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Mörderische Pressefreiheit

Sorgen um die Pressefreiheit in Russland machten sich am Pariser Platz in der Berliner Akademie der Künste Politiker und Journalisten. Nach dem Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja forderte Akademie-Präsident Klaus Staeck Politik und Wirtschaft auf, über die Handelsbeziehungen mit Russland nachzudenken.

Von Sabine Adler |
    Unerwartet groß war die Teilnahme und Anteilnahme. Der Einladung des deutschen PEN-Zentrums und Akademie folgten zum weit überwiegenden Teil Frauen. Der Mord an Anna Politkowskaja rief fast schon verschüttet geglaubte solidarische Gefühle wach und das Bedürfnis, der mutigen Journalistin öffentlich zu gedenken.

    Niemand im Publikum musste dafür besonderen Mut beweisen oder sich gar in Gefahr bringen, bei Meinat Abdulajewa auf dem Podium verhielt es sich anders. Die tschetschenische Journalistin lebt seit anderthalb Jahren im deutschen Asyl. Dank der Stiftung für politisch Verfolgte und des deutsche PEN in sicherer Entfernung vor denen, die sie, wie Anna Politkowskaja, für ihre Berichterstattung aus Tschetschenien am liebsten aus dem Weg räumen wollen.

    "Was Anna Politkowskaja mir bedeutet hat, möchte ich zuerst nicht aus der Warte der Kollegin beantworten, sondern als Tschetschenin, denn da bedeutete sie mir das, was sie für tausende Tschetschenen war. Sie allein schrieb noch über das Schicksal der Erniedrigten, über die, aus deren Mitte man jeden Tag Menschen tötet. Sie war die einzige, die das noch tat. Als Kollegin sage ich: Ich habe sie beneidet um ihren Mut und ihre Ehrlichkeit."

    Nach dem Tod von Anna Politkowskaja ist das Leben auch für Meinat Abdulajewa gefährlicher geworden. Denn die russische Staatsanwaltschaft konfiszierte zur Ermittlung in dem Mordfall Anna Politkowskajas Computer, mit allen Kontakten, Materialien und wohl auch Beweisen für ihre schweren Anschuldigungen, die die russischen und tschetschenischen Militärangehörigen wie auch Beamten über Jahre in arge Bedrängnis gebracht haben. Der Verdacht, dass belastende Belege und unliebsame Zeugen jetzt zuhauf verschwinden, liegt nach dem Mord auf der Hand.

    Dank der Gäste auf dem Podium wurde nachvollziehbar, warum der Mord einen vorläufigen Höhepunkt einer verhängnisvollen Entwicklung darstellt. Freimut Duve, SPD, beobachtete für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa über Jahre hinweg das zarte Pflänzchen Pressefreiheit in Russland und erklärt, was es am Wachsen hindert.

    "Das Hauptmotiv ist jedenfalls außerhalb Moskaus, dass die demokratische Aufbaustimmung vor allem unter jungen hoffnungsvollen Leuten, die Journalismus betreiben wollten, dass diese demokratische Aufbruchstimmung bestimmte mafiöse Strukturen in allen Provinzen dramatisch gefährdet."

    Dirk Sager, langjähriger ZDF-Korrespondent, datiert den Anfang vom Ende der Pressefreiheit weit vor Putins Machtantritt.

    "Die Hoch-Zeit der Pressefreiheit waren wahrscheinlich die letzten Jahre Gorbatschows. Denn als die Zeitungen privatisiert wurden oder auch private Zeitungen neu gegründet wurden, war es zumeist ihr Schicksal, dass die inzwischen reich gewordenen Oligarchen sich die Zeitungen als Kampfinstrument hielten, damit man politisch schießen kann oder auch Konkurrenten bekriegen."

    Seit Putins Machtantritt kaufte der russische Erdgasriese Gasprom 80 Prozent der Zeitungen und drei Fernsehsender auf, die es als unabhängige landweit ausstrahlende Programme mit den beiden staatlichen Sendern aufnehmen wollten.

    Sager: "Das Instrument der Presse, das hat er mit leninscher Klarheit erkannt, wenn wir das haben, haben wir Russland und sie haben es."

    Klaus Staeck, seit einem halben Jahr Präsident der Akademie der Künste, ermutigte gerade als SPD-Mitglied zu Widerspruch. Ihm sah die frühere und sieht die jetzige Bundesregierung allzu großzügig über Missstände in Russlands angeblicher Demokratie hinweg.

    "Immer wenn ein Staat nicht mehr gezwungen ist, auf irgendwas Rücksicht zu nehmen, dann ist eine Entwicklung eingeleitet, an der der Mord fast selbstverständlich steht. Dass man alles weghaben will, was einen stört. Man könnte sich ja mal vorstellen, ganz illusionistisch, dass wir, die wir das Öl und das Gas abnehmen, sagen, mit so einem Staat möchten wir nicht unbedingt einen Handel treiben, der Leute ermordet, die nur die Meinungsfreiheit vertreten wollen."

    Einziger Makel der auch für die vielen Russlandkenner im Saal informativen Veranstaltung: Moderator Wilfried Schoeller verurteilte nach einer verpatzten Vorstellung der Gäste später das engagierte Publikum zu vollständiger Passivität.