Archiv


Moderner Tanz im kommunistischen China

Zeitgenössischer Tanz ist ein relativ neues Phänomen in China. Streng zensiert ist der moderne Tanz nicht, weil die Szene zu klein und unbedeutend ist. Dennoch müssen sich die Choreografen an feste Regeln halten: Tänzer in China dürfen nicht nackt auftreten und politisch heikle Themen wie Tibet oder Taiwan bleiben tabu.

Von Silke Ballweg |
    Sie bewegen sich dynamisch, fast schon laufend durch den langen schmalen Raum, versuchen eine Drehung auf einem Bein. Der Workshop hier ist Teil des Pekinger Tanzfestivals, 20 renommierte Tänzer, viele aus anderen Ländern, sind angereist und arbeiten in zwei Dutzend Klassen mit rund 300 jungen Chinesen.

    Der zeitgenössische Tanz ist ein relativ neues Phänomen in China, erzählt Willi Tsao. Denn bis Ende der siebziger Jahre waren die modernen Künste in der Volksrepublik verboten.Tsao ist einer der wichtigsten Choreografen in China, er hat den modernen Tanz im Reich der Mitte während der vergangenen Jahre wie kein anderer geprägt.

    Willi Tsao:
    "Während der Kulturrevoltuion war nur sogenanntes revolutionäres Ballet erlaubt. Es waren schlimme Zeiten, wer westliche Künste studiert hatte oder Ballett wurde angeklagt, gequält, Viele haben sich damals umgebracht."

    Kurz nach dem Tod Mao Zedongs 1976 leitete die Politik unter Deng Xioaping Reformen ein. Auch die Künste konnten sich nun - wenn auch nur zaghaft – entwickeln. In den achtziger Jahren wird Willi Tsao, der zuvor in den USA Tanz studiert hatte, von einigen Städten in China eingeladen, bei ihnen zu unterrichten.

    Willi Tsao:
    "Es war eine turbulene Zeit. Wir saßen damals wie in einer Achterbahn. An einem Tag wurden wir ermuntert, zu experimentieren. Aber schon am nächsten konnte es wieder heißen, nein, das geht nicht, das sind die bösen Geister des Kapitalismus. Wir haben uns deswegen einfach ruhig verhalten und still in unseren Studios gearbeitet, ohne Aufsehen zu erregen."

    Mittlerweile hat sich eine zeitgenössische Tanzszene etabliert, relativ unabhängig vom Staat, der vor allem das klassische Ballet fördert. Die bekannten Ensembles schöpfen aus unterschiedlichen Quellen. Während etwa Gao Yang Jinzi von der Beijing Modern Dance Company den modernen Tanz mit klassischen Kampfkünsten oder dem Tai Chi verbindet, stellen sich die Guaondong Modern Dance Company und das Pekinger Ensemble LDTX bewusst außerhalb der Tradition. Der tibetisch-stämmige Choreograph Sang Jinjia von LDTX zum Beispiel hat mehrere Jahre mit William Forsyth gearbeitet. Er und viele andere lehnen den Rückgriff auf Chinas Tradition ab, erzählt Willi Tsao. Denn:

    Sun Shang Chi:
    "Die Regierung will, dass wir die traditionellen Elemente mit den modernen verbinden. Genau deswegen will ich das nicht machen. Die Politik sagt uns oft, wir sind Chinesen, deswegen sollten wir uns vom Westen unterscheiden und eine eigene, chinesische Art hervorbingen. Aber für mich heißt moderner Tanz in erster Linie Freiheit. Auch Freiheit von den Traditionen. Man muss den Tänzern die Möglichkeit geben, sich selbst auszudrücken, ihr eigenes Empfinden."

    Gerade bei den jungen Tänzern hapert es jedoch am eigenen Ausdruck. Denn die professionelle Ausbildung an den Akademien legt – wie so oft in China – den Fokus vor allem auf die Technik. Der Taiwanese Sun Shang Chi, der seit Jahren in Deutschland lebt, hat während des Pekinger Festivals jetzt einen Workshop zu Improvisation gegeben. Er meint:

    Sun Shang Chi:
    "Die Studenten sind toll, was man ihnen sagt, führen sie sehr gut aus. Aber es mangelt ein wenig an der Kreativität. Sie betrachten sich dauernd im Spiegel und wollen ihre Haltung korrigieren. Ich sag Ihnen ständig, nicht hinschauen, konzentriert Euch auf die Übung. Aber das ist sehr schwer für sie, sie haben Angst, loszulassen, das hemmt sie, etwas Neues auszuprobieren."

    Streng zensiert ist der moderne Tanz in China heutzutage nicht mehr. Dafür ist die Szene zu klein und unbedeutend. Dennoch müssen sich die Choreografen an feste Regeln halten. Tänzer in China dürfen bis heute nicht nackt auftreten. Auch politisch heikle Themen wie Tibet oder Taiwan sind nach wie vor tabu.