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Modestatements für die EU
Zwischen Idealismus und Geldmacherei

Es ist in, sich mit der Europaflagge zu zeigen: zwölf goldene Sterne im Kreis auf blauem Untergrund. Es gibt Pullis, Taschen oder Socken. Und weil der Brexit kommt, hat ein Label den zwölften Stern im Kreis weggelassen. Von Influencer bis Politiker - getragen wird die EU-Flagge gerade viel. Warum?

Von Gesine Kühne | 02.05.2019
Eine EU-Unterstützerin in Rom mit europablauem Fan-Shirt reckt die Faust
Eine EU-Unterstützerin in Rom mit europablauem Fan-Shirt (picture-alliance/dpa/Alexey Vitvitsky/Sputnik)
Ich kann mich noch ganz genau erinnern, als ich vor drei, vier Jahren in meinem Lieblingsklamottenladen in Berlin auf einmal diesen Pulli hängen sah: ziemlich blau und darauf zwölf goldgelbe Sterne. Die Europaflagge als Kleidungsstück, gemacht vom Label "Etudes", unter anderem getragen von Jay-Z, hat mich das Kleidungstück gar nicht angemacht. Den Journalisten und - wie ich ihn nenne - Instagram-Sinnfluencer Florian Prokop schon:
"Ich hab den am Anfang getragen, um ein plakatives Zeichen pro EU zu setzen. Denn es erschien mir wichtig, und es war schön einfach und eine klare Botschaft. Ich hab' den gesehen und dachte: Geil, damit kann ich schnell optisch was erzählen!"
Nämlich seine Einstellung gegenüber einem idealisierten Europa: pro Demokratie, pro Vielfalt und gleiche Rechte für alle Menschen. Auf Instagram bekommt er viel Anerkennung für das öffentliche Statement. Aus gleichem Grund hat die Marketingexpertin Kate Dehn vor der Bundestagswahl 2017 mit ihrem Geschäftspartner auch den "Europe Scarf" designt und in den Umlauf gebracht.
Coole Klamotten - mit einem Haken
Kate Dehn: "Um damals vor allem Neuwähler, vor allem über Instagram dazu zu bewegen, ein Statement abzugeben."
Der Schal wurde deshalb jetzt kurz vor der Europawahl am 26. Mai noch mal neu aufgelegt. 20 Prozent der Einnahmen gehen an gemeinnützige Organisationen. Immerhin.
Doch die Klamotten haben einen Haken: So ein Kleidungsstück kann keine genauen Vorstellungen über die gewünschte Europapolitik kommunizieren, jeder verbindet mit dem Symbol etwas anderes. Sinnfluencer Prokop möchte zum Beispiel nicht, dass vor den europäischen Grenzen noch Menschen im Mittelmeer ertrinken. Er wünscht sich, dass das Europaplakat am Körper, eher Gespräche initiiert.
"Was besser und differenzierter wäre, wäre vielleicht auch im wahren Leben darauf angesprochen zu werden. Die Frage ist ja, was für eine EU wollen wir? Wollen wir erstmal gucken, wie wir Banken europäisieren können oder wollen wir über einen europäischen Mindestlohn streiten?"
Auch die Europadevotionalien aus dem Haus "Souvenir Official" geben auf solche Fragen keine Antwort. Und doch sind sie besonders: Der zwölfte Stern fehlt im Kreis, was den Brexit symbolisieren soll. Was einst als Kunstprojekt der König Galerie in Berlin startete, ist längst ein Geschäft geworden. Nicht nur auf Instagram sieht man immer wieder Menschen, die sich mit Hilfe von Kleidung politisieren, selbst Politiker*innen tragen den sogenannten "EUnify Hoodie".
Das Symbol mit Inhalten füllen
Mode als Politikum. Ein Trend, der nicht nur rund um die EU existiert. Wir schreiben uns auch auf die Brust, dass wir Feminist*innen sind und, dass wir alle Geflüchteten bei uns Willkommen heißen.
Und doch stecken dahinter auch immer kommerzielle Interessen der Labels: Wenn es nicht um Geld geht, so doch um Aufmerksamkeit für sich - denn das ist im digitalen Zeitalter auch eine wichtige Währung.
Prokop sieht das nicht so eng: "Man kann mit EU-Merchandise zumindest erreichen, dass Leute anfangen, sich Gedanken zu machen und sie auch auf die Wahl aufmerksam machen! Ich kriege jetzt zum Beispiel von der schönen Initiative "#2605" ein Europa-Cap zugeschickt, das ich auf Social Media tragen werde, dass einfach nur daran erinnern soll: Lass‘ Wählen gehen!"
Hinter dem Europa-Cap "#2605" steckt die EU-Kommission. Für die Zurschaustellung im Netz bekommen die politisch engagierten Träger offenbar kein Geld. Vielleicht können wir über den kommerziellen Aspekt hinwegsehen, wenn die Europaklamotten uns wirklich zur Wahl bewegen. Denn dann können wir das leere Symbol "zwölf goldene Sterne auf blauem Hintergrund" mit Inhalten füllen, für eine EU, die wir uns wünschen.