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Modernstes Radioteleskop
Von Kanada mit der Halfpipe ins All

Radioteleskope ähneln normalerweise Satellitenschüsseln. Die Universität von British Columbia in Kanada versucht nun etwas Neues: Dort blickt man mit sogenannten Halfpipes ins All. Denn was Inlinern und Skateboardern als Piste dient, funktioniert auch, um einen Blick in die Tiefen des Weltraums zu werfen.

Von Guido Meyer |
    Drei Halfpipe-artige Gebilde des Canadian Hydrogen Intensity Mapping Experiment
    Satellitenschüssel adé: Im Dominion Radio Astrophysical Observatory nahe Okanagan Falls im kanadischen British Columbia ist das modernste Radioteleskop der Welt in Betrieb gegangen. Dies ähnelt einer Halfpipe. (Deutschlandradio / Guido Meyer)
    "Wir sind hier im Süden von British Columbia, im sogenannten Okanagan Valley. Die Gegend ist hier im Grunde eine Wüste, ist ein Wüstenausläufer, der vom Süden, von den USA aus, nach Kanada hereinkommt."
    Ursprünglich war dies nicht Roland Kothes zuhause. Der Physiker vom Niederrhein hatte seine ersten Erfahrungen mit der Radioastronomie am Radioteleskop in Effelsberg in der Eifel gemacht. Doch Ende der 90er-Jahre hat es ihn in den Westen Kanadas verschlagen.
    "Wir befinden uns hier auf einem Hochplateau. Also, wir haben eine Gegend, die ist sehr flach, wo man halt Dinge gut drauf bauen kann. Und wir sind umgeben von einem Ring von Hügeln, die uns also schützen vor Radiointerferenzen."
    Roland Kothes sieht sich um. Wohin er auch blickt, begrenzen die westlichen Ausläufer der Rocky Mountains den Blick – ein idealer Schutz vor störenden Radiowellen technischer Geräte jeder Art.
    "Diese Hügel, die sind sehr dick, und die sind eigentlich recht gut, um die Dinge wegzuhalten. Und auch Leute, die hier auf den Straßen durchfahren und ihre Handys anmachen – wir haben Schilder draußen stehen und bitten Leute, ihre Handys auszuschalten. Aber das machen die meisten natürlich nicht. Und deswegen ist es schon noch ein Problem. Aber nicht viele Leute kommen hier durch."
    Je abgeschiedener, desto besser
    Eigentlich bloß die, die so wie Roland Kothes als Wissenschaftler hier arbeiten, am Dominion Radio Astrophysical Observatory – ein astrophysikalisches Observatorium, das Radiowellen aus dem Weltraum empfängt. Und je abgeschiedener die Lage, desto besser für die empfindlichen Instrumente.
    Genau hier hat Kanada im März das erste "Halfpipe-Radioteleskop" der Welt in Betrieb genommen. Skateboarder hätten ihre wahre Freude an CHIME, dem Canadian Hydrogen Intensity Mapping Experiment.

    "Hier sind wir direkt nebenan von dem CHIME-Teleskop. Diese Halfpipes, die sehen aus wie so Röhren, die in der Mitte durchgeschnitten sind."
    CHIME besteht aus insgesamt vier solcher Halfpipes. Jede Röhrenhälfte ist 100 Meter lang und 20 Meter breit.

    "Die versuchen, die Verteilung des Wasserstoffs im Weltraum zu messen, und zwar wie es vor sehr, sehr langer Zeit gewesen ist. Die Strahlung kommt aus dem Himmel, wird dann reflektiert in die Empfänger rein."
    Mit dem Superteleskop auf der Suche nach Wasserstoff
    Die Röhren dienen dabei als eine Art Auffangbecken. Sie leiten die Strahlung aus den Tiefen des Alls und aus einer fernen Zeit weiter an die über ihnen aufgehängten Empfänger. Wie gewöhnliche Radioteleskope schwenken lässt sich die gesamte Anlage nicht. Die Halfpipes sind fest auf dem Boden verankert.


    "Im Radiobereich beobachten wir viel zum Beispiel Supernova-Überreste. Das sind im Grunde Explosionen, die immer noch explodieren. Die Schockwelle im Weltall, die breitet sich viel, viel schneller und viel, viel länger aus als eine Explosion hier auf der Erde zum Beispiel Hier auf der Erde, da dauert so eine Explosion vielleicht so eine Sekunde oder ein paar Sekunden, dann ist vorbei. Im Weltall dauert das 10.000, 100.000 Jahre. Und wir können die immer noch im Radiobereich sehr gut beobachten."

    Beobachten heißt: Die Wissenschaftler suchen nach Wasserstoff. Dieses Element strahlt im Radiobereich auf der ihm eigenen sogenannten 21-Zentimeter-Linie. Das ist überall im Universum gleich und geeicht. Somit ist Wasserstoff nicht nur ein Indikator für die Verteilung der Materie im Weltraum, sondern auch für dessen Alter und damit für die Entwicklung des Kosmos insgesamt.
    "Wir können da Sachen beobachten, die man im Labor einfach nicht herstellen kann; sehr, sehr hochenergetische Partikel, Teilchen, die man selbst in einem Beschleuniger nicht mehr herstellen kann. Wenn wir eine Supernova-Explosion haben, die Schockwelle, die könnte wieder eine andere Wolke treffen, dass Sternentstehung wieder anfängt dort. Deswegen: Alles ist miteinander verbunden. Und wir wollen versuchen, diesen Kreislauf im Weltall dann zu studieren."
    Carolin Höfer, Mitarbeiterin am Dominion Radio Astrophysical Observatory, steht in einem der Halfpipe-artigen Gebilde des Canadian Hydrogen Intensity Mapping Experiment
    Carolin Höfer, Mitarbeiterin am Dominion Radio Astrophysical Observatory, steht in einem der Halfpipe-artigen Gebilde des Canadian Hydrogen Intensity Mapping Experiment (Deutschlandradio / Guido Meyer)
    Mit einem neuen Design mehr über das All erfahren
    Aber: Je weiter entfernt ein Objekt, desto schwächer dessen Radiowellen. Für weit entfernte Quasare oder Supernovae bedarf es also größerer Teleskope. Die lassen sich jedoch nicht beliebig groß bauen. Eine Möglichkeit war bislang, mehrere Teleskopschüsseln – die sich in gewissen Abständen befinden – zu einem virtuellen, größeren Teleskop zusammenzuschalten. Hier, im Tal von Okanagan, versucht es die University of British Columbia seit diesem Frühjahr mit einem neuen Design.
    Etwa 100 Meter hinter den Halfpipes ist das Hauptquartier von CHIME. Von dem doppelstöckigen, braunen Gebäude aus wird das Radioteleskop draußen überwacht. Der wissenschaftliche Ingenieur Nikola Milutinovic sitzt vor den Kontrollmonitoren.

    "Das hier ist ein ganz neues Konzept. Solche Teleskope gibt es sonst nirgends auf der Welt. Konventionelle Teleskopschüsseln konzentrieren die Radiowellen in einem Punkt und richten sie auf den Receiver. Auf diese Art bilden sie ein Quadratgrad des Himmels ab. Mit den Halfpipes von CHIME können wir den gesamten Nachthimmel der nördlichen Hemisphäre abbilden, während er sich über dem Teleskop hinwegdreht und während die Erde um die Sonne kreist."
    3D-Karte des Kosmos
    "Wir wollen quasi eine Karte vom Universum machen. Das soll eine 3D-Karte sein. Das heißt, wir wollen wissen, wie die Materie sich als eine Funktion der Zeit quasi verändert."

    Auch Carolin Höfer arbeitet im Teleskopkontrollraum. Die Österreicherin erklärt, warum Wasserstoff im Weltraum sich wunderbar als Forschungsobjekt eignet.
    "Die Materie im Universum ist zu 75 Prozent Wasserstoff. Das heißt, wenn wir die Materieverteilung von Wasserstoff wissen, dann wissen wir ungefähr die Masseverteilung im Universum. Also, das ist ein guter Indikator."l
    So lassen sich über die Rotverschiebung eines der häufigsten Elemente im Weltraum Entfernungen im All bestimmen. Und über Entfernungen können die Astronomen eine 3D-Karte des uns bekannten Kosmos konstruieren. Die Forscher hoffen, mit CHIME Wasserstoff nachweisen zu können, der elf Milliarden Jahre alt ist. Als Sonne und Erde entstanden sind, hatte die Strahlung dieses Wasserstoffs somit schon zwei Drittel seiner Reise Richtung Erde zurückgelegt.
    "Mit konventionellen Radioteleskopen würde diese Arbeit hier Tausende von Jahren dauern. Wir hoffen, dass wir mit CHIME in fünf Jahren Ergebnisse vorlegen können."