Donnerstag, 28. März 2024

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Möglichkeit einer Corona-Pandemie
"Entscheidend ist, ob es außerhalb Chinas zu größeren Ausbrüchen kommt"

Die Zahlen steigen und steigen, aktuell auf über 28.000 Infizierte. Inzwischen heißt es, der Höhepunkt der Corona-Epidemie werde frühestens Mitte Februar erreicht. Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth sagte im Dlf, es bedürfe großer Anstrengungen und auch Glücks, um eine Pandemie zu verhindern.

Volkart Wildermuth im Gespräch mit Ralf Krauter | 06.02.2020
Zwei Männer in weißen Schutzanzügen arbeiten in einem leeren Zugabteil.
Für den weiteren Verlauf der Corona-Epidemie sind mehrere Szenarien denkbar. Entscheidend wird sein, ob und wie schnell der Mensch das Virus bekämpfen kann. (dpa /XinHua/ Du Zheyu)
Ralf Krauter: Wie sich die Epidemie mit dem neuen Corona-Virus weiter entwickeln wird, kann niemand sagen. Aber Schätzungen auf Basis statistischer Modelle gibt es durchaus. Zusammen mit dem Wissenschaftsjournalisten Volkart Wildermuth möchte ich einen Blick auf die möglichen längerfristigen Entwicklungspfade der Epidemie werfen. Aber zunächst, wie sieht die aktuelle Situation aus?
Volkart Wildermuth: Viren sind Glücksspieler, sie verändern ihr Erbgut zufällig und schauen, wohin sie das führt. Das neue Coronavirus hat einen ersten großen Wurf geschafft. Dank einer Drehung des genetischen Glücksrads gelang es einigen wenigen Viruspartikeln nicht nur einen Menschen zu infizieren, sondern auch erfolgreich den Sprung zum nächsten Menschen zu schaffen. Damit steht diesen Viren – theoretisch – eine ganz neue Ressource für ihre Vermehrung zur Verfügung: die Menschheit. Diesen Sprung haben schon andere Coronaviren geschafft. Das SARS-Virus von 2002 zum Beispiel war infektiös, aber sozusagen zu langsam: Es zog einmal um den Globus, aber dann reagierte das Opfer Mensch: Es gelang, die Infektionsketten vor allem mit strikter Hygiene und Isolierung der Patienten zu unterbrechen. Das Virus verschwand.
"Zahl der Krankenhauseinweisungen scheint in Wuhan zurückzugehen"
Krauter: Gibt es diese Hoffnung noch auch für das neue Coronavirus?
Wildermuth: Noch handelt es sich um einen Ausbruch in China, in der Provinz Hubei, und einigen größeren Städten. In anderen Länder sind bislang nur 257 Fälle aufgetreten. Noch handelt es sich also nicht um eine Pandemie. Theoretisch ist es möglich, dass der Ausbruch in China unter Kontrolle gebracht wird. Gerade heute scheint die Zahl der Krankenhauseinweisungen in Wuhan zurückzugehen. Mit großem Fragezeichen vielleicht ein Zeichen, dass die Ausbreitung des Virus zurückgeht. Aber wenn die Experten in einer Frage einig sind, dann darin, dass wir uns sehr anstrengen müssen und dazu noch gehörig Glück brauchen, um eine Pandemie zu verhindern.
Krauter: Wovon hängt ab, ob das gelingt?
Wildermuth: Entscheidend wird jetzt sein, ob es außerhalb Chinas zu großen Ausbrüchen kommt, die dann auch exponentiell also explosionsartig anwachsen. Viele Länder sind da sehr wachsam, gerade auch nach der Warnung durch die Weltgesundheitsorganisation. Problematisch wird es, wenn das Virus in Länder mit schwachem Gesundheitssystem Fuß fasst, also etwa in Pakistan, Vietnam oder in manchen afrikanischen Staaten. Diesen gefährdeten Ländern will die WHO und auch die Bill und Melinda Gates Stiftung mit vielen Millionen Euro helfen. Denn wenn das neue Virus tatsächlich um die Welt zieht, ist der Ausgang offen.
"Genetisches Glücksrad dreht sich für Corona-Viren"
Krauter: Das Worst-Case-Szenario wäre ein Pandemie. Wie schlimm könnte die werden?
Wildermuth: Die meisten Erfahrungen und Daten gibt es zu den Pandemien der Asiatischen-, der Hong-Kong- und der Schweinegrippe. Die sind in einer ersten Welle um die Welt gezogen und haben dabei zwischen 20 Prozent und 50 Prozent der Bevölkerung infiziert. Diese erste Infektionsrunde dauerte aber nicht ewig. Die Menschheit hatte nämlich einen Verbündeten und das sind die Jahreszeiten. Viren, die sich durch die Luft verbreiten, treten meist im Winter auf. Da ist es kühler und trockener und die Virenpartikel bleiben länger infektiös. Im Sommer dagegen verschwinden sie. Aber die besagten Pandemien kamen im nächsten Winter in einer zweiten großen Ansteckungswelle zurück, so dass praktisch jeder mit den Pandemieviren konfrontiert wurde. Das ist für den Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité Grund, sich beim neuen Coronavirus auf ein ähnliches Szenario vorzubereiten - aber kein Anlass zu Panik.
O-Ton Christian Drosten: "Es ist vollkommen falsch zu denken, das ist eine ganz katastrophale Situation, es gibt keine Medikamente und keinen Impfstoff und das rollt hier auf uns zu. Das ist eine ganz falsche Vorstellung. Wir wissen sehr wohl, aus einer sehr langen und gut dokumentierten Erfahrung vergangener Influenzavirus-Pandemien, wie man mit so etwas umgeht. Und wir haben eine Pandemieplanung, die heute besser ist als jemals zuvor."
"Pandemieplanung heute besser als jemals zuvor"
Wildermuth: "Im Moment sieht alles danach aus, als ob sich die Pandemie für die meisten Menschen wie eine Schnupfeninfektion anfühlen wird, mit leichten Symptomen. Für alte Menschen, für Herzkranke, für Diabetiker, für Menschen mit Kreislaufproblemen oder Atemwegserkrankungen sieht das aber anders aus. Auf die werden sich die Ärzte und auch die Gesundheitsämter konzentrieren."
Krauter: Wenn sich das Virus global verbreitet, steigt aber auch die Chance, dass es mutiert. Wie bewerten Fachleute dieses Gefahr?"
Wildermuth: Das neue Coronavirus steckt jetzt in vielen tausend menschlichen Körpern jeweils in unzähligen Kopien. Und jede dieser Kopien ist ein neuer Dreh am genetischen Glücksrad. Coronaviren wie SARS mutieren nicht so rasch wie etwa Grippeviren, aber sie verändern sich. Und da gibt es drei Stellschrauben, die wichtig sind. Die erste ist die Ansteckungsrate. Im Moment scheint das neue Virus da in der Liga der Grippe zu spielen. Aber das muss nicht so bleiben. SARS zum Beispiel war nach einer Weile nicht mehr so ansteckend, warum ist nicht ganz klar. Die zweite Stellschraube ist die Aggressivität. Im Moment ist das neue Virus gefährlicher als die saisonale Grippe aber längst nicht so tödlich wie SARS, MERS oder auch die Spanische Grippe. Viele Erreger werden eher verträglicher, weil Menschen mit nur leichten Symptomen Viren viel effektiver weitergeben als Todkranke. Und die dritte Stellschraube, die kommt erst später ins Spiel, das ist die Wandlungsfähigkeit. Erkennt unser Immunsystem das Virus nach einem ersten Kontakt sicher wieder? Das klappt ja zum Beispiel bei den Masern sehr gut, aber kaum bei der saisonalen Grippe, eben weil sich ihre Außenhülle schnell verändert.
Auf lange Sicht ein alter Bekannter?
Krauter: Das heißt: Das neue Virus könnte gekommen sein, um zu bleiben – und würde auf lange Sicht ein alter Bekannter werden, mit dessen regelmäßigem Besuch wir uns abfinden?
Wildermuth: Ja, das ist vorstellbar. Nicht in einem Jahr, aber im Verlauf mehrerer Jahre könnte dieses Virus eine Koexistenz mit dem Menschen entwickeln. Wie das geht, haben bereits vier andere Coronaviren vorgemacht. Zusammen sind sie für etwa ein Viertel aller Erkältungen weltweit verantwortlich. Man bekommt sie, kriegt Fieber, schnieft und hustet die Viren weiter. Und dann ist meist alles schon wieder vorbei. Viele merken nicht einmal, dass sie infiziert waren.
Aber gelegentlich verursachen auch diese vier harmloseren Coronaviren eine Lungenentzündung, die selten auch zum Tod des Patienten führen kann. Diese Viren infizieren die Menschen mehr oder weniger unter dem Radar, sie gehören einfach zum Winter dazu. Aber diese Abschwächung eines Virus, das ist ein langsamer Prozess. Während dieser Phase könnten theoretisch sehr viele Menschen sterben. Und auch falls sich das neue Coronavirus in Richtung der saisonalen Grippe entwickeln sollte, darf man nicht vergessen: Die fordert in Deutschland jedes Jahr tausende Menschenleben. Will heißen: Wir sind gut beraten, alles zu unternehmen, um die Ausbreitung des neuen Virus so schnell wie möglich aufzuhalten. Um zu verhindern, dass es allzu oft an seinem genetischen Glücksrad drehen kann.