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Möllenberg fordert von Schröder Widerstand gegen die Dienstleistungsrichtlinie der EU

Probst: Wir haben es gehört, der Bundeskanzler reist mit einer ganzen Reihe von Änderungswünschen, beispielsweise die Dienstleistungsrichtlinie nach Brüssel und am Ende wird es dann wahrscheinlich eine ganze Reihe von Ausnahmebestimmungen geben und die dürften dann sicher auch ganz im Sinne von Franz-Josef Möllenberg sein, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Herr Möllenberg, guten Tag.

Moderation: Hans-Peter Probst |
    Möllenberg: Schönen guten Tag.

    Probst: Gibt es Mindeststandards, die der Bundeskanzler in Brüssel erreichen muss?

    Möllenberg: Ja, ich denke, lassen Sie mich das so formulieren, er muss ein Machtwort sprechen, weil, wenn er das nicht tut, wenn die EU dem nicht folgt, dann werden wir zusätzliche verheerende Verwerfungen auf unserem Arbeitsmarkt erleben. Dann ist Sozialdumping wirklich Tor und Tür geöffnet.

    Probst: Die Chancen dafür, wir haben es ja eben im Korrespondentenbericht gehört, stehen ja nicht schlecht. Barroso hat schon grünes Licht oder Verständnis zumindest signalisiert. Was aber der breiteren Öffentlichkeit auch hierzulande nicht so bekannt sein dürfte, es gibt ja jetzt schon die Praxis in Deutschland, dass Firmen in Deutschland heimische Mitarbeiter in großem Stil entlassen und durch Arbeitskräfte aus Osteuropa ersetzen und zwar zu Niedrigstlöhnen. Man liest von zwei bis drei Euro. Wie weit verbreitet und gängig ist diese Praxis nach Ihrem Kenntnisstand?

    Möllenberg: Weiter verbreitet als man glaubt und die Dunkelziffer ist mit Sicherheit sehr hoch. Lassen Sie mich das so schildern, ich bin der Bundesregierung ausgesprochen dankbar, dass sie im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung zum ersten Mai letzten Jahres die Arbeitnehmerfreizügigkeit begrenzt hat. Dort gibt es ja Übergangsfristen von sieben Jahren. Aber es gibt ein Schlupfloch, das ist die Dienstleistungsfreiheit und wir haben speziell an Schlachthöfen oder in der Fleischwirtschaft oder auch im Hotel- und Gaststättengewerbe, aber es breitet sich auch in anderen Industriebereichen aus, Angebote zum Beispiel von polnischen Unternehmern, die Facharbeiter, zum Beispiel Schlosser auch in anderen Bereichen zu einem Stundenlohn von sage und schreibe drei Euro anbieten und das nicht in Brandenburg, sondern am linken Niederrhein. In der Schlachtbranche speziell haben wir mittlerweile die Situation, dass in den letzten Monaten bis zu 30.000 Arbeitskräfte ihren Arbeitsplatz verloren haben, weil sie ausgetauscht worden sind. Wobei ich nichts gegen Polen oder Ungarn habe. Nur, wenn man Wettbewerb will, dann muss es gleiche Voraussetzungen geben, das heißt, es müssen gleiche Arbeitszeiten, gleiche Sozialstandards, gleiche Löhne, gleiche Arbeitssicherheitsbestimmungen et cetera gelten und das findet hier nicht statt.

    Probst: Stichwort Arbeitszeit, Arbeitsschutzsicherheit. Das kann man sich ja eigentlich schlecht vorstellen, wenn man die Gewerbeaufsicht in Deutschland beispielsweise kennt?

    Möllenberg: Aber die Gewerbeaufsicht ist personell auch nicht so ausgestattet, wie wir uns das zum Beispiel wünschen würden. Der zweite Punkt ist der, diese Betriebe sind ja praktisch verriegelt. Das hat auch etwas mit den Hygienerichtlinien zu tun, auf die man sich zurückzieht. Bis also eine Kontrolle mal vor Ort ist, dann hat man also durch Hinterwege, durch Hinterschlupflöcher die Leute schon auf die Seite gebracht. Das Schlimme ist, dass hier mit Menschen, die hier in der Hoffnung auch hinkommen, in der Hoffnung, dass sie also ordentliche Dinge erfahren, dass man die voll enttäuscht. Die bekommen teilweise wirklich zwei, drei oder vier Euro, die sind in barackenähnlichen Lagern untergebracht, die Arbeiten 12, 14 oder noch mehr Stunden am Tag, ruhen sich kurz aus und dann geht es am nächsten Tag weiter. Und die Öffentlichkeit, ich bin dankbar, dass Sie auch darüber berichten, muss wissen, wer immer auf billiges und noch billigeres Fleisch achtet, der muss sich darüber im Klaren sein, was dahinter steckt. Wenn meine dänischen Kollegen sich zu recht darüber beklagen, dass wir in Deutschland an den Schlachthöfen wirklich Wildwestmethoden haben und Niedrigstlöhne, dann ist das leider so richtig.

    Probst: Ist das nach Ihrer Sicht, Stichwort: dänische Kollegen, zutreffend, dass Firmen aus Dänemark oder aus den Niederlanden jetzt sogar auf den deutschen Markt kommen, Arbeitsplätze nach hier, billige Arbeitsplätze wohlgemerkt, verlegen?

    Möllenberg: Ja, wir erleben einen Strukturwandel in der Fleischwirtschaft. Insbesondere große transnationale Konzerne aus den Niederlanden oder aus Dänemark kommen hier nach Deutschland. Das ist ja zunächst einmal gut, wenn die hier Standorte in Deutschland errichten oder übernehmen, aber die kommen auch deshalb nach Deutschland, weil hier am einfachsten mit Arbeitnehmern aus Polen oder aus Ungarn oder aus der Tschechischen Republik umgegangen wird. Das ist ein Zustand, der so nicht hingenommen werden kann.

    Probst: Aber, Herr Möllenberg, da muss man natürlich im Umkehrschluss auch sagen, in diesen Ländern, Dänemark oder Niederlande, haben es die Gewerkschaften offensichtlich geschafft, die Praktiken zu unterbinden, zu verhindern. Wieso ist das hier in Deutschland möglich?

    Möllenberg: Weil wir in den letzten Jahren leider eine Situation erlebt haben, immer dann, wenn beispielsweise Arbeitnehmer Betriebsratstrukturen errichtet haben, also sich Betriebsräte gewählt haben mit unserer Hilfe, wenn wir Tarifverträge gefordert haben, dass die Arbeitnehmer schneller draußen waren als man glaubt. Es hat so ein Mentalitätswechsel in Deutschland stattgefunden, auf bestimmte Werte legt man offensichtlich, speziell in der Fleischbranche, keine Rücksicht mehr. Dass man also auch noch ethische Werte zu vertreten hat, dass es ein Miteinander geben muss und wenn jemand aufmuckt, dann kriegt er ganz schnell die rote Karte, das ist glücklicherweise in Dänemark noch nicht so, in den Niederlanden auch nicht. Ich hoffe, dass die Fleischbranche insgesamt ein bisschen handlungsfähiger wird. Lassen Sie mich zur Fleischbranche ganz allgemein sagen, der Fleischverband hat vor einigen Jahren seine so genannte sozialpolitische Kompetenz schon abgegeben. Die gibt es dort nicht mehr. Dort herrschen teilweise wirklich mafiöse Strukturen was Menschenhändler oder, lassen Sie mich das so sagen, überspitzt, Sklavenhändler angehen, die also Arbeitskräfte im Ausland anwerben. Dagegen Herr zu werden ist äußerst problematisch.

    Probst: Ja, aber, Herr Möllenberg, Ihre Gewerkschaft, die dann in diesem Sektor unmittelbar betroffen ist, hätte ja auch die Öffentlichkeit suchen können? Sie sehen da keine Defizite?

    Möllenberg: Doch, ich will das überhaupt nicht verschweigen. Nur wir haben vor zwei, drei, vier Jahren schon gewarnt im Zusammenhang mit so genannten Kontingentarbeitnehmern aus Rumänien oder aus Polen. Wir sind ständig bei der Politik vorständig geworden. Nur, wenn man also bestimmte Strukturen nicht bekämpft, dann darf man sich nicht wundern, dass letztendlich ein solches Ergebnis leider zu beklagen ist.

    Probst: Franz-Josef Möllenberg von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.