Montag, 20. Mai 2024

Archiv

Monika Maron: „Was ist eigentlich los?“
Mit unerbittlichem Furor für die Freiheit des Denkens

Streit über gesellschaftspolitische Themen ist Monika Maron nie aus dem Weg gegangen – weder in der DDR noch im wiedervereinigten Deutschland. Zum 80. Geburtstag liegt nun ein Sammelband mit Essays der Autorin vor. Versöhnlicher geworden ist sie nicht.

Von Angela Gutzeit | 03.06.2021
Ein Portrait der Schriftstellerin Monika Maron
Am 3. Juni 2021 wird Monika Maron 80 Jahre alt. (© Vivian J. Rheinheimer )
1941 in Berlin geboren, in der DDR aufgewachsen und Ende der 80er-Jahre in einem wiedervereinigten Deutschland gelandet, dessen zwei Hälften sich bis heute nicht fügen wollen. Monika Marons Biografie steht für eine Generation, deren Lebensweg von geschichtlichen Um- und Zusammenbrüchen geprägt ist. "Viele Umbrüche sind keine guten und niemandem zu wünschen", schreibt FAZ-Mitherausgeber Jürgen Kaube in seinem nachdenklichen Vorwort zu Monika Marons neuem Essayband. Aber "gar keine Umbrüche verführt zum Verdämmern des Freiheitsgefühls".

Ein "jüdisch-polnisch-sozialistisch-bürgerlich-ost-westdeutscher Lebenslauf"

Monika Maron hat ihrem mehrfach gebrochenen "jüdisch-polnischen-sozialistisch-bürgerlichen-ost-westdeutschen Lebenslauf" Romane abgerungen, die sich dieser gebrochenen Geschichtlichkeit zutiefst bewusst sind. Daneben bezieht sie als Intellektuelle, die sich in der Tradition Heinrich Heines und der europäischen Aufklärung sieht, in Zeitungsbeiträgen und Vorträgen mit unbeirrbarer Dringlichkeit und Subjektivität öffentlich Stellung. Eine chronologisch angeordnete Auswahl dieser Einsprüche von 1986 bis 2019 ist nun in dem vorliegenden Band zu lesen.

Ein unbedingtes Freiheitsverständnis

Diesen Texten eingeschrieben ist ein unbedingtes Freiheitsverständnis, erwachsen aus den Erfahrungen mit der kommunistischen Diktatur und Ideologie. In einem ihrer besten und biografisch aufschlussreichsten Texte, "Ich war ein antifaschistisches Kind" von 1989, schildert die Autorin die Zerrissenheit ihrer Familie, in denen sich Juden und Nichtjuden, Kommunisten und Nationalsozialisten, Polen und Deutsche in einem verhängnisvollen und sprachlosen Gegeneinander verfingen. Wie kommt es, fragt sie zum Schluss dieses Essays in Bezug auf ihr kommunistisches Elternhaus in der DDR, dass "Menschen, die in ihrer Jugend gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung gekämpft und ihr Leben dafür eingesetzt haben, in Jahrzehnten unangefochtener Macht ihr eigenes Volk mit den Mitteln von Gangstern betrogen und beherrschten. Und andere es duldeten".

Die deutsche Einheit – ein Albtraum

Eine unüberhörbare Erbitterung über die ideologische Verblendung der einen und die Duldsamkeit der anderen spricht aus diesen Zeilen. Im Laufe der Zeit hat sich diese Erbitterung bei Maron wohl zu einem Leiden an Deutschland verfestigt. Sie bescheinigt diesem Land eine "bis zur Psychose" ausgeprägte Unlust am Leben. In ihrem Text "Zonophobie" von 1992 ekelt sie sich geradezu vor dem Selbstmitleid und dem aggressiv ausgestellten Opferbewusstsein ihrer Landsleute in Ostdeutschland. Die deutsche Einheit wird ihr "zum Albtraum", wie sie schreibt. Die westdeutsche Ignoranz und Arroganz gegenüber den neuen Mitbürgern aus dem Osten, wie auch die sozialistischen Utopien westdeutscher Linker nicht minder.
Einen freiheitlichen Geist und eine Wahrheitssuche, die aus einem Streit der Meinungen hervorgeht, mag Maron deshalb auch nur noch in verschütteten Traditionen des 18. Jahrhunderts zu erkennen, wie in der Freundschaft zwischen dem Juden Moses Mendelssohn und dem Pfarrerssohn Gotthold Ephraim Lessing. Nachzulesen in ihrem 2011 veröffentlichten Text "Im Licht des Wissens".

Unerbittlicher Furor

Vielleicht ist aus dieser Frustration heraus nicht unbedingt verständlich, aber doch erklärbar, warum sich Monika Maron in ihren öffentlichen Verlautbarungen der letzten Jahre mit einem geradezu unerbittlichen Furor an angeblichen Bedrohungen für die Freiheit des Denkens abarbeitet. Bedrohungen, die sie im Islam und in einer ungezügelten Zuwanderung sieht. Aber auch in der Meinungshoheit eines "links-grünen Mainstreams", wie sie schreibt, und in einem ökologischen Zwangsregime, das sich zum Beispiel im "rücksichtslosen Windradausbau" zu erkennen geben würde. Am liebsten, so ist in ihrem Artikel "Links bin ich schon lange nicht mehr" für die NZZ 2017 zu lesen, würde sie in Österreich Sebastian Kurz wählen und den Grünen Boris Palmer, der wegen Rassismusvorwürfen kurz vor dem Parteiausschluss steht, dazu ermuntern, eine eigene Bewegung zu gründen.

Einige Hassobjekte

Bedenklich an diesen Texten ist nicht, dass die Autorin sich berufen fühlt zum öffentlich geführten Meinungsstreit und diesen auch mit aller Härte führt. Beklemmend jedoch ist die Verengung ihres Argumentationsspektrums auf einige wenige Hassobjekte: Hier wird kein Für und Wider verhandelt, sondern hier führt die Pauschalisierung das Wort. Wenn sie schreibt, dass der Islam seit dem 12. Jahrhundert jeden Versuch einer philosophischen Auseinandersetzung mit seinen religiösen Schriften verhindert habe, so ist das schlichtweg falsch. Wenn sie das Kopftuch von muslimischen Frauen als Zeichen der Abgrenzung wertet, so ist das zumindest undifferenziert. Und wenn von Flüchtlingen und Einwanderern nur noch als bedrohlicher Masse die Rede ist, die Deutschland heimsuche, so befremdet ihr Mangel an Empathie. Deshalb aber den Meinungsstreit mit dieser verdienten Schriftstellerin aufzukündigen, wie es heutzutage ja allzu schnell geschieht, wäre nicht minder verkehrt.
Monika Maron: "Was ist eigentlich los?"
Ausgewählte Essays aus vier Jahrzehnten
Mit einem Vorwort von Jürgen Kaube
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg. 190 Seiten, 22 Euro.