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Mondsüchtig

Interstellare Fantasien trugen den Kalten Krieg Ende der 50er-Jahre von der Erde in den Himmel. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion konkurrierten um die Vorherrschaft im Weltraum - die Russen waren als erste oben.

Von Dirk Lorenzen | 13.09.2009
    Gegen Ende des Jahres 1958 war der Wettlauf im All voll entbrannt. Die Vereinigten Staaten hatten die Schockstarre nach dem Sputnik-Start der Sowjets knapp ein Jahr zuvor überwunden – und hatten selbst ihre ersten Satelliten in die Umlaufbahn geschickt. In Moskau wurde man langsam nervös. Die Vormachtstellung im All schien in Gefahr zu sein. So wurde das nächste Ziel in Angriff genommen: der Mond.

    Im Januar 1959 wurde Lunik-1 auf den Weg geschickt. Die erste Raumsonde, die der Anziehungskraft der Erde entkommen ist und Kurs auf den Mond nahm. Doch sie verfehlte ihr Ziel um 6000 Kilometer und verschwand in den Tiefen des Weltraums. So stand das sowjetische Mond-Team beim zweiten Versuch massiv unter Druck.

    Am 12. September 1959 startete Lunik-2 vom Weltraumbahnhof Baikonur aus ins All. Dieses Mal ging alles glatt. Etwa auf halber Strecke stieß die Raumsonde eine Natriumdampfwolke aus, die als "künstlicher Komet" mit Fernrohren von der Erde aus zu sehen war. Einige Ingenieure hatten zunächst noch von ganz anderem Gepäck an Bord geträumt:

    "Könnte man nicht eine große Bombe an Bord der Rakete platzieren? Dann wäre beim Einschlag auf dem Mond der Blitz der Explosion noch auf der Erde zu erkennen und die Überlegenheit des sowjetischen Systems für alle unübersehbar."

    Doch eine solche Bombe wäre viel zu schwer gewesen, um sie mit der damals zur Verfügung stehenden Rakete transportieren zu können. Am Abend des 13. September 1959 erreichte Lunik-2 ihr Ziel: Die Sonde schlug ungebremst auf der Mondoberfläche auf. Im ihrem Innern befanden sich kleine Wimpel aus Metall mit dem Emblem der Sowjetunion. Sie waren so stabil gebaut, dass sie als einzige den Einschlag mit 12.000 Kilometern pro Stunde überstanden und sicher noch immer im Mondstaub liegen. Der Mond war damit symbolisch in Besitz genommen.
    Wissenschaftlich war die Mission nicht sehr ergiebig. Doch die politische Bedeutung des Unternehmens hätte größer nicht sein können: denn nur zwei Tage später weilte Nikita Chruschtschow erstmals zum Staatsbesuch in den USA. Präsident Dwight D. Eisenhower bekam triumphierend Kopien der Mondwimpel überreicht. Die Wochenzeitung "Die Zeit" war empört:

    "Mit einem Werbe-Gag freilich scheint Chruschtschow zu weit gegangen zu sein. Der Abschuss der Lunik-II-Sonde, die Landung der Roten Fahne auf dem Mond — sie verraten zu deutlich seine Absicht, zu schrecken und zu verschüchtern. Zu sehr erinnern sie an das russische Raketengerassel der letzten Jahre, an Chruschtschows verächtliche Bemerkungen über die amerikanischen 'Weltraum-Pampelmusen'."

    Chruschtschow hatte sich oft über die viel kleineren US-Satelliten lustig gemacht und im Juli 1959 bei einem Besuch in Polen ganz unverhohlen mit der Leistungsfähigkeit der sowjetischen Raketen gedroht.

    "Rechnet euch doch aus, wie viele Bomben man in einer Pampelmuse unterbringen kann und wie viele in unseren Raketen! Wir sind stärker als ihr, und ihr werdet uns niemals einholen können."

    US-Präsident Eisenhower konnte Chruschtschow im Weltall in der Tat nicht einholen. Doch sein Nachfolger John F. Kennedy sah dem sowjetischen Treiben im Weltraum nicht länger tatenlos zu. Nur vier Monate nach seiner Amtseinführung, gab er den im All bis dahin so glücklosen USA ein geradezu aberwitziges Ziel vor.

    "I believe that this nation should commit itself to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the Earth."

    Bis zum Ende jenes Jahrzehnts wolle man einen Menschen auf den Mond und wieder sicher zurück zur Erde bringen. In einer beispiellosen Materialschlacht gewannen die USA dieses Rennen zum Mond. Die Landung von Apollo 11 ist unvergessen.

    ""It's one small step for man... one giant leap for mankind.”"

    Lunik-2 war gewissermaßen der "Armstrong" unter den Raumsonden. Doch ob es um den ersten Satelliten oder den ersten Menschen auf dem Mond ging: Der Zweck der Reise war stets der gleiche. Man wollte Riesensprünge im weltweiten Machtgefüge machen. Es war Kalter Krieg – auch im Weltraum.