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Modernes Kunsthandwerk - Eine zu Unrecht vergessene Kunstform?

Wenn ein Künstler in den Augen seiner Kritiker versagt, heißt es: der rutscht ins Kunsthandwerk ab. Aber selbst ein herausragender und welt-weit anerkannter Kunsthandwerker gilt in Deutschland noch lange nicht als Künstler. Im Gegenteil. Wo von Kunsthandwerk die Rede ist, hört man immer nur das Handwerk heraus - und wenn einem dann gar noch die Mischmasch-Kunsthandwerkermärkte in den Sinn kommen: Töpferei und Batikschals, Holzgeschnitztes und Schmiedegeeistes oder anthroposophisch Gerundetes... Nein, das ist weder Handwerkskunst noch Kunsthandwerk und schon gar keine Kunst. Für diese Angebote haarscharf an der Kitschgrenze stimmt das Verdikt. Meist jedenfalls. Nur: der Begriff Kunsthandwerk ist weder definiert noch geschützt. Vermeiden wir also das Wort ganz bewusst und sprechen von nun an von angewandter Kunst. Von den Gebrauchskunststücken von der Mode bis zum Möbel, vom Lichtobjekt bis zu Schmuck und Gerät aus allen nur denkbaren Materialien; von ihrer faszinierenden Schönheit, ihrer Form- und Farbgebung und überzeugenden Benutzbarkeit. Sprechen wir von den Virtuosen des Einzelstücks, den Unterschiedsfetischisten, den Widerspruchsakrobaten der "kleinen Serie", den Oberflächen-Wahn-Sinnlichen. Die Objekte der angewandten Kunst sind weder Aura-Automaten noch Spiritualitäts-Amulette, sondern konkrete Dinge mit einer geheimnisvollen Botschaft - künstlerische Dokumente individueller Eigen-Art, die alle, von der ersten Idee bis zur Fertigstellung, in der Hand einer Künstlerpersönlichkeit liegen. Die Preisträgerin Charlotte Schäfer:

Von Cornelie Ueding |
    Ich habe während des Studiums, ich hab ja Graphik-Design studiert, ganz großen Wert gelegt auf das Erlernen von Handwerken, Techniken. Weil ich immer die Vorstellung hatte, wenn ich mal 'ne Superidee habe und die nicht adäquat umsetzen kann..., brauche ich in erster Linie handwerkliche Grundlagen, um Sachen umsetzen zu können - und dass für mich Ausführung und Idee adäquat sein müssen.

    Diese Objekte sind Material, Materie und zugleich der Versuch, die Grenzen des Materials zu überschreiten; sind Medium und 'message', sind Gestalt gewordene Überlistung falscher Alternativen: Natur oder Kunst, Funktion oder Form, Zweck oder Freiheit. Spielerisch wird Wirklichkeit begriffen und Wahrnehmungsphantasie freigesetzt. Angewandte Kunst ist nichts anderes als die alltägliche Anwendung von Kunst. Ist materialisierter, taktiler Dialog. Ist Kommunikation pur, weil sie Kommunikation für Einzelwesen ist - und eine substanzielle Alternative zu Massenkonsum, Uniformität und Seriengefühlen. Keine Vitrinen. Kein weihevolles kunstinteressiertes Umschreiten. Sondern - horribile dictu - sie benutzen. Sie anfassen. Mit ihnen etwas machen. Sie tragen. Auf ihnen sitzen. Aus ihnen trinken. Sich mit ihnen schmücken. Sie gebrauchen. Sie brauchen. Manchmal alle Tage. Und schon tut sich eine neue Fallgrube auf - denn genau das ist den Hütern der "reinen" Kunst so suspekt, dass, besonders in Deutschland, die unsinnige Trennung zwischen reiner und angewandter Kunst weiterhin aufrechterhalten wird. Die Landesausstellung manu factum 2003 zeigt einmal mehr, wie fließend die Grenzen tatsächlich sind, wie viele der angewandten Künstler außer benutzbaren Kleinskulpturen wie Schmuck und Gefäße auch frei arbeiten und mit Installationen vertreten sind. Drei der neun Preisträgerobjekte seien stellvertretend genannt: Claudia Merx' filigrane schwebende textile Rauminstallation, Elmar Heimbachs die Wahrnehmung durch neue Perspektiven bereicherndes begehbares Objekt aus Papier und Sperrholz und Charlotte Schäfers aus 8 federleichten geometrischen Teilen bestehende mobile Papier-Skulptur "Roter Reigen" mit unendlich vielen Kombinationsmöglichkeiten. Arbeiten, die die Phantasie anregen und zugleich ein Gefühl kontemplativer Ruhe vermitteln. Und ausgerechnet ihre handwerkliche Perfektion erweist sich als weitere Fußfessel, meint Charlotte Schäfer:

    Das Handwerk ist für mich einfach die Grundlage, auf der ich arbeite. Da ich mit Geometrien arbeite, muss es einfach auch exakt sein. Aber das ist nicht meine eigentliche Leistung. So verstehe ich mich nicht. Das Problem ist, dass eigentlich nur der ästhetische Moment und der handwerkliche Moment gesehen werden. Die Franzosen nennen das ja so schön "les arts décoratifs" - und genau so wird das auch wahrgenommen. Ich finde das eine ganz merkwürdige Sache, dass sich offensichtlich nicht nur die angewandte Kunst von der bildenden trennt, sondern auch die Ästhetik von der Kunst. Weil alles was ästhetisch ist, ist automatisch dekorativ. So in der Wahrnehmung der Leute.

    Man kann der manu factum und allen Ausstellungen zur angewandten Kunst nur viele Besucher wünschen und: eine heftige Flüsterpropaganda. Solange die Medien so zurückhaltend sind und so gut wie nie im Feuilleton über die als Kunsthandwerker gescholtenen Künstler berichten, müssen diese die Kommunikation nach außen wohl selbst anstoßen - immer wieder.