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Mölln
Gelebte Willkommenskultur trotz dunklem Erbe

Im November 1992 zündeten Neonazis in Mölln im südlichen Schleswig-Holstein ein Haus an. Zwei türkische Mädchen und eine Frau kamen dabei ums Leben. Heute engagieren sich viele Möllner Bürger für Flüchtlinge. Ist die Willkommenskultur in dem Städtchen auch durch ihre Geschichte motiviert? Nein, sagt zumindest der Bürgermeister.

Von Astrid Wulf | 23.10.2015
    20 Jahre nach dem Brandanschlag: Kranzniederlegung vor jenem Haus in Mölln, das am 23. November 1992 von Neonazis angezündet wurde.
    20 Jahre nach dem Brandanschlag: Kranzniederlegung vor jenem Haus in Mölln, das am 23. November 1992 von Neonazis angezündet wurde (aufgenommen am 23. November 2012). (picture alliance / dpa - Angelika Warmuth)
    Jeden Mittwoch kommen im Begegnungshaus in Mölln Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und der Türkei mit ehrenamtlichen Helfern zusammen. Bei Kaffee und Kuchen, Musik und in fröhlicher Atmosphäre lernt man sich kennen, und die Ehrenamtlichen bieten ihre Hilfe an - seien es Sprachkurse oder ein Tipp, wo es in der Nähe einen guten Anwalt für Asylrecht gibt. Direkt nebenan ist eines der Häuser, die Neonazis in der Nacht zum 23. November 1992 angezündet haben. Zwei türkische Mädchen und eine Frau sind dabei ums Leben gekommen. Streetworker Axel Michaelis hat damals den Verein "Miteinander Leben", mitbegründet und hat diese Begegnungsstätte mit aufgebaut.
    "Es war eine Forderung von Günter Grass direkt nach den Brandanschlägen. Es hat dann einige Zeit gedauert, bis diese Überlegung Gestalt angenommen hat, und wir dann dieses Haus direkt neben den Häusern, in denen einer der Brandanschläge stattgefunden hat, entwickelt und aufgebaut haben."
    Dieser Verein initiiert heutzutage das "Café International". Die Anschläge in den 90er-Jahren sind aktuell im Alltag der Vereinsarbeit kaum Thema, sagt Axel Michaelis. "Ursprünglich ist dieser Verein mal als eine Betroffenheitsreaktion entstanden und ich glaube die Betroffenheit wird nicht mehr so wahrgenommen. Schon gar nicht von Jüngeren und Kindern eben nicht mehr."
    "Ich habe von dieser Geschichte gewusst, aber ich habe keine Angst"
    Ist die Willkommenskultur in Mölln etwas Besonderes – möglicherweise auch aufgrund seiner Geschichte? Nein – denkt der Sozialarbeiter. Seiner Einschätzung nach unterscheidet sich das Engagement für die Flüchtlinge hier in Mölln nicht von anderen Städten. Vielleicht gibt es hier lediglich besonders günstige Voraussetzungen. "Eventuell insofern, dass wir die räumlichen Möglichkeiten in der Begegnungsstätte haben und es halt einen Stamm von Aktivisten gibt, die seit über 20 Jahren in Mölln bereit sind, sich einzusetzen."
    Ibrahim Hosni ist regelmäßig hier im Begegnungshaus, wenn das Café International stattfindet. Er ist vor etwa anderthalb Jahren aus Syrien geflüchtet und lebt seitdem die längste Zeit in Mölln. Er weiß, was hier 1992 passiert ist, macht sich darüber aber keine Gedanken. "Ich habe von dieser Geschichte gewusst, aber ich habe keine Angst. Ich mag diese Stadt eigentlich. Sehr nette Leute, und ich habe sehr viele Freunde – Deutsche, meine ich."
    Für den Möllner Bürgermeister Jan Wiegels sind die Brandanschläge eine historische Last, wie er sagt, die nach wie vor eine Rolle spielt, gerade rund um den Gedenktag am 23. November. Dass sich deshalb so viele Möllner hier einbringen, hält er für unwahrscheinlich: "Das Engagement, das wir hier sehen und hören, das basiert auf der Verpflichtung, die auch andere in anderen Städten und Gemeinden verspüren, sich den Menschen anzunehmen und zu helfen. Die Brandanschläge spielen dabei nach meiner Wahrnehmung überhaupt keine Rolle."
    Vergessen sind die Brandanschläge nicht
    Damit spricht der Bürgermeister Erika Schäfer aus der Seele. Die Rentnerin kümmert sich beim Café International um sauberes Geschirr und volle Kaffeekannen. "Ich glaube, dass jeder einzelne von uns seine eigene Motivation hat. Ich zum Beispiel, weil ich mich an meine eigene Flucht erinnern kann."
    Ihre eigene Geschichte treibt sie an, sich hier einzubringen, sagt sie. Nicht die düstere Geschichte ihrer Heimatstadt Mölln. "Die Vergangenheit ... mit der haben wir uns damals nicht identifiziert. Meine Tochter ging damals zur Schule und die hat erzählt, das war ein Schulkamerad. Aber das war ein Einzelgänger. Das hat doch mit der Stadt Mölln nichts zu tun."
    Eins ist klar: Vergessen haben Möllner die Brandanschläge keineswegs. Aber hier, im Café International, sind sie kein großes Thema – hier geht es um die Unterstützung der Flüchtlinge im Hier und Jetzt. Und für die wenigsten sind sie der Antrieb, sich zu engagieren – auch nicht für die Möllnerin Anja Ernst, die mit ihrem Sohn am Waffeleisen steht.
    "Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit zu helfen. Egal für wen, und was war."