld zu verdienen. Nam ist heute 54 und gehört zu den Gründungsmitgliedern der "Easy Rider". Auf liebevoll gepflegten und nach besten Kräften aufgemotzten alten Hondas oder MZs aus DDR-Produktion knattern sie durch die Berglandschaft, die Kundschaft auf dem Sozius. Wer will, kann bei den Easy Ridern Motorradtouren durch ganz Vietnam buchen. Selbst große Reisetaschen oder schwere Koffer werden dann hochkant auf dem Gepäckträger der kleinen Maschinen festgezurrt. Auf den Namen "Easy Rider" hat sie übrigens ein amerikanischer Backpacker gebracht, als er ihnen von dem berühmten Film erzählte.
Den kannten sie nicht, schließlich hatte die Kommunistische Partei 1975 nach dem Ende des Vietnamkrieges das Land fast völlig abgeriegelt. 15 Jahre lange kam kein westlicher Ausländer hinein. Es gab kaum Handel mit kapitalistischen Ländern und noch weniger kulturellen Austausch.
Mittlerweile sind es längst nicht mehr nur Rucksacktouristen, die sich von den Easy Ridern die Gegend zeigen lassen. Nam hat im Laufe der Jahre durch seine Arbeit mit Touristen Englisch gelernt. Sein Kollege Lee ist zwanzig Jahre jünger und hat an der Universität in Dalat Englisch und Tourismus studiert. Fünf Jahre war er dann beim vietnamesischen Fremdenverkehrsamt. Doch er arbeitet lieber bei den Motorradfremdenführern, weil ihm deren Konzept von sensitivem Tourismus gut gefällt. Wer mit ihnen reist, lernt Vietnam abseits der Touristenpfade kennen.
"Ich fahre am liebsten in die Berge und besuche dort die abgelegenen Dörfer. Da ist es ruhiger, das ist das ursprüngliche Vietnam. Ich fahre nicht gern die überfüllte Küstenstraße, wo die vielen Touristen sind. Hier in den Bergen ist die Luft auch viel besser."
"Wir wollen euch die Geschichte und die Kultur unseres Landes zeigen. In Vietnam haben wir 54 Dialekte."
"Wir übernachten bei Familien und kochen mit ihnen zusammen."
Obwohl die Berge um Dalat ein wenig abseits an der Westgrenze des Landes liegen, ist auch hier die rasante Modernisierung der letzten zehn Jahre überall sichtbar. Über weite Flächen wurde der Urwald abgeholzt und an seiner Stelle entstanden Kaffeeplantagen. Vietnam ist hinter Brasilien zur Nr. 2 auf dem Weltmarkt aufgestiegen.
Nam und Lee halten auch an bei den Kaffeefeldern. Da kann man sich die Kaffeeblüten mal aus der Nähe ansehen. Es gibt sehr unterschiedliche Qualitäten, erklärt Nam. Bekannt ist die Gegend vor allem für ihren ungewöhnlichen Mokka, der leicht nach Kakao schmeckt, mit einem Hauch Vanille.
"In den Kaffeefeldern gibt es Wiesel. Die fressen die Kaffeekirschen, aber sie verdauen nur die Schale und scheiden den Kern wieder aus. Die Bauern waschen den Wieselkot ab und rösten dann die Bohnen. Der Kaffee schmeckt ganz wunderbar. Wir nennen ihn Chon-Kaffee."
Der wird für 25 bis 30 Euro das Kilo exportiert. Nam kennt ein kleines Straßencafé, wo man ihn für umgerechnet etwa 25 Cents pro Tasse probieren kann.
Dann erzählt Nam aus seiner Kindheit. Da waren die französischen Kolonialherrscher gerade abgezogen. Sie hatten Dalat zu einem Kurort ausgebaut. Wegen des milden Klimas - in Dalat gibt es eine Art ewigen Frühling mit Temperaturen zwischen 15 und 25 Grad - kamen viele aus dem immer heißen Süden zur Erholung hierher. Sie bauten prachtvolle Villen im europäischen Stil mit Aussicht auf die Berge und sogar eine Miniaturausgabe des Eiffelturms. Und einen Bahnhof im Kolonialstil, von dem aus Nam noch als Kind mit seinem Vater nach Saigon gefahren ist. Doch heute ist der nur noch eine Fotokulisse für Touristen und Hochzeitspaare.
"Während des Krieges wurden die Schienen von Vietcong zerstört. Die meisten Menschen hier, so wie ich auch, würden gerne den Zug wiederhaben. Aber die Regierung hat die Eisenbahnstrecke nicht repariert."
Aber mit Kritik hält er sich zurück, auch wenn er diese politische Entscheidung nicht versteht. Nur ganz verhalten kritisiert er die kommunistische Regierung. Das gilt auch für das Villenviertel, von dem er bis heute nicht wirklich erfahren konnte, was damit geschehen soll.
"Nachdem die Franzosen weg waren, übernahm die Regierung von Südvietnam die Villen, baute einige sie zu Touristen-Hotels aus. Das war von 1957 bis etwa 60. Danach standen die Häuser etwa 50 Jahre lang leer und verfielen mehr und mehr. Bis heute hat die Regierung kein Geld in die Restauration investiert, aber private Firmen kaufen jetzt diese Häuser."
"Ich weiß nicht, ob das jetzt Hotels werden oder Privatleute einziehen. Sie geben einem keine Informationen. Kann sein, dass einige Funktionäre da das große Geld gemacht haben. Ich weiß es nicht."
An einer Ausfallstraße von Dalat steht ein kleiner gelber Tempel mit zwei Türmen. Auf den ersten Blick erinnert er ein wenig an eine barocke Kirche.
Ein überdimensionales Auge in einem Dreieck, umgeben von einem Strahlenkranz, scheint über alles zu wachen. Ein Symbol für Gerechtigkeit, erklärt ein Mönch, der Besucher gerne zum Tee und einem Plausch einlädt.
"Die Cao-Dai-Religion ist eine Mischung aus verschiedenen Glaubensrichtungen. Hier sind Buddhismus, Christentum, Konfuzianismus, Taoismus und Islam friedlich vereint. Darüber wacht das göttliche Auge."
Dieses Auge ist das Erkennungszeichen von Cao Dai, so wie das Kreuz für das Christentum. Cao Dai heißt übersetzt "das höchste Wesen", und dieses Wesen wird als Schöpfer und Erlöser der Menschen verehrt. Die Sekte soll Mitte des vergangenen Jahrhunderts vier Millionen Mitglieder gehabt haben. In den 40er-Jahren stellte sie eigene bewaffnete Kräfte auf und bildete eine Art Staat im Staate. Während des Krieges kämpfte sie aufseiten des Südens, obwohl sie unter dem katholischen Präsidenten Diem einen schweren Stand hatte. Von den Kommunisten wurde sie nach deren Sieg verboten. Erst seit Ende der 80er-Jahre darf sie sich wieder legal betätigen. In Tay Ninh nordwestlich von Saigon unterhält sie ihr größtes Gotteshaus. Jeden Tag finden hier farbenprächtige Zeremonien statt.
Viermal täglich findet eine Gebetszeremonie statt, bei der mehrere Hundert weiß gekleidete Gläubige - links die Frauen, rechts die Männer - in Formationen Aufstellung beziehen und sich beim Einzug der Priester, die tragen blaue, gelbe und rote Gewänder, verneigen. Die Zeremonie hat etwas von einer Ballettaufführung, wenn sich die Gläubigen auf dem Mosaikfußboden vor dem Altar niederwerfen, erheben und wieder niederknien. Der Tempel wirkt wie eine Bühne mit seiner himmelblauen Decke, weißen Wolken, Sternen aus Spiegeln und zwei Reihen rosafarbener Säulen, um die sich grüne Drachen winden.
Seit der Öffnung des Landes erleben alle Religionen eine Renaissance. Ein Wiedererstarken des Buddhismus wird von der Partei sogar ausdrücklich gefördert. Vor zwei Jahren veranstaltete sie einen großen Versöhnungs-Kongress, auf dem sich verdiente Parteifunktionäre und hochrangige buddhistische Würdenträger die Hand reichten.
Das scheint aber nicht zu funktionieren. Anders als in den meisten Ländern Südostasiens, in denen Mönche mit ihren orangefarbenen Kutten zum Straßenbild mit dazugehören, fehlen sie in Vietnam fast völlig. Ihre Tempel wirken eher wie Museen, schon allein wegen der alten chinesischen Schriftzeichen.
Die moderne vietnamesische Schrift stammt von katholischen Mönchen, die das Volk alphabetisieren wollten, um so ihren Glauben zu verbreiten. Sie entwickelten ein Alphabet, das unserem sehr ähnlich ist. Allerdings sind viele Buchstaben mit Akzenten versehen, um die vietnamesischen Töne und Tonhöhen besser darstellen zu können. Ihre Missionstätigkeit war vor allem im Süden erfolgreich, lange bevor das Land im Krieg gespalten wurde. Während des Krieges verbündeten sich die Bischöfe eng mit dem Regime der südvietnamesischen Generäle. Nach dem Sieg des kommunistischen Nordens wurde die Kirche unterdrückt.
Heute blüht sie wieder auf. In fast jedem Dorf im Süden sieht man eine katholische Kirche, viele sind gerade erst neu gebaut worden, Kreuze und Marienstatuen. Die Kathedrale Notre Dame in Saigon, das offiziell Ho Chi Minh Stadt heißt, ist nicht nur an hohen Feiertagen gut besucht.
Der im Krieg geschlagene Süden zeigt sich heute wieder sehr selbstbewusst, nicht zuletzt, weil hier die dynamischen Wirtschaftszentren liegen. In Saigon konzentriert sich ein Drittel der Industrie, vor allem Textilien, Schuhe und Baustoffe werden produziert. Danang hat sich zu einer Handelsdrehscheibe für ganz Südostasien gemausert. Das Mekongdelta ist immer noch die Reiskammer Vietnams.
Dieses neue Selbstbewusstsein des Südens trägt Tien Thong ganz offensiv zur Schau. Auch er führt Fremde durchs Land, genauer gesagt auf die Schlachtfelder des Krieges, an dem er selbst teilgenommen hat - aufseiten des Südens. "Slim Jim" haben ihn seine amerikanischen Freunde genannt, erzählt der große, hagere Mittfünfziger.
Bis vor wenigen Jahren haben die Veteranen des Südens diesen Teil ihrer Biografie lieber verschwiegen. Wer an der Seite der Amerikaner gegen die heutigen Machthaber gekämpft hatte, galt als unzuverlässig und hatte deshalb weniger berufliche Chancen.
Tien Thong macht keinen Hehl mehr aus seiner Vergangenheit. Kaum ist der Bus losgefahren, erläutert er seine Sicht des Vietnamkrieges.
Sie wissen, dass der Vietnamkrieg einer der schlimmsten Kriege des 20. Jahrhunderts war, mit mehr als drei Millionen Toten. Es war ein Krieg Kommunismus gegen Kapitalismus, Nordvietnam gegen Südvietnam, das unterstützt wurde von den USA. Der Norden hat gewonnen. Seitdem teilt keine Grenze mehr unser Land, wir sind wieder vereinigt. Aber wir haben beide Systeme: Politisch sind wir kommunistisch, wirtschaftlich kapitalistisch.
Dabei grinst er süffisant, sodass jeder im Bus versteht, dass der Sieg des Nordens für ihn noch lange nicht bedeutet, dass der Süden wirklich verloren hätte. Zwar müssen die Menschen die Herrschaft der Partei akzeptieren, aber sie sind längst wieder frei, ihren Geschäften nachzugehen. Und zu Tien Thongs Geschäft gehört es, Touristen Cu Chi zu zeigen.
Die Tunnel von Cu Chi wurden in den 30er und 40er-Jahren vor den Toren Saigons angelegt für den Guerilla-Kampf gegen die Kolonialmacht Frankreich. Anfangs gab es nur einzelne unterirdische Verstecke, in denen Kämpfer unterkriechen konnten, oder Waffendepots. Im Kampf gegen die Amerikaner wurden sie durch Tunnel verbunden. Es entstand ein weitverzweigtes System mit 250 Kilometer Länge, in dem bis zu 16.000 Vietcong dauerhaft gelebt haben sollen. Schlafsäle, Schulen, sogar ganze Krankenhäuser mit Operationssälen wurden unter der Erde eingerichtet. Direkt oberhalb der Tunnel legte die US-Army nichts ahnend eines ihrer größten Militärcamps an und wunderten sich über häufige Anschläge, obwohl das Camp nach außen gut gesichert war.
Tien Thong führt seine Reisegruppen in paar hundert Meter in den Dschungel hinein. Plötzlich bleibt er stehen und schiebt ein bisschen Laub zur Seite. Darunter wird eine Platte sichtbar. Als er sie aufhebt, öffnet sich ein schmaler Eingang zu einem Tunnel.
"Das hier ist ein echter Tunnel, vietnamesische Größe. Höchstens 80 Zentimeter Durchmesser. Also da konnten die Kämpfer nur auf den Ellenbogen und dem Bauch durchkriechen. Für Besucher ist das viel zu eng. Aber versuchen Sie es mal in dem, der wurde extra für Gäste auf die doppelte Höhe vergrößert."
Ein paar Meter weiter gibt es einen etwas breiteren Eingang, sogar mit Stufen. Wer nicht klaustrophobisch ist, kann hinuntersteigen in einen dunklen Gang, durch den man gebückt vorwärtskommt. Es riecht nach feuchter Erde und man kann sich nur schwerlich vorstellen, dass sich Menschen hier dauerhaft aufgehalten haben. Alle paar Meter gibt es einen Notausgang. Seien Sie nicht ängstlich, frotzelt Tien Thong laufen Sie ruhig mal ein paar Hundert Meter durch.
Wieder am Tageslicht steht man plötzlich vor einer Gruppe Schaufensterpuppen, die die Gegner von einst darstellen: Guerilla-Kämpfer in einfacher Bauernkleidung mit primitiven Waffen und amerikanische GIs in voller Ausrüstung. Aber, erzählt Tien Thong, die fanden sich im Dschungel nicht zurecht und tappten immer wieder in Fallen.
"Alle Fallen wurden vergraben und mit Gras- oder Laubbüscheln getarnt. Es traten gar nicht so viele Soldaten hinein, aber wenn, dann erlitten sie verheerende Verletzungen. Hier zeige ich Ihnen mal so eine Falle, ein ganz einfaches Ding. Es besteht aus einer Kette mit lauter Nägeln dran. Wenn jemand drauf tritt, schnappt die zu und die Nägel bohren sich ins Bein. Schauen Sie her! Drauftreten und ..."
Genüsslich stößt er Holzbrett in die Falle, als ob es ein Bein wäre. Ein paar junge Soldaten schauen amüsiert zu, und haben noch eine eigene Attraktion zu bieten.
An einem Schießstand kann, wer möchte, mit Original-Kalaschnikows der Vietcong schießen. Oder, das ist vor allem bei jungen Männern besonders beliebt, mit einem damals erbeuteten amerikanischen M-60-Sturmgewehr.
Jede Patrone kostet einen Dollar. Wenn Gäste das M 60 auf Automatik stellen, klingelt es auch ordentlich in der Kasse der Armee. Das ganze Spektakel erinnert mehr an eine Schießbude auf dem Rummelplatz als an das Grauen des Krieges. Während die Touristen ballern, scherzt Tien Thong mit den jungen Soldaten der Vietnamesischen Volksarmee. Er wird offenbar längst nicht mehr als der Feind von gestern angesehen.
Der Krieg ist erst 35 Jahre her, aber die große Mehrheit der Vietnamesen ist so jung, dass sie ihn nur aus Erzählungen kennt. In jeder größeren Stadt erinnern Gedenktafeln und Monumente an die brutale Kriegsführung der Amerikaner, besonders ihren hemmungslosen Einsatz von chemischen Kampfstoffen, mit dem sie ganze Landstriche entlaubt haben, weil sie glaubten, dann den Feind besser sehen und treffen zu können. Doch trotz der bitteren Geschichte gibt es kaum Ressentiments gegen Amerikaner oder andere westliche Ausländer.
Diese Erfahrung hat auch Alessandro de Trento gemacht.
"Obwohl sie sehr viel gelitten haben unter dem Krieg, die sind sehr tolerant. Ich habe in Hanoi gesehen, gerade als ich angekommen bin, in Bars einige Marines, die in Hanoi waren, weil die suchten noch die Leichen von Amerikanern, die im Dschungel gewesen waren. Und die Vietnamesen habe die wirklich sehr gut behandelt, es gab kein Problem mit denen. Ich finde, die Vietnamesen wollen einfach ein neues Leben haben, die wollen diesen Krieg vergessen und einen Wohlstand erreichen."
Alessandro de Trento ist eigentlich Maler. Er studierte an der Berliner Hochschule der Künste und reiste vor 10 Jahren durch Asien, um sich inspirieren zu lassen. Und blieb dort. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, eröffnete er mit einem Freund ein italienisches Restaurant in Vietnams Hauptstadt Hanoi.
"Wir haben einen Ort gefunden und einen Zehnjahresvertrag gemacht mit einer ziemlich niedrigen Miete. Das war wirklich gut, also am Anfang war es ein nicht so guter Ort, weil es ein bisschen außerhalb der Altstadt war, aber wir haben viel versucht mit Konzerten, Jazz-Konzerten, Cine-Forum, besondere Partys und besonders Feste usw., sodass unser Restaurant berühmt geworden ist nach einer Weile und jetzt läuft es wirklich sehr gut und ist eines der besten italienischen Restaurants in Hanoi. Jetzt sind wir ... ziemlich berühmt in Vietnam."
Drei Restaurants, die gleichzeitig Kunstgalerien sind, besitzt er inzwischen. In Hanoi, Saigon und im Küstenort Mui Ne im Süden. Alle sind bekannt für exzellente italienische Küche, die auch europäischen Ansprüchen genügt. Das wissen vor allem ausländische Geschäftsleute, Diplomaten oder Touristen zu schätzen. Aber auch Einheimische haben immer häufiger Lust auf Spaghetti. Wenn auch mit kleinen Vorbehalten. Alessandro de Trento:
"Die Vietnamesen sind sehr stolz auf die eigene Kultur und das eigene Essen, und die haben, besonders Frauen, Angst dick zu werden. Wenn vietnamesische Frauen zu uns ins Restaurant kommen, meist mit Ausländern, selten allein, die essen immer die Hälfte von dem, was angeboten wird. Die haben immer diese Angst, schnell dick zu werden. Und ich glaube, unser italienischer Geschmack ist einfach auch ganz anders als vietnamesischer Geschmack. Hier zum Beispiel benutzen sie Zucker für Soßen und Fischsoße für alles und die sind diesen Geschmack sehr gewohnt und vermissen es, wenn sie das nicht haben. Manchmal passiert es, meine Leute essen Spaghetti, aber die neigen dazu, Fischsoße drauf zu tun, weil die mögen wirklich diesen Geschmack."
Von solchen kleinen Eigenmächtigkeiten der Angestellten mal abgesehen, hat Alessandro de Trento kaum Probleme als ausländischer Investor in einem kommunistischen Land.
Doi Moi, Neue Ökonomie, heißt seit 1986 die Leitlinie der Partei. Der Staat lässt Unternehmen weitgehend freie Hand. Sie können investieren und Gewinne machen so viel sie wollen. Sie können Löhne und Arbeitsbedingungen in eigener Regie festlegen. Nur die politische Herrschaft der KP darf niemand anzweifeln. So prangt immer noch symbolisch in den Straßen des Landes das Konterfei Ho Chi Minhs neben Werbeplakaten von Coca Cola und Sony. Jede größere Stadt hat für ihn ein eigenes Museum eingerichtet. Aber es wird nicht mehr an ihn als den Gralshüter des Kommunismus erinnert, sondern an den Gründungsvater eines geeinten und unabhängigen Vietnams.
Besonders lebendig ist die Verehrung von Onkel Ho, wie er im Volksmund genannt wird, in seinem Geburtsort Kim Lien. In dem kleinen Dorf nahe der Provinzstadt Vinh geht es zu wie auf einer Kirmes.
Mehrere Abordnungen von Jugendlichen in blauen Hemden und Soldaten in Uniform sind gekommen. Alle zieht es zu einem bambusgedeckten Lehmhaus am Rande des Dorfes.
Ob Ho Chi Minh in diesem Haus geboren wurde, ist nicht ganz klar, sicher aber hat er seine Kindheit dort verbracht. Angehörige seiner Familie lebten hier noch über Jahrzehnte, als er längst im Ausland und im Untergrund für die Unabhängigkeit kämpfte und später dann als Präsident von Hanoi aus das Land regierte.
Im Haus steht ein kleiner mit Blumen geschmückter Altar, vor dem vermutlich schon die Familie gebetet hat. Heute meditieren und beten davor vor allem alte Frauen.
Daneben steht eingerahmt ein postergroßes Faksimile eines Briefes von Ho Chi Minh an seine Verwandten, in dem er erklärt, dass er nicht mehr zum alljährlichen Familienfest kommen kann, weil er ja für die Unabhängigkeit Vietnams kämpfen muss.
Solche privaten Details sind wichtig in Vietnam, wo Ehrerbietung für die Eltern und Zusammenhalt in der Familie groß geschrieben werden. Ho Chi Minh ist so gesehen ein schwieriger Held. Schon als junger Mann ging er ins Ausland und kehrte nie ins Elternhaus zurück. Offiziell blieb er immer Junggeselle und kinderlos. Gerüchten zufolge soll er aber mit sogar zwei Frauen verheiratet gewesen sein.
Eine Fremdenführerin im hochgeschlossenen rosa Kleid erklärt, dass Ho Chi Minh immer betont habe, das ganze vietnamesische Volk sei seine Familie. Die jungen Soldaten lauschen andächtig und augenscheinlich überzeugt.
"Natürlich hat sich viel geändert. Vorher nur wenig große Häuser, und jetzt bauen sie Brücken, die Straße ist wunderbar, vorher nicht so. Aber leider haben wir nur eine Seite kennengelernt, nur die für Touristen, und im Hintergrund sind sehr viele arme Leute und das tut mir leid, tut mir weh auch. Ich wünsche ihnen alles Gute und dass die Menschen alle Gutes bekommen und leben wie in anderen Ländern, aber das ist schwer."
"Aber ich freue mich, dass Vietnam wieder neu gebaut ist und alles gut geworden und besser, ja, freue ich mich."
Hong Kappenberg hat Vietnam als junge Frau verlassen. 40 Jahre ist das her, aber den Kontakt zu ihrer Familie hat sie nie abreißen lassen. Mit ihrer Tochter Janine reist sie von Nord nach Süd, um Freunde und Verwandte zu besuchen. Dass die nie Vietnamesisch gelernt hat, tut der Kommunikation keinen Abbruch.
"Meinen Bekannten habe ich sie vorgestellt und die versuchen alle mit ihr umzugehen und sind alle so nett zu ihr und die kommen alle zurecht. ... Trotzdem keine Sprache zusammen, aber mit Finger, mit Hand hat sie ein bisschen was verstanden."
Janine Marijanovic: "Ja, man wird so behandelt wie ein Familienmitglied, schläft im selben Raum, man isst das gleiche Essen, die Leute kümmern sich um einen, wollen immer, dass es einem gut geht."
Weil Liebe bekannterweise auch durch den Magen geht, ist sie von allen Verwandten kulinarisch verwöhnt worden. Am liebsten mag Janine, gerne auch schon zum Frühstück, die landestypische Pho, eine Nudelsuppe, die nach stundenlangem Kochen ihr Aroma so richtig entfaltet. Besonders schön fand sie es, wenn sich abends die ganze Familie um einen Topf Lau versammelt hat.
Janine Marijanovic: "Ich mag das sehr gerne, das ist quasi ein Suppenfondue. Das kannst Du mit Reis und mit Fisch machen, oder mit Meerestieren. Und was auch sehr gut ist, ist Goi Cuon, das sind diese Winterrollen, das kalte Pendant zu den Frühlingsrollen."
"Im Prinzip kann man da eigentlich alles reinrollen. Salat, Kräuter, Fisch irgendein Fleisch, kannst Du auch mit Nüssen, Gemüse oder Nudeln."
Um ein paar Spezialitäten macht Janine allerdings schon einen Bogen. In vielen Restaurants stehen angebrütete Enteneier oder Schlange auf der Speisekarte, manchmal sogar Hund oder Ratte.
"Aber das ist ja auch nicht typisch vietnamesisch, würde ich jetzt mal sagen. ... Man sagt ja auch, die Franzosen essen Gehirn. Jede Kultur hat wahrscheinlich ein fieses Essen. Wir haben ja auch den Saumagen."
Zu jeder Aufführung gehören kämpfende feuerspuckende Drachen und die Sage aus dem 15. Jahrhundert vom zurückgegebenen Schwert. Das hatten die Götter dem König Le Loi geliehen, um chinesische Besatzer aus Vietnam zu vertreiben. Nach dem Sieg, während einer Bootsfahrt, tauchte eine Riesenschildkröte aus dem Wasser auf, entriss dem König das Schwert und verschwand damit um es den Göttern wieder zu geben.
Wasserpuppentheater haben eine jahrhundertelange Tradition in Vietnam und wären doch fast untergegangen, weil sie in der Hochzeit des Kommunismus als bürgerliche Kunst geächtet waren. Erst nach der Öffnung des Landes wurden sie wieder entdeckt, als Touristenattraktion.
Der aufblühende Tourismus hat überall in Vietnam Menschen dazu gebracht, diesen neuen Markt für sich zu entdecken und zu nutzen. Zum Beispiel in Dalat, das ist im zentral vietnamesischen Hochland.
"Nach dem Krieg und nachdem Vietnam 1990 seine Grenzen geöffnet hatte, haben wir Schritt für Schritt angefangen. Viele Hotels wussten nicht, wie sie den Tourismus organisieren sollten. Und wir haben ihnen geholfen. Wir waren eine Gruppe von Motorrad-Taxifahrern und haben die Gäste von den Hotels abgeholt und für ganz wenig Geld zu den Tempeln, dem See und dem Wasserfall gefahren. Dann haben wir das schrittweise ausgebaut und irgendwann unsere erste eigene Stadtrundfahrt für sechs bis acht Dollar angeboten."
Da fast jeder in Vietnam ein Mofa oder ein Motorrad hat, lag es für Nam auf der Hand, damit Geld zu verdienen. Nam ist heute 54 und gehört zu den Gründungsmitgliedern der "Easy Rider". Auf liebevoll gepflegten und nach besten Kräften aufgemotzten alten Hondas oder MZs aus DDR-Produktion knattern sie durch die Berglandschaft, die Kundschaft auf dem Sozius. Wer will, kann bei den Easy Ridern Motorradtouren durch ganz Vietnam buchen. Selbst große Reisetaschen oder schwere Koffer werden dann hochkant auf dem Gepäckträger der kleinen Maschinen festgezurrt. Auf den Namen "Easy Rider" hat sie übrigens ein amerikanischer Backpacker gebracht, als er ihnen von dem berühmten Film erzählte.
Den kannten sie nicht, schließlich hatte die Kommunistische Partei 1975 nach dem Ende des Vietnamkrieges das Land fast völlig abgeriegelt. 15 Jahre lange kam kein westlicher Ausländer hinein. Es gab kaum Handel mit kapitalistischen Ländern und noch weniger kulturellen Austausch.
Mittlerweile sind es längst nicht mehr nur Rucksacktouristen, die sich von den Easy Ridern die Gegend zeigen lassen. Nam hat im Laufe der Jahre durch seine Arbeit mit Touristen Englisch gelernt. Sein Kollege Lee ist zwanzig Jahre jünger und hat an der Universität in Dalat Englisch und Tourismus studiert. Fünf Jahre war er dann beim vietnamesischen Fremdenverkehrsamt. Doch er arbeitet lieber bei den Motorradfremdenführern, weil ihm deren Konzept von sensitivem Tourismus gut gefällt. Wer mit ihnen reist, lernt Vietnam abseits der Touristenpfade kennen.
"Ich fahre am liebsten in die Berge und besuche dort die abgelegenen Dörfer. Da ist es ruhiger, das ist das ursprüngliche Vietnam. Ich fahre nicht gern die überfüllte Küstenstraße, wo die vielen Touristen sind. Hier in den Bergen ist die Luft auch viel besser."
"Wir wollen euch die Geschichte und die Kultur unseres Landes zeigen. In Vietnam haben wir 54 Dialekte."
"Wir übernachten bei Familien und kochen mit ihnen zusammen."
Obwohl die Berge um Dalat ein wenig abseits an der Westgrenze des Landes liegen, ist auch hier die rasante Modernisierung der letzten zehn Jahre überall sichtbar. Über weite Flächen wurde der Urwald abgeholzt und an seiner Stelle entstanden Kaffeeplantagen. Vietnam ist hinter Brasilien zur Nr. 2 auf dem Weltmarkt aufgestiegen.
Nam und Lee halten auch an bei den Kaffeefeldern. Da kann man sich die Kaffeeblüten mal aus der Nähe ansehen. Es gibt sehr unterschiedliche Qualitäten, erklärt Nam. Bekannt ist die Gegend vor allem für ihren ungewöhnlichen Mokka, der leicht nach Kakao schmeckt, mit einem Hauch Vanille.
"In den Kaffeefeldern gibt es Wiesel. Die fressen die Kaffeekirschen, aber sie verdauen nur die Schale und scheiden den Kern wieder aus. Die Bauern waschen den Wieselkot ab und rösten dann die Bohnen. Der Kaffee schmeckt ganz wunderbar. Wir nennen ihn Chon-Kaffee."
Der wird für 25 bis 30 Euro das Kilo exportiert. Nam kennt ein kleines Straßencafé, wo man ihn für umgerechnet etwa 25 Cents pro Tasse probieren kann.
Dann erzählt Nam aus seiner Kindheit. Da waren die französischen Kolonialherrscher gerade abgezogen. Sie hatten Dalat zu einem Kurort ausgebaut. Wegen des milden Klimas - in Dalat gibt es eine Art ewigen Frühling mit Temperaturen zwischen 15 und 25 Grad - kamen viele aus dem immer heißen Süden zur Erholung hierher. Sie bauten prachtvolle Villen im europäischen Stil mit Aussicht auf die Berge und sogar eine Miniaturausgabe des Eiffelturms. Und einen Bahnhof im Kolonialstil, von dem aus Nam noch als Kind mit seinem Vater nach Saigon gefahren ist. Doch heute ist der nur noch eine Fotokulisse für Touristen und Hochzeitspaare.
"Während des Krieges wurden die Schienen von Vietcong zerstört. Die meisten Menschen hier, so wie ich auch, würden gerne den Zug wiederhaben. Aber die Regierung hat die Eisenbahnstrecke nicht repariert."
Aber mit Kritik hält er sich zurück, auch wenn er diese politische Entscheidung nicht versteht. Nur ganz verhalten kritisiert er die kommunistische Regierung. Das gilt auch für das Villenviertel, von dem er bis heute nicht wirklich erfahren konnte, was damit geschehen soll.
"Nachdem die Franzosen weg waren, übernahm die Regierung von Südvietnam die Villen, baute einige sie zu Touristen-Hotels aus. Das war von 1957 bis etwa 60. Danach standen die Häuser etwa 50 Jahre lang leer und verfielen mehr und mehr. Bis heute hat die Regierung kein Geld in die Restauration investiert, aber private Firmen kaufen jetzt diese Häuser."
"Ich weiß nicht, ob das jetzt Hotels werden oder Privatleute einziehen. Sie geben einem keine Informationen. Kann sein, dass einige Funktionäre da das große Geld gemacht haben. Ich weiß es nicht."
An einer Ausfallstraße von Dalat steht ein kleiner gelber Tempel mit zwei Türmen. Auf den ersten Blick erinnert er ein wenig an eine barocke Kirche.
Ein überdimensionales Auge in einem Dreieck, umgeben von einem Strahlenkranz, scheint über alles zu wachen. Ein Symbol für Gerechtigkeit, erklärt ein Mönch, der Besucher gerne zum Tee und einem Plausch einlädt.
"Die Cao-Dai-Religion ist eine Mischung aus verschiedenen Glaubensrichtungen. Hier sind Buddhismus, Christentum, Konfuzianismus, Taoismus und Islam friedlich vereint. Darüber wacht das göttliche Auge."
Dieses Auge ist das Erkennungszeichen von Cao Dai, so wie das Kreuz für das Christentum. Cao Dai heißt übersetzt "das höchste Wesen", und dieses Wesen wird als Schöpfer und Erlöser der Menschen verehrt. Die Sekte soll Mitte des vergangenen Jahrhunderts vier Millionen Mitglieder gehabt haben. In den 40er-Jahren stellte sie eigene bewaffnete Kräfte auf und bildete eine Art Staat im Staate. Während des Krieges kämpfte sie aufseiten des Südens, obwohl sie unter dem katholischen Präsidenten Diem einen schweren Stand hatte. Von den Kommunisten wurde sie nach deren Sieg verboten. Erst seit Ende der 80er-Jahre darf sie sich wieder legal betätigen. In Tay Ninh nordwestlich von Saigon unterhält sie ihr größtes Gotteshaus. Jeden Tag finden hier farbenprächtige Zeremonien statt.
Viermal täglich findet eine Gebetszeremonie statt, bei der mehrere Hundert weiß gekleidete Gläubige - links die Frauen, rechts die Männer - in Formationen Aufstellung beziehen und sich beim Einzug der Priester, die tragen blaue, gelbe und rote Gewänder, verneigen. Die Zeremonie hat etwas von einer Ballettaufführung, wenn sich die Gläubigen auf dem Mosaikfußboden vor dem Altar niederwerfen, erheben und wieder niederknien. Der Tempel wirkt wie eine Bühne mit seiner himmelblauen Decke, weißen Wolken, Sternen aus Spiegeln und zwei Reihen rosafarbener Säulen, um die sich grüne Drachen winden.
Seit der Öffnung des Landes erleben alle Religionen eine Renaissance. Ein Wiedererstarken des Buddhismus wird von der Partei sogar ausdrücklich gefördert. Vor zwei Jahren veranstaltete sie einen großen Versöhnungs-Kongress, auf dem sich verdiente Parteifunktionäre und hochrangige buddhistische Würdenträger die Hand reichten.
Das scheint aber nicht zu funktionieren. Anders als in den meisten Ländern Südostasiens, in denen Mönche mit ihren orangefarbenen Kutten zum Straßenbild mit dazugehören, fehlen sie in Vietnam fast völlig. Ihre Tempel wirken eher wie Museen, schon allein wegen der alten chinesischen Schriftzeichen.
Die moderne vietnamesische Schrift stammt von katholischen Mönchen, die das Volk alphabetisieren wollten, um so ihren Glauben zu verbreiten. Sie entwickelten ein Alphabet, das unserem sehr ähnlich ist. Allerdings sind viele Buchstaben mit Akzenten versehen, um die vietnamesischen Töne und Tonhöhen besser darstellen zu können. Ihre Missionstätigkeit war vor allem im Süden erfolgreich, lange bevor das Land im Krieg gespalten wurde. Während des Krieges verbündeten sich die Bischöfe eng mit dem Regime der südvietnamesischen Generäle. Nach dem Sieg des kommunistischen Nordens wurde die Kirche unterdrückt.
Heute blüht sie wieder auf. In fast jedem Dorf im Süden sieht man eine katholische Kirche, viele sind gerade erst neu gebaut worden, Kreuze und Marienstatuen. Die Kathedrale Notre Dame in Saigon, das offiziell Ho Chi Minh Stadt heißt, ist nicht nur an hohen Feiertagen gut besucht.
Der im Krieg geschlagene Süden zeigt sich heute wieder sehr selbstbewusst, nicht zuletzt, weil hier die dynamischen Wirtschaftszentren liegen. In Saigon konzentriert sich ein Drittel der Industrie, vor allem Textilien, Schuhe und Baustoffe werden produziert. Danang hat sich zu einer Handelsdrehscheibe für ganz Südostasien gemausert. Das Mekongdelta ist immer noch die Reiskammer Vietnams.
Dieses neue Selbstbewusstsein des Südens trägt Tien Thong ganz offensiv zur Schau. Auch er führt Fremde durchs Land, genauer gesagt auf die Schlachtfelder des Krieges, an dem er selbst teilgenommen hat - aufseiten des Südens. "Slim Jim" haben ihn seine amerikanischen Freunde genannt, erzählt der große, hagere Mittfünfziger.
Bis vor wenigen Jahren haben die Veteranen des Südens diesen Teil ihrer Biografie lieber verschwiegen. Wer an der Seite der Amerikaner gegen die heutigen Machthaber gekämpft hatte, galt als unzuverlässig und hatte deshalb weniger berufliche Chancen.
Tien Thong macht keinen Hehl mehr aus seiner Vergangenheit. Kaum ist der Bus losgefahren, erläutert er seine Sicht des Vietnamkrieges.
Sie wissen, dass der Vietnamkrieg einer der schlimmsten Kriege des 20. Jahrhunderts war, mit mehr als drei Millionen Toten. Es war ein Krieg Kommunismus gegen Kapitalismus, Nordvietnam gegen Südvietnam, das unterstützt wurde von den USA. Der Norden hat gewonnen. Seitdem teilt keine Grenze mehr unser Land, wir sind wieder vereinigt. Aber wir haben beide Systeme: Politisch sind wir kommunistisch, wirtschaftlich kapitalistisch.
Dabei grinst er süffisant, sodass jeder im Bus versteht, dass der Sieg des Nordens für ihn noch lange nicht bedeutet, dass der Süden wirklich verloren hätte. Zwar müssen die Menschen die Herrschaft der Partei akzeptieren, aber sie sind längst wieder frei, ihren Geschäften nachzugehen. Und zu Tien Thongs Geschäft gehört es, Touristen Cu Chi zu zeigen.
Die Tunnel von Cu Chi wurden in den 30er und 40er-Jahren vor den Toren Saigons angelegt für den Guerilla-Kampf gegen die Kolonialmacht Frankreich. Anfangs gab es nur einzelne unterirdische Verstecke, in denen Kämpfer unterkriechen konnten, oder Waffendepots. Im Kampf gegen die Amerikaner wurden sie durch Tunnel verbunden. Es entstand ein weitverzweigtes System mit 250 Kilometer Länge, in dem bis zu 16.000 Vietcong dauerhaft gelebt haben sollen. Schlafsäle, Schulen, sogar ganze Krankenhäuser mit Operationssälen wurden unter der Erde eingerichtet. Direkt oberhalb der Tunnel legte die US-Army nichts ahnend eines ihrer größten Militärcamps an und wunderten sich über häufige Anschläge, obwohl das Camp nach außen gut gesichert war.
Tien Thong führt seine Reisegruppen in paar hundert Meter in den Dschungel hinein. Plötzlich bleibt er stehen und schiebt ein bisschen Laub zur Seite. Darunter wird eine Platte sichtbar. Als er sie aufhebt, öffnet sich ein schmaler Eingang zu einem Tunnel.
"Das hier ist ein echter Tunnel, vietnamesische Größe. Höchstens 80 Zentimeter Durchmesser. Also da konnten die Kämpfer nur auf den Ellenbogen und dem Bauch durchkriechen. Für Besucher ist das viel zu eng. Aber versuchen Sie es mal in dem, der wurde extra für Gäste auf die doppelte Höhe vergrößert."
Ein paar Meter weiter gibt es einen etwas breiteren Eingang, sogar mit Stufen. Wer nicht klaustrophobisch ist, kann hinuntersteigen in einen dunklen Gang, durch den man gebückt vorwärtskommt. Es riecht nach feuchter Erde und man kann sich nur schwerlich vorstellen, dass sich Menschen hier dauerhaft aufgehalten haben. Alle paar Meter gibt es einen Notausgang. Seien Sie nicht ängstlich, frotzelt Tien Thong laufen Sie ruhig mal ein paar Hundert Meter durch.
Wieder am Tageslicht steht man plötzlich vor einer Gruppe Schaufensterpuppen, die die Gegner von einst darstellen: Guerilla-Kämpfer in einfacher Bauernkleidung mit primitiven Waffen und amerikanische GIs in voller Ausrüstung. Aber, erzählt Tien Thong, die fanden sich im Dschungel nicht zurecht und tappten immer wieder in Fallen.
"Alle Fallen wurden vergraben und mit Gras- oder Laubbüscheln getarnt. Es traten gar nicht so viele Soldaten hinein, aber wenn, dann erlitten sie verheerende Verletzungen. Hier zeige ich Ihnen mal so eine Falle, ein ganz einfaches Ding. Es besteht aus einer Kette mit lauter Nägeln dran. Wenn jemand drauf tritt, schnappt die zu und die Nägel bohren sich ins Bein. Schauen Sie her! Drauftreten und ..."
Genüsslich stößt er Holzbrett in die Falle, als ob es ein Bein wäre. Ein paar junge Soldaten schauen amüsiert zu, und haben noch eine eigene Attraktion zu bieten.
An einem Schießstand kann, wer möchte, mit Original-Kalaschnikows der Vietcong schießen. Oder, das ist vor allem bei jungen Männern besonders beliebt, mit einem damals erbeuteten amerikanischen M-60-Sturmgewehr.
Jede Patrone kostet einen Dollar. Wenn Gäste das M 60 auf Automatik stellen, klingelt es auch ordentlich in der Kasse der Armee. Das ganze Spektakel erinnert mehr an eine Schießbude auf dem Rummelplatz als an das Grauen des Krieges. Während die Touristen ballern, scherzt Tien Thong mit den jungen Soldaten der Vietnamesischen Volksarmee. Er wird offenbar längst nicht mehr als der Feind von gestern angesehen.
Der Krieg ist erst 35 Jahre her, aber die große Mehrheit der Vietnamesen ist so jung, dass sie ihn nur aus Erzählungen kennt. In jeder größeren Stadt erinnern Gedenktafeln und Monumente an die brutale Kriegsführung der Amerikaner, besonders ihren hemmungslosen Einsatz von chemischen Kampfstoffen, mit dem sie ganze Landstriche entlaubt haben, weil sie glaubten, dann den Feind besser sehen und treffen zu können. Doch trotz der bitteren Geschichte gibt es kaum Ressentiments gegen Amerikaner oder andere westliche Ausländer.
Diese Erfahrung hat auch Alessandro de Trento gemacht.
"Obwohl sie sehr viel gelitten haben unter dem Krieg, die sind sehr tolerant. Ich habe in Hanoi gesehen, gerade als ich angekommen bin, in Bars einige Marines, die in Hanoi waren, weil die suchten noch die Leichen von Amerikanern, die im Dschungel gewesen waren. Und die Vietnamesen habe die wirklich sehr gut behandelt, es gab kein Problem mit denen. Ich finde, die Vietnamesen wollen einfach ein neues Leben haben, die wollen diesen Krieg vergessen und einen Wohlstand erreichen."
Alessandro de Trento ist eigentlich Maler. Er studierte an der Berliner Hochschule der Künste und reiste vor 10 Jahren durch Asien, um sich inspirieren zu lassen. Und blieb dort. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, eröffnete er mit einem Freund ein italienisches Restaurant in Vietnams Hauptstadt Hanoi.
"Wir haben einen Ort gefunden und einen Zehnjahresvertrag gemacht mit einer ziemlich niedrigen Miete. Das war wirklich gut, also am Anfang war es ein nicht so guter Ort, weil es ein bisschen außerhalb der Altstadt war, aber wir haben viel versucht mit Konzerten, Jazz-Konzerten, Cine-Forum, besondere Partys und besonders Feste usw., sodass unser Restaurant berühmt geworden ist nach einer Weile und jetzt läuft es wirklich sehr gut und ist eines der besten italienischen Restaurants in Hanoi. Jetzt sind wir ... ziemlich berühmt in Vietnam."
Drei Restaurants, die gleichzeitig Kunstgalerien sind, besitzt er inzwischen. In Hanoi, Saigon und im Küstenort Mui Ne im Süden. Alle sind bekannt für exzellente italienische Küche, die auch europäischen Ansprüchen genügt. Das wissen vor allem ausländische Geschäftsleute, Diplomaten oder Touristen zu schätzen. Aber auch Einheimische haben immer häufiger Lust auf Spaghetti. Wenn auch mit kleinen Vorbehalten. Alessandro de Trento:
"Die Vietnamesen sind sehr stolz auf die eigene Kultur und das eigene Essen, und die haben, besonders Frauen, Angst dick zu werden. Wenn vietnamesische Frauen zu uns ins Restaurant kommen, meist mit Ausländern, selten allein, die essen immer die Hälfte von dem, was angeboten wird. Die haben immer diese Angst, schnell dick zu werden. Und ich glaube, unser italienischer Geschmack ist einfach auch ganz anders als vietnamesischer Geschmack. Hier zum Beispiel benutzen sie Zucker für Soßen und Fischsoße für alles und die sind diesen Geschmack sehr gewohnt und vermissen es, wenn sie das nicht haben. Manchmal passiert es, meine Leute essen Spaghetti, aber die neigen dazu, Fischsoße drauf zu tun, weil die mögen wirklich diesen Geschmack."
Von solchen kleinen Eigenmächtigkeiten der Angestellten mal abgesehen, hat Alessandro de Trento kaum Probleme als ausländischer Investor in einem kommunistischen Land.
Doi Moi, Neue Ökonomie, heißt seit 1986 die Leitlinie der Partei. Der Staat lässt Unternehmen weitgehend freie Hand. Sie können investieren und Gewinne machen so viel sie wollen. Sie können Löhne und Arbeitsbedingungen in eigener Regie festlegen. Nur die politische Herrschaft der KP darf niemand anzweifeln. So prangt immer noch symbolisch in den Straßen des Landes das Konterfei Ho Chi Minhs neben Werbeplakaten von Coca Cola und Sony. Jede größere Stadt hat für ihn ein eigenes Museum eingerichtet. Aber es wird nicht mehr an ihn als den Gralshüter des Kommunismus erinnert, sondern an den Gründungsvater eines geeinten und unabhängigen Vietnams.
Besonders lebendig ist die Verehrung von Onkel Ho, wie er im Volksmund genannt wird, in seinem Geburtsort Kim Lien. In dem kleinen Dorf nahe der Provinzstadt Vinh geht es zu wie auf einer Kirmes.
Mehrere Abordnungen von Jugendlichen in blauen Hemden und Soldaten in Uniform sind gekommen. Alle zieht es zu einem bambusgedeckten Lehmhaus am Rande des Dorfes.
Ob Ho Chi Minh in diesem Haus geboren wurde, ist nicht ganz klar, sicher aber hat er seine Kindheit dort verbracht. Angehörige seiner Familie lebten hier noch über Jahrzehnte, als er längst im Ausland und im Untergrund für die Unabhängigkeit kämpfte und später dann als Präsident von Hanoi aus das Land regierte.
Im Haus steht ein kleiner mit Blumen geschmückter Altar, vor dem vermutlich schon die Familie gebetet hat. Heute meditieren und beten davor vor allem alte Frauen.
Daneben steht eingerahmt ein postergroßes Faksimile eines Briefes von Ho Chi Minh an seine Verwandten, in dem er erklärt, dass er nicht mehr zum alljährlichen Familienfest kommen kann, weil er ja für die Unabhängigkeit Vietnams kämpfen muss.
Solche privaten Details sind wichtig in Vietnam, wo Ehrerbietung für die Eltern und Zusammenhalt in der Familie groß geschrieben werden. Ho Chi Minh ist so gesehen ein schwieriger Held. Schon als junger Mann ging er ins Ausland und kehrte nie ins Elternhaus zurück. Offiziell blieb er immer Junggeselle und kinderlos. Gerüchten zufolge soll er aber mit sogar zwei Frauen verheiratet gewesen sein.
Eine Fremdenführerin im hochgeschlossenen rosa Kleid erklärt, dass Ho Chi Minh immer betont habe, das ganze vietnamesische Volk sei seine Familie. Die jungen Soldaten lauschen andächtig und augenscheinlich überzeugt.
"Natürlich hat sich viel geändert. Vorher nur wenig große Häuser, und jetzt bauen sie Brücken, die Straße ist wunderbar, vorher nicht so. Aber leider haben wir nur eine Seite kennengelernt, nur die für Touristen, und im Hintergrund sind sehr viele arme Leute und das tut mir leid, tut mir weh auch. Ich wünsche ihnen alles Gute und dass die Menschen alle Gutes bekommen und leben wie in anderen Ländern, aber das ist schwer."
"Aber ich freue mich, dass Vietnam wieder neu gebaut ist und alles gut geworden und besser, ja, freue ich mich."
Hong Kappenberg hat Vietnam als junge Frau verlassen. 40 Jahre ist das her, aber den Kontakt zu ihrer Familie hat sie nie abreißen lassen. Mit ihrer Tochter Janine reist sie von Nord nach Süd, um Freunde und Verwandte zu besuchen. Dass die nie Vietnamesisch gelernt hat, tut der Kommunikation keinen Abbruch.
"Meinen Bekannten habe ich sie vorgestellt und die versuchen alle mit ihr umzugehen und sind alle so nett zu ihr und die kommen alle zurecht. ... Trotzdem keine Sprache zusammen, aber mit Finger, mit Hand hat sie ein bisschen was verstanden."
Janine Marijanovic: "Ja, man wird so behandelt wie ein Familienmitglied, schläft im selben Raum, man isst das gleiche Essen, die Leute kümmern sich um einen, wollen immer, dass es einem gut geht."
Weil Liebe bekannterweise auch durch den Magen geht, ist sie von allen Verwandten kulinarisch verwöhnt worden. Am liebsten mag Janine, gerne auch schon zum Frühstück, die landestypische Pho, eine Nudelsuppe, die nach stundenlangem Kochen ihr Aroma so richtig entfaltet. Besonders schön fand sie es, wenn sich abends die ganze Familie um einen Topf Lau versammelt hat.
Janine Marijanovic: "Ich mag das sehr gerne, das ist quasi ein Suppenfondue. Das kannst Du mit Reis und mit Fisch machen, oder mit Meerestieren. Und was auch sehr gut ist, ist Goi Cuon, das sind diese Winterrollen, das kalte Pendant zu den Frühlingsrollen."
"Im Prinzip kann man da eigentlich alles reinrollen. Salat, Kräuter, Fisch irgendein Fleisch, kannst Du auch mit Nüssen, Gemüse oder Nudeln."
Um ein paar Spezialitäten macht Janine allerdings schon einen Bogen. In vielen Restaurants stehen angebrütete Enteneier oder Schlange auf der Speisekarte, manchmal sogar Hund oder Ratte.
"Aber das ist ja auch nicht typisch vietnamesisch, würde ich jetzt mal sagen. ... Man sagt ja auch, die Franzosen essen Gehirn. Jede Kultur hat wahrscheinlich ein fieses Essen. Wir haben ja auch den Saumagen."