Gesine Treptow geht einem Satz nach, den Walter Kempowski 1995 bei Entgegennahme des Uwe-Johnson-Preises für sein "Echolot"-Projekt spricht: "Man war an seiner Brust nicht weich gebettet". Immerhin, kann festgestellt werden, "gehört Walter Kempowski zu den wenigen Freunden Uwe Johnsons, mit denen es nicht irgendwann zum Bruch kam." Ein mecklenburgisches Gegensatzpaar, das sich offenbar anzog, der Riese und der Leptosom. Johnson habe ihn, vermutet Kempowski, wohl "schutzbedürftig" gefunden. So lernen wir Johnson als hochinteressierten Leser von Kempowskis "Deutscher Chronik" kennen, der eine Detailfrage zu "Tadellöser & Wolff" per Telegramm schickt; der das Manuskript "Uns geht’s ja noch gold" lektoriert, und zwar strengstens, und dem Kollegen per Gutachten zu fundamentalen Korrekturen in Bezug auf Stil, Schluss und Titel anhält und von vorheriger Veröffentlichung abrät. Man war an seiner Brust eben nicht weich gebettet. 1972, in einem Fernseh-Gespräch im Garten der Samuel-Fischer-Villa zwischen Johnson und Kempowski, gerät der TV-Talk zum Thema "Der bürgerliche Roman" zur peinlichen Befragung Kempowskis, und Johnson legt dessen auch lebensgeschichtlich begründeten Wissenslücken gnadenlos offen. Was war das für ein Freund? Vermutet wird hier eine Spannung, die für Johnson aus dem Gefühl des sozialen Abstands zu dem Rostocker Reederssohn herrührte. Weshalb er ihn auch gelegentlich mit "Herr Graf" anschrieb. Und ihn nach Lektüre von "Schöne Aussicht" fragt: "Es gibt ja leider nur eine Kindheit, darf ich mir Ihre borgen?" Das ist nun wieder rührend.
Das Bewusstsein eines "sozialen Gefälles" macht Thomas Wild auch für die Komplikationen im Verhältnis zu Reinhart Baumgart verantwortlich, dem Johnson der "schwierigste der Freunde" war. Johnson habe in Baumgart seinen Leser gefunden, wie Baumgart in Johnson seinen Autor traf. Mehrfach wendet sich Johnson an Baumgart, wenn es um Wichtiges geht, um das Lektorat der "Jahrestage", oder um die Zusammenstellung eines ersten Materialienbandes; vor allem, um die Laudatio zum Büchnerpreis 1971. Auch Baumgart ziert sich erst, über die persönliche und Arbeitsbeziehung zu berichten, und weiß dann doch Interessantes beizutragen. Etwa über Johnsons Arbeitsweise, ein Jahr zu denken, ohne Notizen, und dann ein Jahr zu schreiben, er "bildet sich eine Geschichte ein, mit allen Realien, bis sie so wirklich wird in ihm wie eine eigene Erfahrung, die dann erinnert werden kann." Oder wie ihm das Erzählen aus einem "Stimmengewirr" kam, aus dem "Reinnölen der Toten". Wie bei ihm Dokumentarismus und die Lust am Fabulieren immer auseinander zerrten. Und wie, am Ende des heiklen Tags der Büchnerpreisreden, an dem er seinem Laudator doch hätte dankbar sein müssen, es zum großen Krach kommt. Man sitzt noch zusammen beim Fernsehen. Es ist der Tag der Festnahme von Ulrike Meinhof. Man sieht, wie Meinhof in strengen Polizeigriff genommen wird. Baumgart macht eine Bemerkung, wer von Schusswaffen Gebrauch mache, der werde unter Umständen auch hart angegriffen. Darauf entspinnt sich ein handfester Zank, Johnson beschimpft Baumgart als "SS-Mann", es folgt ein türenschlagendes Ende, man sieht sich nicht mehr für Jahre.
Baumgart bringt, als "Leitmotiv" der großen Johnson-Kräche, ein Bild ein, das sich einprägt. Der große Junge Johnson, der wegläuft, allein in die Nacht hinaus, der zum Frühstück noch nicht wieder da ist, und der dann mittags wortlos wieder auftaucht, und zum Beispiel einen riesigen Aschenbecher mitbringt. "Es war ein Geschenk und eine Drohung", sagt Baumgart über den Aschenbecher, "ein ewiges Andenken an ihn."