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Momentaufnahme zeitgenössischer Theaterkonzepte

Zum dritten Mal haben die Gründer der Theaterakademie Panorama Sur in Buenos Aires Theaterleute aus vielen Ländern Lateinamerikas eingeladen. Ein Ziel: Sie wollen die Fixierung auf das europäische Theater aufbrechen und den Blick auf die Nachbarländer lenken.

Von Anne Phillips-Krug | 07.08.2012
    In einem engen Hotelzimmer im Zentrum von Buenos Aires kauern die Zuschauer entlang der Wände. Vor ihnen auf dem Bett liegt ein nackter Geschäftsmann und bereitet sich in Gedanken auf eine Konferenz vor. Während er sich anzieht, erzählt er seinem Schatten, einer gebeugten Gestalt im schwarzen Ganzkörperanzug, von der Begegnung mit einem Geschäftspartner.

    Das Stück "Showcase" des US-Amerikaners Richard Maxwell ist bewusst kunstlos und konzentriert sich ganz auf die Wirklichkeit des Körpers im geschlossenen Raum. Mit diesem und zwei weiteren Gastspielen holten die Initiatoren von Panorama Sur experimentelle, interdisziplinäre Theaterformate nach Buenos Aires.
    Cynthia Edul, argentinische Theaterwissenschaftlerin und Mitbegründerin von Panorama Sur:

    "Unser Programm fragt nach gegenwärtigen ästhetischen Koordinaten und zeigt deutlich, was dieses Jahr unser Motto ist, nämlich das Theater jenseits der Repräsentation. Das Theater von Buenos Aires ist ein überwiegend repräsentatives, kleinformatiges Theater und da können Stücke wie "Showcase" zumindest dazu führen, dass Du Deine Entscheidungen verteidigen musst."

    Neben den Gastspielen gehören öffentliche Vorträge mit internationalen und argentinischen Theatermachern und Choreographen wie Meg Stuart, Bruno Beltrao und Beatriz Catani sowie Tanz- und Theaterworkshops für die lokale Szene zum Programm der diesjährigen Arbeitsplattform. Kern von Panorama Sur ist das Autorenseminar, in dem junge Dramatiker aus Lateinamerika, Spanien und den USA an ihren Texten arbeiten und rund 20 argentinische Inszenierungen besuchen. Auch hier geht es um einen selbstbewussteren und selbstkritischeren Umgang mit der eigenen Theaterpraxis und der eigenen Identität. Der argentinische Dramatiker Matías Umpiérrez:

    "Das deutsche Theater, Brecht, aber auch Castorf und Ostermeier, beschäftigt die Theaterszene, und zu schauen, was in Europa passiert, ist bei uns einfach Tradition. Buenos Aires wurde von Immigranten gegründet und Europa steckt in unseren Körpern und Köpfen. Wir kennen die europäische Kulturgeschichte, aber haben wenig Ahnung von den alten Kulturen Lateinamerikas. Ich finde, wir sollten anfangen, einander mehr wahrzunehmen und mit dem Kämpfen aufhören."

    Die Fixierung auf Europa aufzubrechen und den Blick auf die Nachbarländer zu lenken, ist auch Ziel von Panorama Sur. Das von der Siemens Stiftung und der Associación para el Teatro Latinoamericano ins Leben gerufene Akademieprojekt versteht sich dabei als Antwort auf die argentinische Kulturpolitik und als Alternative zum globalen Festivalgeschehen.
    Alejandro Tantanian, künstlerischer Leiter von Panorama Sur:

    "Wir wählen die Stücke aus, damit die Autoren sie sehen können, nicht die Kuratoren, die kommen, um zu schauen, welchen Gaucho sie nach Brüssel oder Paris mitnehmen wollen. Natürlich ist es toll, wenn lateinamerikanische Theatermacher auf dem internationalen Markt mitmischen, dagegen habe ich nichts. Aber das spaltet die Theatergemeinschaft. Weil ich natürlich will, dass der andere scheitert, damit ich reisen kann. So entstehen keine Netzwerke oder gemeinsamen Projekte. Wir dagegen wollen, dass Theatermacher die Arbeit anderer Theatermacher kennenlernen. Und wenn ihnen ein Stück gefällt, können sie direkt mit dem Künstler Kontakt aufnehmen."

    Aus diesen Begegnungen sind nach zwei Jahren Panorama Sur erste Projekte entstanden, wie das Stück El Culebra des in Mexiko lebenden argentinischen Autors Martín López Brie und das Theater-Sachbuch der Mexikanerin Tristana Landeros, beide ehemalige Akademieteilnehmer.
    Dass Panorama Sur sich in der lateinamerikanischen Theaterszene etabliert hat, zeigen die hohen Bewerberzahlen, die ausverkauften Vorstellungen und die gut besuchte Vortragsreihe. Panorama Sur trägt dazu bei, in Lateinamerika ein neues Selbst- und Theaterverständnis zu artikulieren. Eduardo Calla, Theatermacher aus La Paz:

    "Seit einigen Jahren gibt es auf Theaterfestivals in Lateinamerika ein ernsthaftes Interesse daran, das lateinamerikanische Selbstbild zu revidieren. Emblematische, folkloristische Gruppen wie El Teatro de los Andes aus Bolivien oder La Candelaria aus Kolumbien stehen für ein Theater, das sich abgenutzt hat, weil es ein Heute repräsentiert, das es nicht mehr gibt. Trotzdem prägen diese Gruppen seit Jahren das Bild vom Theater in Lateinamerika. Und da setzt auch Panorama Sur an, wo wir ja schon nach einer Woche sehen, wie sehr wir uns gegenseitig überraschen."

    Luciana Laguisquet, Regisseurin aus Montevideo:

    "In Uruguay inszeniert man vor allem Klassiker wie García Lorca, Shakespeare oder Tschechow. Man findet weder das Alternative noch das Periphere. Das ist nichts ideologisches, aber es kommen einfach keine neuen Texte an und man sucht auch nicht danach. Aber durch das Internet und solche Austauschprojekte wie dieses ändert sich das langsam. Ich zum Beispiel kehre jetzt mit zwanzig neuen Texten zurück."