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Modisch und zeitlos

Ein schmales Buch mit einem scheinbar banalen Titel ist zu einem der größten Erfolge dieses Bücherherbstes avanciert. Faire l’amour heißt der neue Roman des 46-jährigen Belgiers Jean-Philippe Toussaint im Original. Die wörtliche Übersetzung "Liebe machen", so entschied man sich bei der Frankfurter Verlagsanstalt, hätte allzu technisch platt geklungen und falsche Vorstellungen geweckt. Toussaint liefert mit seinem modischen und doch zeitlosen Kurzroman eine aktuelle Definition des Wortes Liebeskummer sowie die Garantie für eine schlaflose Lektüre-Nacht. Er wagt sich an eines der abgegriffensten Themen überhaupt – das Ende einer Liebe. Dabei scheut er selbst Elemente des Kitsches nicht, um archaische Gefühle in hochaktueller Szenerie zu präsentieren. Ort des Geschehens ist Tokio, das für den weitgereisten Autor die moderne Stadt schlechthin verkörpert.

Katrin Hillgruber |
    Diese Art, modern und zeitgenössisch zu sein, ist mir sehr wichtig. Ich mag Japan auch deshalb, weil das Land einerseits ausgesprochen modern ist – man denke nur an den unglaublichen technologischen Fortschritt dort -, auf der anderen Seite hat man in Japan das Gewicht der Tradition und der Vergangenheit. Das ist sehr interessant. Meiner Meinung nach ist es für einen Roman sehr wichtig, sich an der Welt von heute zu orientieren. Deshalb ist Japan in der Tat eine sehr gute Szenerie, um darin von der aktuellen Welt, der Welt von heute, zu sprechen. Dieser Roman spielt wirklich im 21. Jahrhundert, das ja gerade erst angefangen hat. Und auch Tokio ist ganz und gar eine Stadt des 21. Jahrhunderts.

    Ein französisches Liebespaar fliegt im verflixten siebten Jahr nach Tokio, um das Ende seiner wechselhaften Beziehung zu besiegeln. Marie de Montalte, eine sublime, nah am Wasser gebaute Modedesignerin, soll dort eine Ausstellung ihrer besten Entwürfe vorbereiten. Sie und ihr namenloser Freund, offenbar ein Schriftsteller, kommen völlig übermüdet in einem Luxushotel an. Ihr Versuch, miteinander zu schlafen, wird durch ein eintreffendes Fax gestört: Das ist der Beginn einer Abfolge tragikomischer Entwicklungen. Dabei wächst einem der ortsüblichen Erdbeben und einem Fläschchen Salzsäure, das der zwiespältige Ich-Erzähler bei sich trägt, entscheidende dramaturgische Bedeutung zu. Im Badezimmerspiegel glaubt der Mann, ein Selbstporträt des Fotografen Robert Mapplethorpe zu erkennen, der einen Elfenbeinknauf in der Form eines Totenkopfs in der Hand hält. Von "thanateischen Abgründen" und dem "Schleier des Todes" ist in diesem Zusammenhang die Rede: Thanatos, der Todestrieb, konterkariert mustergültig diese Etüde über den Eros und die Vergeblichkeit.

    Diese Peson stellt in der Tat eine permanente Gefahr dar, da sie Salzsäure bei sich hat. Deshalb ist er für sich selbst wie für die anderen eine Gefahr. Da gibt es diese ganze sehr angespannte Nacht, und in dem Moment, wo alles aufwallt und zu explodieren droht, ergreift er die Flucht. Das erste Mal erzeugt das eine recht merkwürdige Szene, im obersten Stock des Hotels, in völliger Ruhe und damit in Kontrast zur Gewalttätigkeit, die kurz vorher stattgefunden hat. Es entsteht eine Art Komplizenschaft, eine Annäherung an das Universum in dieser Badeszene, nachts um drei ganz oben im Hotel. Im zweiten Teil des Buches gibt es einen ähnlichen Moment, in dem er verschwindet.

    Der versierte Stilist Toussaint wurde von der frankophonen Kritik für Romane wie seinen Erstling "Das Badezimmer" oder "Der Photoapparat" bereits zum Vertreter des "nouveau nouveau roman" erkoren. "Das Badezimmer" erlebte vor zehn Jahren in japanischer Übersetzung einen geradezu sensationellen Erfolg. Als Toussaint 1996 zum ersten Mal das Land bereiste, kam das im Nachhinein einer unbewussten Initialzündung für seinen jetzigen Roman gleich.

    Ich habe vier Monate in Kioto gelebt, weil ich dort ein Stipendium hatte. Ich war von Japan fasziniert, erlebte dort einen wahren visuellen Schock. Und ich war mir sicher, dass dieses Erlebnis eines Tages ein Buch oder einen Film zur Folge haben würde. Am Anfang hatte mich eine japanische Zeitschrift gebeten, über meine Eindrücke zu schreiben. Also habe ich in Japan fünf oder sechs Texte verfasst, die als Grundlage für mein Buch "Selbstporträt (in der Fremde)" dienten. Aber was die Fiktion betrifft, habe ich abgewartet, ziemlich lange sogar. Ich glaube, es war gut zu warten, denn dadurch konnte ich alle meine Bilder und Impressionen reifen lassen, um einen Eindruck vom nächtlichen Japan zu vermitteln, eine Vision des Lichts. Denn alles, was in dem Buch mit dem Visuellen und dem Licht zu tun hat, ist meines Erachtens sehr wichtig.

    Die Texte, die Toussaint für die Literaturzeitschrift "Subaru" (die Plejaden) schrieb, wurden bis heute nur auf Japanisch veröffentlicht. Der Belgier steht in regelmäßigem Kontakt mit japanischen Künstlern und Intellektuellen, demnächst geht er auf Lesereise in dem Land, das er jetzt zum erstenmal als Romanschauplatz konkretisiert hat. Dementsprechend neugierig ist er auf die Reaktion des Publikums. "Sich lieben" ist ein antithetisches Buch, ein Buch der klaren Kontraste. Seine entscheidenden Szenen spielen sich nachts ab, wobei sich die Müdigkeit und Verzweiflung des Paares dunkel von den Neonlichtern eines Tokioter Geschäftsviertels abheben und so etwas wie Trost möglich wird. Später, als der Mann aus dieser gemeinsamen Verzweiflung mit dem Schnellzug nach Kioto entflieht, glaubt man die klar begrenzten japanischen Wohnräume und Gärten vor sich zu sehen. Ging es Jean-Philippe Toussaint darum, eine spezifisch fernöstliche Ästhetik zu schaffen?

    Ich wollte Japan eine Hommage erweisen, ohne dabei selbst zum Japaner zu werden. Denn das ist eine Gefahr – so wie es manchen Westlern ergeht, die sehr lange in Japan leben und sich schließlich nach Landessitte kleiden. So etwas wollte ich vermeiden, deshalb sind die Protagonisten auch keine Japaner. Das Japanische dient mir eher als Dekor, aber als sehr facettenreicher, dem ich sehr viel Aufmerksamkeit schenke. Ich wollte mich dieses Dekors nicht einfach nur bedienen, sondern ihm eine Hommage erweisen. Ich wollte kein klischeehaftes Japan kreieren, oder ein Japan, das von den Bildern geprägt ist, die einem vorschweben, wenn man das Land nicht kennt. Und da ich es gut kenne, immerhin bin ich schon um die zehn Mal dort gewesen, habe ich versucht, die wahren Japan-Bilder zu finden. Diesem faszinierenden Land eine Hommage zu erweisen, das vom Licht her, vor allem nachts, ganz außergewöhnlich ist, besonders in dem Viertel, in dem sich die Handlung abspielt, das trägt meines Erachtens enorm zur Dramatisierung des Buches bei.

    Bernd Schwibs hat Toussaints schlanken und eleganten Roman, der doch voller exquisiter Details wie rosa Lederpantoffeln oder einer seidenen Schlafbrille der Japan Airlines steckt, in ein ebenso elegantes Deutsch übersetzt. Die klare äußere Form des Textes steht in Kontrast zur Gefühlsaufwallung seiner Protagonisten. Jean-Philippe Toussaint, der auch einen Berliner Aufenthalt als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in den hintersinnigen Roman "Fernsehen" einfließen ließ, genießt den Ruf eines Candide mit belgischem Pass, wie Le Figaro schrieb.

    Ich habe den Text von Voltaire schon lange nicht mehr gelesen, «Candide » sollte ich wohl mal wieder lesen. Ich weiß nicht, ob das auf die letzten Bücher auch noch zutrifft. Der naive Zug von Candide war wohl eher in meinen früheren, humoristischen Büchern auffallend. Ganz besonders in dem Buch "Fernsehen", das diesem vorausging. In "Sich lieben" herrscht eine größere Schwere vor. Der Ton ändert sich, es geht um ein Liebespaar, das sich trennt. Es kommen weniger lustige Dinge vor, so dass die Ausgangssituation für Komik weniger entwickelt ist. Die Protagonisten sind reservierter, in einem eher existentialistischen oder metaphysischen Sinn, weniger im komischen, auch wenn es einige entsprechende Einlagen gibt.

    Das Buch endet mit einer "unendlich kleinen Katastrophe", wie es heißt. Der ungenannte sinistre Mann ermordet mit Hilfe seines Säurefläschchens eine Blume – keine Butterblume wie bei Alfred Döblin, sondern eine lila-weiße asiatische Leidensgenossin. Das wahre Attentatsopfer aber ist der Glaube an die Liebe.

    Jean-Philippe Toussaint
    Sich lieben
    Frankfurter Verlagsanstalt, 154 S., EUR 19,80