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Möbelmesse in Mailand
"Es scheint keine Visionen zu geben"

Bis zum Sonntag findet in Mailand der Salone del Mobile statt: die weltweit größte internationale Möbelmesse. Im Interview berichtet Jörg Häntzschel über die neuesten Trends der Designer - und warum sie zu den aktuellen Problemen in der Welt schweigen.

Jörg Häntzschel im Gespräch mit Bernd Lechler | 14.04.2016
    Impression der diesjährigen Möbelmesse "Salone del Mobile" in Mailand
    Impression der diesjährigen Möbelmesse "Salone del Mobile" in Mailand (Imago/ZUMA Press)
    Bernd Lechler: Man muss offenbar, um die Möbelmesse zu erleben, gar nicht wirklich hingehen, denn es gibt den Fuori Salone, also jede Menge Event außerhalb der Messe. Ganz Mailand ist im Design-Rausch. Wie müssen wir uns das vorstellen?
    Jörg Häntzschel: Das müssen Sie sich so vorstellen: Da gibt es Straßen wie die Via Brera im gleichnamigen Stadtviertel, wo praktisch in jedem Haus ein Show Room oder wie man das nennen soll, also irgendwie ein sozusagen leergeräumter Laden oder auch private Wohnungen sind, die dann jeweils die schönsten, teuersten, tollsten Produkte von einem Hersteller zeigen und wo es dann Aperitifs gibt und wo es was zu Essen gibt. Wo sich hunderte von Leuten dann drängen, vor allem abends.
    Lechler: Haben Sie denn in den Messehallen schon ein Möbel entdeckt, dass - ich weiß nicht - auf völlig neue Art zum Sitzen oder Liegen oder Sachen-Verstauen einlädt?
    Häntzschel: Das Möbel, was mir am meisten aufgefallen ist, war ein Sofa von Carlo Ratti. Carlo Ratti ist ein Wissenschaftler, der beschäftigt sich mit Data, könnte man im weitesten Sinne sagen. Also der hat jetzt ein Sofa gebaut, was sozusagen interaktiv ist. Das Sofa ist eine Art Schwarm von einzelnen Polstern, die jeweils wie so ein eigenes Möbel nebeneinander stehen. Und die kann man mit dem Smartphone auf- und abfahren, so dass man dann alle möglichen Landschaften daraus gestalten kann. Ganz witzige Idee! Natürlich muss man sagen, mehr eine Spielerei, denn man löst nicht wirklich ein großes Problem damit, aber das war eine der wenigen Sachen, die sozusagen technisch innovativ waren.
    Lechler: Wir leben in unsicheren Zeiten. Spiegelt sich so etwas in den Möbeln, vielleicht in pragmatischen, günstigen Teilen für den Flüchtlingscontainer oder von mir aus auch in immer noch tieferen Sofas zur Flucht in die Kuschelecke?
    "Die Designer machen so weiter wie bisher"
    Häntzschel: Ja, eher Letzteres muss ich sagen. Also das war wirklich ein bisschen enttäuschend und ist mir sehr aufgefallen, dass die riesigen Probleme, die man im Moment hat auf allen Ebenen, also: ökonomisch, Flüchtlinge, Wohnungen werden kleiner, die Generationenprobleme ändern sich - davon kriegt man eigentlich gar nichts mit auf der Messe. Also man findet keine Möbel für Alte, man findet keine besonders kleinen oder flexiblen Möbel - ein Tisch, den man in ein Bett umklappen kann oder sowas, nichts dergleichen. Es gibt auch wenig Spuren der Digitalisierung, ja, also es ist alles noch sehr, sehr analog. Was mir auch aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass es überhaupt keine Visionen zu geben scheint, also man hat das Gefühl, man macht so weiter, es ist alles ganz schön und man kann den Stuhl noch mal ein bisschen variieren, aber es gibt sozusagen keine übergreifende Idee, worum es gehen könnte. Also die Antworten, die müssen irgendwo anders gefunden werden, und die Designer, die machen irgendwie so weiter wie bisher.
    Lechler: Wenn dann am Samstag und Sonntag Publikumstage sind, geht man da als Normalbürger, der sich zu Hause weniger mit Luxusdesign umgibt und mehr mit Ikea, trotzdem mit Gewinn über diese Messe?
    Häntzschel: Auf jeden Fall! Es macht einfach auch Spaß zu sehen, wie viel den Leuten hier Design und Gestaltung und Möbel wert sind und da guckt man sich seine Wohnung schon auch noch mal anders an.
    Gute Ideen, problematische Umsetzung
    Lechler: In diesem Jahr wurde auch die Design Triennale im Rahmen der Möbelmesse wiederbelebt - es gibt ja auch einen deutschen Pavillon - ist das ein lohnendes Zusatzangebot?
    Häntzschel: Ja, im Prinzip schon. Diese Design Triennale die ist 1981 irgendwie eingeschlafen und jetzt hat man einen neuen Anfang gewagt. Das ist schon eine gute Idee glaube ich, gerade weil die Messe ja selbst natürlich - die geht es wirklich um Handel. Da darf man sich jetzt auch nichts vormachen, also das ist keine Kunstausstellung. Insofern ist die Idee gut. Die Umsetzung allerdings ist schon problematisch. Also manche Dinge sind toll und beeindruckend, zum Beispiel eine Ausstellung die in hundert Objekten die Geschichte des Designs erzählt - vom Faustkeil bis zur Atombombe und zur Drohne und zum Alpha - und das hat mich sehr interessiert, das fand ich spannend. Andere Sachen sind einfach völlig beliebig, da ist dann auch die Verfilzung mit den Herstellern, die das alles größtenteils finanziert haben, sehr problematisch. Ja, also da könnte man sich sicherlich noch steigern. Der deutsche Pavillon, es ist eigentlich nur ein Zimmer in einem Museum hier, ist auch ein bisschen merkwürdig ausgefallen. Da gibt es eigentlich gar kein Design zu sehen, nur einen ganz großen Tisch auf dem wiederum ein Film projiziert wird, der in einem Designbüro gefilmt wurde, wo man Designer bei der Arbeit sieht, beim Dübeln, Schnippeln, Zeichnen und so weiter... also hat mich etwas ratlos gelassen.
    Lechler: Jörg Häntzschel von der internationalen Möbelmesse, vielen Dank nach Mailand.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.