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Mörderinnen in den Massenmedien

Mörderinnen werden in journalistischen Medien, in Theaterwerken und Filmen anders dargestellt als mordende Männer. An der Universität Siegen diskutierten Kulturwissenschaftler, wie sich Rollenvorstellungen in verschiedenen Inszenierungsformen niederschlagen.

Von Barbara Weber |
    "Ausschnitt aus dem Filmtrailer "Wiegenlied für eine Leiche""Wiegenlied für eine Leiche” hieß der Film in Deutschland, entstanden 1964. Der klassische Hollywoodfilm kriselte. Die Studiobosse suchten einen Ausweg und fanden ihn in einem neuen Genre: dem Psychothriller, in dessen Mittelpunkt eine mordende Frau stand. "Hush, hush, sweet Charlotte" – so der Originaltitel - war der zweite in einer ganzen Reihe von Horrordramen.

    ""In diesem Film spielt Bette Davis die Besitzerin einer Südstaatenvilla, die sich beharrlich weigert, diese Villa zu verkaufen, damit dort eine Schnellstraße gebaut werden kann","

    so der Filmwissenschaftler Dr. Marcus Stiglegger von der Universität Siegen.

    ""Und es gibt eine andere Frau."

    Nämlich ihre zu Hilfe gerufene Kusine, die im Todesfall die vermögende Charlotte beerbt,

    "die gemeinsam mit einem Arzt, die versuchen durch eine Intrige, Charlotte in den Wahnsinn zu treiben, und das geht dann zurück in die Vergangenheit, wo sie angeblich ihren damaligen Verlobten mit einer Axt getötet hat. Es gibt dann extrem viele Verweise auf die Vergangenheit, es gibt Leichenteile, die auftauchen usw."

    Der damalige Geliebte, der im Verlauf des Films auch mal als zerstückelte Leiche auftaucht, erfreute in besseren Tagen Charlotte mit dem Kinderlied: "Hush, hush sweet Charlotte", dass sie nun, Jahrzehnte später, in Erinnerung an ihn immer wieder auf ihrem Flügel spielt.

    "Im klassischen Hollywood sind einige berühmte Schauspieler und Schauspielerinnen etabliert worden, die dann gegen Ende des klassischen Hollywood, also um 1960, bereits deutlich gealtert waren, das heißt, wir haben es dann mit Schauspielerinnen zu tun, die zwischen 50 und 60 Jahre alt sind. Das ist natürlich nicht nur damals sondern auch heute problematisch, weil für diese Altersgruppe relativ wenige Rollen zur Verfügung standen."

    Da man aber auf die bekannten Namen als Kassenmagnet nicht verzichten wollte, kreierte man neue Rollenmodelle.

    "Diese Welle wird als Hag-Horror bezeichnet. Hag ist ein englischer Begriff für alte Frau im Sinne von Hexe, also ein negativer, abwertender Begriff. Der kommt von Hagazussa, das ist ein ethnologischer Begriff für Zaunreiterin, also die Frau, die zwischen den Welten wandelt, also wiederum ein Begriff für Hexe, aber der in dem Fall nicht negativ konnotiert ist. Wenn man sagt, das sind Frauen, die jenseits der Wechseljahre sind, dann sind sie natürlich für das klassische Erzählmodell des Films als Identifikationsfigur zunächst untauglich, weil sie nicht für eine eindeutige Weiblichkeit mehr stehen können, insofern das Unheimliche hier, das nicht eindeutige, spielt natürlich eine Rolle in der Charakterisierung dieser Frauen als potenzielle Mörderinnen, als potenzielle Bedrohung."

    Die Idee, die dahinter steckt, ist nicht neu, meint Dr. Nicola Glaubitz vom Zentrum für Genderstudies an der Universität Siegen.

    "Man könnte beispielsweise an Shakespeares Macbeth denken, eine Tragödie aus dem 15. Jahrhundert, in der ein Ehepaar nach der Königswürde strebt, wo es eigentlich die Frau ist, die den Anstoß gibt. Der Mann ist eigentlich eher geneigt, sich auf legalem Wege diese Macht anzueignen oder auf eine Gelegenheit zu warten, um König zu werden. Es ist eigentlich Lady Macbeth, die ihn dazu anstachelt, den amtierenden König umzubringen und weitere Rivalen aus dem Feld zu räumen."

    Das ist mit ihrem Rollenmuster als fürsorgliche Gattin und Mutter mitnichten vereinbar. Shakespeare greift in die Trickkiste, um der Figur Glaubwürdigkeit zu verleihen:

    "Es wird natürlich sehr stark auf die Frage der Weiblichkeit reflektiert. Und es ist ganz interessant zu beobachten, dass immer dann, wenn Lady Macbeth diese Mordgedanken hegt und sich praktisch in diese Mordlust hineinsteigert und auch ihren Mann dazu bringen möchte, gewalttätig zu werden, dass sie immer dann maskulin wird, an einer Stelle bittet sie die Geister um Hilfe, und da steht im englischen Original 'unsex me', also sie möchte geschlechterneutral werden, sie möchte ihre Weiblichkeit ablegen, um dieses Macht- und Gewaltstreben auch in die Tat umsetzen zu können."

    Gewalt gilt auch in unserer Gesellschaft als männliche Eigenschaft. Wenn sich die Weiblichkeit nicht verbergen lässt, greifen andere Mechanismen. Das zeigt der Fall Amanda Knox, der man vorwarf, gemeinsam mit zwei männlichen Mitangeklagten eine Studentin ermordet zu haben. Kürzlich wurde Amanda Knox aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

    "Dieser Fall ist seit 2007 durch die Medien gegangen, vor allem auch deswegen, weil Amanda Knox, eine sehr gut aussehende Frau, ständig präsent war in den Medien. Man sah ständig ihr Gesicht und es drehte sich eigentlich alles nur um sie. Es war eine junge, hübsche Frau, die angeblich einen sehr brutalen Mord begangen haben sollte."

    Dabei geriet vollkommen in den Hintergrund, dass zwei männliche Mitstudenten ebenfalls angeklagt waren. Nicht nur das. Die Berichterstatter kommentierten auch den Körper der Angeklagten

    "Sie wurde als Engel mit den Eisaugen bezeichnet und ständig wurde kommentiert, ob sie Gefühle gezeigt hat oder nicht."

    Die Wissenschaftlerin sieht ein Ungleichgewicht in der Berichterstattung zwischen potenziell männlichen und weiblichen Mördern.

    "Wenn Männer morden, dann morden sie eben. Wenn Frauen morden, dann wird nachgefragt. Dann fragt man, was ist das für eine Frau? Wie kommt sie dazu? Ist da irgendetwas nicht in Ordnung? Man fragt nach ihrem Sexualleben. Man unterstellt sehr oft, dass sie eine maskuline Frau ist oder eine Lesbe. Fragen wie, ist sie eine Mutter? Geht das zusammen, dass sie als Mutter mordet? Solche Fragen werden eigentlich bei Männern nicht gestellt. Da steht weder ein Bild von Männlichkeit oder ein Bild von Vaterschaft zur Frage."

    Spekulationen ranken sich auch um die Motive: Ist es eine Beziehungstat? Mordet die Frau, weil sie selbst Gewalt erfahren hat? Weil sie traumatisiert wurde? Weil sie sich gegen Ungerechtigkeit wehren musste? Das sind gängige Deutungsmuster. Ob sie mit der Realität übereinstimmen? Dazu gibt es noch keine Studie.

    Die gealterte sweet Charlotte im Film entspricht diesem Muster. Sie hat ihren Geliebten damals nicht gemordet. Das tat seine Ehefrau. Aber sie wird gegen Ende des Films zur Mörderin.

    "Der Film endet damit, dass Charlotte, die ja dem Wahnsinn tatsächlich nahe ist, gegen Ende zufällig ein Gespräch mitbekommt, indem deutlich wird, dass die beiden anderen Figuren diese Intrige gesponnen haben, und sie tötet die Beiden dann aus Rache, indem sie einen Steinblumenkübel auf sie fallen lässt aus einem oberen Geschoss. Der Film endet dann damit, dass Charlotte zwar von der Gesellschaft als wahnsinnig betrachtet wird, aber für sich selbst natürlich eine fast unheimliche Genugtuung zu empfinden scheint."