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Moleküle in der Waagschale

Technik. - Diagnosechips sind derzeit in aller Munde - zumindest unter Biotechnologen. Auf kleinstem Raum ermöglichen sie den Nachweis, dass bestimmte Botenstoffe im Blut kursieren oder in Krebsgewebe gewisse Gene angeschaltet sind. In den meisten Fällen werden diese Moleküle von Partner-Molekülen auf den Diagnosechips erkannt und festgehalten, worauf ein Farbstoff entsteht, den man sehen oder messen kann. Noch eleganter wollen Forscher aus Basel die gebundenen Moleküle nachweisen - nämlich über deren Gewicht.

Von Frank Grotelüschen |
    Anlauf, Sprung, Eintauchen. So macht das der Badegast vom Einmeterbrett. Der Nanoforscher hingegen bastelt in seinem Labor an einer anderen Art von Sprungbrett.

    Das ist eine ganz feine Siliziumspitze. Das wird mikrofabriziert. Und diese ganz feine Spitze fährt über eine Oberfläche und tastet die Oberfläche ab.

    ...sagt Christoph Gerber von der Universität Basel. Die tastende Spitze bildet an sich das Herz eines Spezialmikroskops, Rasterkraftmikroskop genannt. Gerber hatte es 1986 gemeinsam mit dem deutschen Nobelpreisträger Gerd Binnig bei IBM in Zürich erfunden. Ähnlich wie der Arm eines Plattenspielers fährt die Spitze eine Probe ab. Dabei zeichnet sie ein Relief der Nanowelt auf - ein dreidimensionales Bild, auf dem einzelne Atome und Moleküle zu erkennen sind. Dann aber hatten Gerber und seine Leute eine neue Idee: Warum die Spitze, die unter dem Mikroskop genauso aussieht wie ein Sprungbrett im Schwimmbad, nur zum Abtasten benutzen? Sie könnte doch auch als hochempfindlicher Sensor dienen. Das Prinzip: Wenn sich zum Beispiel Eiweißmoleküle aus einer Blutprobe auf dem Siliziumbrettchen niederlassen, dann wird es sich verbiegen wie das Sprungbrett im Schwimmbad, auf dem ein Badegast steht.

    So kann man sich das vorstellen. Nur müssen Sie sich vorstellen, was für kleine Kräfte damit verbunden sind.

    In Zahlen: Eine Masse von knapp einem Billionstel Gramm genügt, um das Siliziumbrettchen zu verbiegen, wenn auch nur um Nanometer, um Millionstel Millimeter. Und je mehr Moleküle sich auf dem Sensor tummeln, desto stärker biegt er sich nach unten. Doch wie misst man derart winzige Ausschläge?

    Wir lesen das mit einem Laser aus. Das hat eine hohe Präzision. Damit ist es klar, dass es so sensitiv ist, um diese ganz, ganz kleine Verbiegung, die nur im Nanometerbereich sich vollzieht, dass wir diese Auslenkung messen können, mit ganz kleinen, mikromechanischen Lasern.

    Doch für einen praxistauglichen Sensor fehlt noch was Entscheidendes, sagt Christoph Gerber: Man möchte ja nicht irgendwelche Moleküle aufspüren, sondern ganz bestimmte: defekte Gene etwa, oder Eiweiße, die einen Tumor verraten. Deshalb beschichten die Forscher ihre Nanosensoren mit so genannten Fängermolekülen - mit dem Resultat, dass sich nur die Substanz auf dem Sensor niederlässt, die man auch nachweisen möchte. Gegenüber herkömmlichen Sensoren verspricht das neue Konzept zwei Vorteile. So kann man regelrechte Sprungbrett-Chips bauen, mit vielen Brettern nebeneinander, von denen jedes nach einem anderen Gen oder einem anderen Eiweiß fahndet.

    Diese Technologie, diese Mikrofabrikation, ist absolut unter Kontrolle. Wir wissen genau, wie man Tausende von solchen Sensoren bauen kann.

    Der zweite Vorteil: Im Gegensatz zu anderen Methoden braucht man die Zielsubstanz nicht mit einem Farbstoff zu markieren, um sie überhaupt sichtbar zu machen. Die möglichen Anwendungen jedenfalls sind vielfältig, sagt Gerber. Der Sensor könnte nicht nur nach Genschnipseln und Eiweißen fahnden, sondern auch für Qualitätssicherung, Prozesskontrollen oder Echtheitsnachweise taugen. Und im Kantonsspital Basel haben die Forscher schon einen Schnelltest für Infarktpatienten auf der Intensivstation getestet, indem sie nach Substanzen wie Kreatinkinase und Myoglobin fahndeten.

    Wenn ein Herzinfarkt entsteht, wird das fünf Minuten nach dem Infarkt ins Blut ausgeschüttet, und das kann man messen. Bis heute ist das nur möglich, dass man das in zehn oder zwölf Stunden machen kann. In diesem Schnelltest, was wir jetzt gezeigt haben, geht das in Minuten.

    Im November hat eine kleine Baseler Firma namens Concentris den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Sie hat einen Hightech-Sensor auf Nanobrett-Basis auf den Markt gebracht. Mit 130.000 Euro ist er noch ziemlich teuer und nur für Forschungslabors interessant. Doch die Fachleute basteln schon an Verfahren für eine Massenproduktion. Dann könnten sich die Nano-Sprungbretter auch in Kliniken und Arztpraxen wiederfinden.