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Molekularer Klettverschluss

Technik. - Holz ist so verformbar wie Gummi, so fest wie Keramik und überhaupt nicht spröde. Und dabei variieren diese Eigenschaften noch nach Bedarf: Ein junger Baum hat weiches, biegsames Holz, beim älteren Baum ist es steif und fest. "Intelligenten Werkstoff" nennen es deshalb Materialforscher. Und es ist daher kein Wunder, dass sie diese Eigenschaften von Holz gerne auf künstliche Materialien übertragen möchten.

Von Michael Fuhs |
    Das wäre jetzt zum Beispiel so eine Folie, das sind ungefähr sechs Zellen, und von der nehmen wir dann auch die Einzelfasern ab.

    Einzelne Holzzellen sind Ingo Burgerts Spezialität, circa zwei Millimeter lang und zehn mal dünner als ein Haar. Im Baumstamm liegen viele davon nebeneinander.

    Man braucht dazu eine sehr feine Pinzette, und noch ein bisschen Wasser. Das kann jetzt noch einen Moment dauern, bis ich eine gute habe.

    Zur Präparation benutzt er das Mikroskop, darunter sichtbar: Ein Gewirr dunkelbrauner Fäden. Das sind die Zellwände. Sie formen kleine Röhren. Eine hat sich der Wissenschaftler ausgesucht. In ihr bewegt sich etwas. Burgert:

    Das ist eine Luftblase, das zeigt, dass die Faser quasi intakt ist.

    Und in der intakten Faser, genauer in ihrer Zellwand, vermutet der Holzbiologe vom Potsdamer Max-Planck Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung das Geheimnis: Wie verformt sich Holz ohne zu brechen? Wieso ist es steif und biegsam zugleich? Für seine Experimente klebt Ingo Burgert einzelne Holzzellen in einen Rahmen. An der einen Seite fixiert, zieht er mehrfach an der anderen Seite, ganz sachte. Er misst dabei die Kraft und eine Videokamera nimmt gleichzeitig die Verformung auf. Dadurch bestimmt er die Dehnbarkeit und die Steifigkeit. Burgert:

    Und hier sieht man sehr schön, dass ich, wenn ich anziehe, eine Ausgangssteifigkeit des Materials habe. Ich komme dann über einen so genannten Yield Point herüber, wo dann die eigentliche plastische Verformung beginnt. Und interessanterweise ist es so, dass wenn ich über diesem Punkt bin, und dann wieder entlaste, ich zwar eine dauerhafte Verformung habe, aber zur Ausgangssteifigkeit zurückkehre.

    Für die Steifigkeit sorgen die so genannten Zellulosefibrillen. Ineinander geschachtelt winden sich diese spiralförmigen Fasern in der Zellwand. Mit Röntgenstrahlen schauen die Forscher um Professor Peter Frazl hinein. Zum Beispiel an der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle in Grenoble. Dort enthüllten sie, wie sich die Fibrillenstruktur in der Zellwand unter Zug veränderte. Peter Frazl:

    Die Röntgenbeugung basiert darauf, dass sie Informationen liefert über die räumliche Anordnung und auch die Größe und Ausrichtung von Elementen im Nanometerbereich. Diese Informationen haben uns gezeigt, wie sich einzelne Zellulosefasern gegeneinander verschieben, und wir konnten daraus schließen, dass ganz feine Zellulosefasern miteinander durch andere Polymere also kettenförmige Moleküle verbunden sind, so ähnlich wie ein Klettverschluss beispielsweise zwei Stücke Stoff miteinander verbinden würde.

    Der Stoff der Holzbiologen ist die spiralförmige Zellulosefaser in der Wand der Holzzellen. Der molekulare Klettverschluss verbindet jede dieser kleinen Spiralen mit ihren Nachbarn. Er reißt auf, wenn die Forscher das Holz biegen oder dehnen. Die Spiralen können sich so gegeneinander verschieben. In einer anderen Position geht der Verschluss wieder zu. Das Holz ist in seinen mechanischen Eigenschaften dann wieder wie vorher: fest und biegsam zugleich. Genetisch bedingt ist aber Holz nicht gleich Holz. Frazl:

    Es gibt weiches Holz, hartes Holz und so weiter. Aber was viel bemerkenswerter ist, dass innerhalb einer einzigen Holzart enorme Unterschiede auftreten können. Und zwar Unterschiede während des Lebens eines einzigen Baums.

    Auch diese Unterschiede verstehen die Forscher jetzt besser. Ziehen sie an der Holzzelle, dehnen sich die spiralförmigen Fasern in den Zellwänden wie Federn. Das geht umso leichter, je enger und flacher sie gewickelt sind. Dementsprechend finden sich in den Zellwänden von jungem Bäumen eng gewickelte Zellulose-Spiralen. Denn junge Bäume müssen elastisch sein, um im Wind nicht zu brechen. Wo das Holz mehr Last halten muss, zum Beispiel in größeren Bäumen, passen sich die Fasern an: Wie bei einer starren Feder sind dort die Spiralen in den Zellwänden steiler und mit weniger Windungen gewickelt. Frazl:

    Und wenn man diesen Mechanismus jetzt klar noch mal absichert und deutlich versteht, so kann man diesen Mechanismus zum Beispiel bei der Herstellung von neuartigen Kunststoffen oder anderen Materialien verwenden, um denen dem Holz vergleichbare Eigenschaften zu verleihen.