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Mörder im Priestergewand

Er hörte zu, er salbte, spendete Trost. Doch James Chesney, katholischer Priester in Nordirland, war auch ein Mörder. Er plante für die IRA - und wurde gedeckt durch die Kirche und staatliche Tatenlosigkeit.

Von Martin Alioth | 25.08.2010
    Im nordirischen Claudy lebten 1972 Katholiken und Protestanten Seite an Seite. Das wusste der Mann, der die drei Autobomben plante, die dort vor 38 Jahren neun Zivilisten töteten. Mary Hamilton führte damals das Hotel im Dorf. Auch sie wurde verletzt.

    Die Bomben explodierten vor den drei protestantischen Liegenschaften des Dorfes, erinnerte sie sich im irischen Rundfunk. Die erste verfehlte ihr Ziel, deshalb starben auch fünf Katholiken.

    Jetzt ist es auch amtlich bestätigt worden, was als Gerücht schon lange kursierte: Der Drahtzieher des Anschlags, James Chesney, der Quartiermeister der regionalen IRA-Brigade, war der katholische Priester eines Dorfes in der Nachbarschaft. Die Polizei verdächtigte ihn schon bald, bat aber das britische Nordirlandministerium um Rat. Am 5. Dezember 1972 traf Nordirlandminister William Whitelaw den irischen Kardinal Conway. Er ersuchte darum, den "gefährlichen Priester" zu entfernen. Chesney wurde im folgenden Jahr über die Grenze hinweg versetzt und amtierte bis zu seinem Tod 1980 als Priester in Donegal. Der amtierende britische Nordirlandminister entschuldigte sich sogleich. Der amtierende Kardinal, Seán Brady, begann sein erstes Interview für die nordirische BBC salbungsvoll:

    Seine Gedanken und Gebete seien bei den Leuten von Claudy. Dann wurde er scheinheilig.

    Es sei schockierend, dass ein katholischer Priester eines derartigen Blutbads verdächtigt werde. Als Brady auf seinen Vorgänger Conway zu sprechen kam, wurde er schließlich widersinnig:

    Der hätte diese Vertuschung niemals stillschweigend geduldet. Brady, der selbst drei Jahre später einen notorischen pädophilen Priester der Justiz vorenthielt, begründete seine Behauptung damit, die Polizei hätte den terroristischen Priester jederzeit verhaften können. Selbst der lokale Unterhausabgeordnete, Gregory Campbell, ein Jünger des Protestantenpfarrers Paisley, war entgeistert.

    Nirgendwo sonst hätte das passieren können – nur in Nordirland. – Der fahrlässige und willkürliche Umgang mit dem Rechtsstaat stieß auch dem Ombudsmann der Polizei, Al Hutchinson, sauer auf. Sein Bericht bestätigte diese Woche die Verschwörung:

    Er sei eben ein Anhänger des Rechtsstaates, der jedem die Möglichkeit einräume, Schuld oder Unschuld von einem ordentlichen Gericht ermitteln zu lassen. Es mag ja durchaus sein, dass die Entlarvung eines katholischen IRA-Kommandeurs 1972 – im blutigsten Jahr des Nordirlandkonflikts – fatale Konsequenzen gehabt hätte. Die protestantischen Todesschwadronen glaubten ja ohnehin, die Kirche unterstütze klammheimlich die IRA; Chesney wäre der Beweis gewesen.

    Aber rechtfertigte das die amtliche Subversion des Rechtsstaates? Wir wissen, dass damals weder die Organe des britischen Staates in Nordirland noch die Kirche viel Respekt für den Rechtsweg hatten. Der Staat duldete (und förderte sogar gelegentlich) die Schandtaten seiner Spitzel in den Untergrundverbänden. Die Kirche schützte pädophile Priester vor weltlichen Richtern. Die Umgehung der Justiz durch Kirche und Staat rechtfertigt die Verbrechen der IRA natürlich nicht nachträglich, aber sie belegt, dass die IRA gewiss nicht die einzige Konfliktpartei war, die bloß ihren eigenen, willkürlichen Regeln folgte.