Was dann passiert ist, dass Chromosomen-Enden miteinander fusionieren. Und zwar fusionieren Chromosomen, die beide ihr Telomer verloren haben. Und wenn diese Zelle sich dann teilt, kann es passieren, dass diese Chromosomen zu unterschiedlichen Polen in der Zelle gezogen werden. Und es muss dann zu einer Zerreißung dieser Chromosomenfusion kommen und bei dieser Zerreißung der Fusion kann es zu Verlust genetischen Materials in einer der beiden Tochterzellen kommen.
Meistens stirbt die so entstandene Zelle. Doch in manchen Fällen - so die Vermutung - könnte hier der Ausgangspunkt für eine Krebszelle liegen. Dergestalt, dass jetzt zum Beispiel "Tumorsuppressorgene" die Regie übernehmen und eine bösartige Wucherung entstehen lassen. Dr. Karl Lenhard Rudolph und seine Arbeitsgruppe untersuchen jetzt, ob die verkürzten Telomere tatsächlich das Risiko erhöhen, an Krebs zu erkranken. Die Ergebnisse der Wissenschaftler könnten die Häufung von Krebserkrankungen im Alter begründen
Unsere Arbeiten im Mausmodell haben gezeigt, dass die Telomerverkürzung bei der Tumorentstehung, also die Auslösung chromosomaler Instabilität durch Telomerverkürzung nur für Tumoren eine Rolle zu spielen scheint, die von Organen und Gewebssystemen ausgehen mit hohem Zellumsatz.
Betroffen sind insbesondere Blutzellen, Hautzellen und Darmzellen, weil sich diese Gewebe ständig teilen. Das heißt: Blutkrebs, Hautkrebs und Darmkrebs könnten durch defekte Telomere erklärt werden. Ein Mittel, das vor dieser Art der Krebsentstehung schützt, ist auch schon in Sicht: nämliche Telomerase. Hierbei handelt es sich um ein spezielles Enzym, das die Telomere nach jeder Zellteilung auf die ursprüngliche Größe wieder verlängert. In den embryonalen Stammzellen ist dieser molekulare Jungmacher enthalten - nicht aber in den Zellen eines erwachsenen, alternden Menschen. So liegt die Vermutung nahe, dass eine Behandlung mit Telomerase die Krebsentstehung verhindern könnte.
Wir denken, dass für die Telomerase-Therapie der Zeitpunkt der Therapie wichtig sein könnte. Das heißt: Wenn man Telomerase in die Zellen einbringt, bevor diese genetisch instabil sind, könnte man durch Telomerase-Reaktivierung die Entstehung chromosomaler Instabilität und damit eventuell auch die Entstehung von Tumorzellen verhindern.
Doch Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Denn auch Krebszellen enthalten - anders als die gesunden Körperzellen - Telomerase. Offenbar übernimmt das Enzym in den Krebszellen eine wichtige Funktion: Telomerase macht bekanntlich die Telomere lang und verhindert auf diese Weise, dass die schnell wachsende Tumorzelle altert. Ohne Telomerase scheint das aggressive Wachstum der Krebsgeschwulste also nicht zu funktionieren:
Wie der Tumor es schafft Telomerase zu aktivieren, ist noch nicht komplett verstanden. Einige Gene sind identifiziert worden, die in der Lage sind, Telomerase wieder anzuschalten. Eines dieser Gene, das identifiziert worden ist, ist das MYC-Onkogen. Es ist also ein Gen, was in Tumoren hochreguliert gefunden worden ist. Und dieses Gen ist in der Lage, Telomerase anzuschalten.
Das heißt: als Mittel gegen Krebs wäre das Enzym Telomerase wohl kaum geeignet. Die Zellen aber zu schützen, bevor sie zu Krebszellen entarten, könnte eine Stärke der Telomerase sein. Doch auch diese Strategie der medikamentösen Krebsprophylaxe steckt voller Risiken: Würden sich nämlich zum Zeitpunkt der prophylaktischen Behandlung erste, unentdeckte Krebszellen im Körper befinden, könnte der vermeintliche Schutz ins Gegenteil umschlagen: Telomerase könnte das Tumorwachstum anheizen. Die Forschungen stehen erst noch an Anfang. Telomerase eröffnet interessante Perspektiven - von einem Durchbruch oder gar Allheilmittel kann allerdings keine Rede sein.