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Moderne Prothesen

Der Leichtathlet Oscar Pistorius hat bei der Weltmeisterschaft 2011 in Daegu gezeigt, dass er mit seinen künstlichen Füßen, mit nicht behinderten Sportlern konkurrieren kann. Moderne Prothesen sind weit mehr als die sprichwörtlichen Holzbeine - auch abseits des Hochleistungssports.

Von Volkart Wildermuth | 01.11.2011
    45,07 Sekunden auf 400 Meter. Das ist die Bestzeit von Oscar Pistorius und unbestritten Weltklasse. Der Südafrikaner läuft auf geschwungenen Karbonfedern, die den Beinen von Geparden nachempfunden sind. Sie sehen fremd und technisch aus, doch Oscar Pistorius bewegt sich völlig natürlich mit ihnen. Es handelt sich um Maßanfertigungen. Doch auch die ganz normalen Amputierten profitieren von der Jagd nach Medaillen, meint Prof. Bernhard Greitemann von Institut für Rehabilitationsforschung an der Klinik Münsterland in Bad Rothenfelde.

    "Die Sportler sind ähnlich wie die Formel-1-Boliden für die Autoentwicklung. Das heißt, man gewinnt Erfahrungen auch in Hochbelastungen und das macht man für den Normalpatienten nutzbar. Und ich denke, das ist eigentlich ideal."

    Selbst wenn ein Rentner vielleicht keinen Gepardenfuß braucht, von einer Mikroprozessor gesteuerten Prothese profitiert auch er. Moderne künstliche Füße passen sich an die Laufgeschwindigkeit und die Schrittrhythmen an, heben automatisch den Fuß in der Schwungphase, um so ein Stolpern zu vermeiden. All diese Techniken wurden zuerst für die Paralympics entwickelt und sind jetzt Teil der Kassenversorgung. Hightechprothesen schlagen dabei mit mehreren 10.000 Euro Kosten zu Buche. Dazu kommt, dass Amputierte auch Anspruch auf zum Beispiel eine Schwimmprothese haben.

    "Es ist durchaus so, dass man verschiedene Prothesen hat, es ist nur die Frage, wer muss das bezahlen? Ne, Sportprothese könnte man letztlich auch als Sportgerät titulieren, und dann müsste der Patient bezahlen, eine Eigenanteil, so wie ich meine Sportgeräte auch bezahlen muss."

    Die politische Debatte um die Kostenfrage steht erst am Anfang. In jedem Fall sind die Zeiten vorbei, in denen sich Amputierte mit einem Holzbein zufriedengeben mussten. Gerade junge Patienten erwarten, dass sie dank moderner Prothesen fast wie früher laufen, Ski fahren oder schwimmen können. Und wenn Operation, Rehabilitation und Technik zusammenstimmen, gelingt das auch häufig. Hightech ist dabei aber nicht alles.

    "Das beste Passteil nützt ihnen nichts, wenn der Schaft nicht passt. Dann verlieren sie die Prothese."

    Gerade bei der Ausformung des individuellen Prothesenschaftes kommt es nach wie vor auf die handwerklichen Fähigkeiten und Erfahrungen des Orthopädietechnikers an. Zu seinem Angebot gehören neben Prothesen und Schuheinlagen selbstverständlich Stützstrümpfen. Deren altertümliches Image wird gerade durch Sportler aufgewertet. Der flächige Druck der Kompressionstrümpfe regt über Rezeptoren in der Haut auch die Muskulatur an. Deshalb werden sie von Fußballern getragen. Triathleten schwören gar auf Ganzkörper Kompressionsanszüge. Und auch hier profitieren die ganz normalen Patienten.

    "Logischerweise, weil die Stricktechnik wird verbessert. Ein Sportler wird nie akzeptieren, wenn das irgendwo bei Laufen kneift, das muss atmungsaktiv sein etc. Und das heißt, da ist automatisch ein Innovationsschwung losgegangen."

    Und ein Modeschwung, betont Bernhard Greitemann. Designer Wolfgang Joop hat bereits Kompressionsstrümpfe entworfen. Auch bei den Prothesen ändert sich das Design. War früher Unauffälligkeit Trumpf, gibt es jetzt Gestaltungswillen, berichtet Bernhard Greitemann.

    "Ich habe ganz viele Patienten, die fast aggressiv ihre Behinderung auch zeigen. Das heißt, da werden sie Schäfte nicht mehr fleischfarben gemacht, sondern da wird ein Harley Davidson Design draufgemacht, da gibt es eine Riesenbandbreite. Es gibt auch Patienten, die zeigen ihr künstliches Kniegelenk."

    Vielleicht wirken die Bilder von den Paralympics und von den Gepardenbeinen Oscar Pistorius auch abseits der Tartanbahn stilbildend.