Montag, 20. Mai 2024

Archiv


Mogontiacum bleibt Mogontiacum

Zur Freude der Historiker meißelten die Römer ihr Totengedenken in Stein. Was für ein Archiv des Wissens über das antike Individuum der römische Totenkult darstellt, zeigt eine eindrucksvolle Ausstellung in Mogontiacum, auch bekannt als Mainz.

Von Ludger Fittkau | 02.06.2013
    Es ist, als beträte man einen überdachten Friedhof. Ein Teil des Mainzer Landesmuseums hat sich in eine römische Gräberstadt verwandelt. Oft gut zwei Meter hohe Grabsteine aus lothringischem Sandstein markieren die Friedhofswege. Die Steine in der ehemaligen Reithalle des Mainzer Kurfürsten erinnern an Legionäre, die in der römischen Stadt Mogontiacum auf dem Gebiet des heutigen Mainz zwischen dem 1. und dem 3 Jahrhundert nach Christus den Tod fanden. Die Steine erinnern an Bogenschützen oder Träger des Kaiserbildes, an Reiter oder Hilfssoldaten, an einen in Mainz zu Tode gekommenen Vorkoster eines römischen Herrschers, einmal auch an einen besonders geliebten Sklaven. Die individuelle Seite des Imperiums wird greifbar, betont Kathrin Brumm, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Landesmuseums Mainz:

    "Dass man auf den Grabsteinen sehen kann, welche Funktion der Legionär ausgeübt hat. Ob der Standartenträger war oder ob er Spezialist für eine bestimmte Waffenart war. Oder zum Beispiel der Vorkoster für den Kaiser."

    Für den römischen Kaiser Domitian nämlich, der immerhin von 51 bis 96 nach Christus sein Amt ausüben konnte – also 45 Jahre lang. Auch Dank seines Vorkosters Tiberius Claudius Zosimus, der in Mainz begraben wurde.

    "Er ist eben der Beleg, dass der Kaiser hier war. Wir wissen natürlich nicht, ob er in Ausübung seines Amtes gestorben ist. Aber wir wissen, dass er der Vorkoster war und hier ein relativ frühes Ende gefunden hat."

    Begraben wurde der kaiserliche Vorkoster unter freiem Himmel. Die rekonstruierte antike Gräberstadt, in der heute an ihn erinnert wird, ist überdacht: Sie befindet sich in der großen Reithalle des im 18. Jahrhundert erbauten Marstalls des Mainzer Kurfürsten unmittelbar in der Nähe des Kurfürstlichen Schlosses. Kathrin Brumm:

    "Das war die kurfürstliche Reithalle, wo nach Vorbild der Wiener Hofreitschule geritten wurde."

    Heute ist hier ein Teil der größten Sammlung römischer Steindenkmäler nördlich der Alpen untergebracht. Vor allem die ehemals bunt bemalten Grabsteine der Legionäre sind phantastische Zeugen römischer Geschichte. Auf manchen diese Steine finden sich umfangreiche Biografien: Etwa auf dem Stein, den Gaius Julius, ein Soldat der 2. Legion Augusta, kurz nach Christi Geburt für einen Verwandten am Rhein gesetzt hat. Der lateinkundige Leser der Inschrift erfährt, dass der verstorbene Soldat aus Carcassone stammte und 45 Jahre alt wurde. Seine Jugend sei hart gewesen, verrät der Grabstein, doch am Rhein habe sich der Legionär zuletzt sehr wohl gefühlt, textet sein trauernder Verwandter. Von hier aus habe er schließlich erfolgreich den Weg über die Stygischen Sümpfe ins Totenreich zurückgelegt.

    Besonders kunstvoll: Das Relief des Monimus, eines aus Palästina stammenden Bogenschützen. Er starb im 1. Jahrhundert nach Christus am Rhein. Das Grabbild zeigt einen Mann, dessen Gesichtszüge innere Ruhe ausstrahlen und dessen große Hände fest und entschlossen Pfeile und Bogen umfassen, die er für die nächsten Schüsse bereithält. Monimus gehörte zu einer Spezialeinheit, die die Römer hauptsächlich in Syrien und den angrenzenden Ländern rekrutierten.

    Für die aktuelle Mainzer Ausstellung ist der Grabstein des Monimus gleich an den Anfang der Präsentation in eine Reihe mit besonders sprechenden Steinen gestellt worden. Kathrin Brumm, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Mainzer Landesmuseums:

    "Das ist der sogenannten Gräberstraße nachempfunden. Und das illustriert ganz schön das Besondere hier: Das eben nirgendwo so viele Grabsteine erhalten sind wie in Mainz."

    Die römischen Soldatengrabsteine in Mainz heben die Individuen aus der Epoche heraus, die die Zeit um Christi Geburt auf dem ganzen Kontinent prägte. Das Imperium bekommt Gesichter jenseits der Büsten der Imperatoren.

    Doch die Halle, in der viele der Soldaten-Grabsteine stehen, war nahezu ein Jahrzehnt für die Öffentlichkeit praktisch nicht zugänglich. Schon das ist ein Verdienst der Ausstellung, die sich über weitere Räume des umfangreichen Museumskomplexes erstreckt: Sie öffnet das fest gerostete museale Friedhofstor und lädt ein zur Erkundung der steinernen römischen Welt des Totengedenkens, die die Archäologen in Mainz in jahrzehntelanger Arbeit zusammengetragen haben.

    Die Ausstellung "Im Dienst des Kaisers" belegt eindrucksvoll, wie wertvoll es für Historiker ist, dass eine Kultur ihr Totengedenken in Stein meißelt. Die Sepulkralkultur der Römer in Mogontiacum, ihrer antiken Garnison auf dem heutigen Mainzer Stadtgebiet, ist ein dauerhaftes Archiv des Wissens über das Individuum in imperialer Epoche. Großartig, dass es jetzt wieder zugänglich ist.